Hochschulen als Reservelazarette: Von 1914 bis 1916 wurden allein an der Universität Wien 15.000 verletzte Soldaten versorgt. Der große Festsaal (hier im Bild) wurde in einen Speise- und Aufenthaltsraum umgewidmet.

Foto: Wienbibliothek im Rathaus
Foto: Wienbibliothek im Rathaus

Der patriotische Taumel, mit dem Ende Juli 1914 vor allem die deutschsprachigen Österreicher auf die Kriegserklärungen der Mittelmächte reagierten, machte auch vor den Hochschulen nicht halt. Hunderte kriegsbegeisterte Studenten sowie etliche jüngere Professoren und Dozenten meldeten sich zum Kriegsdienst.

Doch auch jene Studierenden und Lehrkräfte, die nicht im Feld standen, sollten an patriotischer Begeisterung nicht hinter ihren Kommilitonen zurückbleiben, wie der neue Unterrichtsminister Georg Ritter von Madeyski-Poray forderte. Alsbald meldeten sich 600 Studierende zur Krankenpflege - der sie bald an der eigenen Universität nachgehen konnten.

Die Universität als Spital

Am 11. August 1914 erklärte nämlich Richard von Wettstein, der Rektor der Universität Wien, dass "die Räume des Universitätshauptgebäudes als Verwundetenspital zur Verfügung" gestellt werden, denn bereits kurz nach Kriegsbeginn waren die Krankenhäuser des Landes überbelegt. Also wurde der große Festsaal in einen Speise- und Aufenthaltsraum umgewandelt, der daran anschließende kleine Festsaal diente als Operationsraum.

In den Hörsälen des ersten und zweiten Stockwerks wurden 26 Krankenzimmer mit 800 Betten eingerichtet, bald waren auch die Gänge belegt. Im Juristentrakt befand sich eine Quarantänestation, die Gänge im Arkadenhof dienten zur Erholung. Diese Adaptierung, die auch an anderen Hochschulen wie jener für Bodenkultur oder der Technischen Hochschule stattfand, war nicht zuletzt auch deshalb möglich, weil die Größe des Lehrkörpers und die Zahl der Studierenden drastisch schrumpften - an der Universität von 9000 Studierenden vor Kriegsbeginn auf kurzfristig unter 4000 Studierende während des Krieges.

Doch auch die Zusammensetzung der verbliebenen Lehrenden und Studierenden veränderte sich stark, wie sich die Sozialwissenschafterin Käthe Leichter erinnerte: "Ein seltsamer Körper war diese Universität im Krieg. Geblieben waren die alten Professoren. Die jüngeren, die Dozenten namentlich, waren eingerückt. Die Hörer waren vorwiegend Frauen." Tatsächlich wurde die Universität im Verlauf des Ersten Weltkriegs von weiblichen Studierenden - besonders viele aus den östlichen Kronländern Galizien und Bukowina - nachgerade erobert: Betrug ihr Anteil vor dem Krieg gerade einmal sieben Prozent, hatten die Studentinnen im Sommersemester 1917 sowohl an der Medizinischen Fakultät (mit 51 Prozent) wie auch an der Philosophischen Fakultät (mit 54 Prozent) die Mehrheit.

Viele jüdische Studentinnen

Was Käthe Leichter, die selbst ab 1914 an der Uni Wien studierte, indes verschwieg: Die Mehrheit dieser Studentinnen aus dem Osten war jüdisch. Im Wintersemester 1915/16 etwa, nachdem die Fluchtwelle aus dem Osten ihren Höhepunkt erreicht hatte, stammten rund 78 Prozent aller Medizinstudentinnen aus jüdischen Familien, wie der Chemiker und Wissenschaftshistoriker Robert Rosner herausfand.

Hatte der Anteil jüdischer Studierender an der Universität Wien 1909/10 insgesamt bereits gut ein Viertel betragen, so stieg er während des Ersten Weltkriegs nicht zuletzt aufgrund der Studentinnen aus dem Osten auf über 50 Prozent an. Der jüdische Anteil an der Gesamtbevölkerung Wiens lag im Vergleich dazu gerade einmal bei zehn Prozent.

An der Uni Wien schürte das den Antisemitismus. So etwa brachte der Paläobiologe Othenio Abel, einer der führenden akademischen Antisemiten nach 1918, sein Missfallen folgendermaßen zum Ausdruck: "Das Lesen an der Alma mater macht mir jetzt sehr wenig Freude. Meine tüchtigen Studenten stehen an der Front, und was zurückgeblieben ist, sind polnische Juden und Jüdinnen, deren Anblick allein schon Brechreiz erregt."

Kein Krieg in der Vorlesung

Auf die Lehrinhalte an der Universität Wien und den anderen Hochschulen wirkte sich das Kriegsgeschehen hingegen so gut wie gar nicht aus. Einzig an der Medizinischen Fakultät richtete man sich auf die speziellen Anforderungen ein und bot einige wenige Kures über "Kriegs-Röntgenologie" oder "Militärhygiene" an, zumal Geschlechtskrankheiten zu einem großen Problem nicht nur im Heer wurden.

Eine starke Adaptierung gab es hingegen bei den "Volkstümlichen Universitätsvorträgen", die seit 1895 von Dozenten der Uni Wien und der Technischen Hochschule für ein nichtakademisches Publikum angeboten wurden. Der für die Planung verantwortliche Sekretär dieses Kursprogramms war der Historiker Ludo Moritz Hartmann, ein Sozialdemokrat, der davon überzeugt war, dass sich "das Volksbildungswesen dem Kriege anpassen" müsse.

Doch die Kriegskurse kamen nach anfänglichem Zuspruch bei der Wiener Bevölkerung bald überhaupt nicht mehr gut an. Deshalb stellte Hartmann das Programm wieder auf das Vorkriegsangebot um. Und prompt kamen auch wieder die bildungshungrigen Wiener, die im Krieg nicht auch noch über den Krieg belehrt, sondern lieber erbaulich abgelenkt werden wollten. (Klaus Taschwer, DER STANDARD, 13.11.2013)