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Durch das Wegfallen von vorzeitiger Alterspension ("Hacklerregelung") und Invaliditätspension werden die Jahre vor der Pension für viele Frauen noch härter als bisher.

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AK-Arbeitsmarktexpertin Ingrid Moritz rechnet bis 2020 mit rund 50.000 Frauen mehr am Arbeitsmarkt.

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Die ÖVP wird nicht müde, an der vereinbarten Regelung zum Frauenpensionsalter zu rütteln. Die AK-Arbeitsmarktexpertin Ingrid Moritz hält von der Forderung nichts: damit würde bereits der nächste Schritt gemacht, ohne die vielen Probleme, vor denen ältere ArbeitnehmerInnen bereits jetzt stehen, gelöst zu haben, warnt sie. Auch dem Argument, dass mehr Erwerbsjahre eigentlich eine Frauenfördermaßnahme seien, kann sie wenig abgewinnen:

dieStandard.at: In den laufenden Koalitionsverhandlungen steht das frühere Frauenpensionsalter wieder einmal unter Beschuss. Dabei liegt das faktische Antrittsalter von Männern (59) und Frauen (57) nur zwei Jahre auseinander. Reiner Populismus?

Moritz: Die Diskussion wird sehr verkürzt geführt. Die zentrale Frage lautet doch: Wo stehen die Frauen am Arbeitsmarkt?  Dieses vielschichtige Thema wird aber einzig auf das Antrittsalter von Frauen fokussiert und das verkennt die Probleme am Arbeitsmarkt. Denn es bewegt sich bereits irrsinnig viel in diesem Bereich, was den Druck auf Frauen noch verstärken wird.

dieStandard.at: Was sind die größten Probleme, mit denen ältere Frauen am Arbeitsmarkt zu kämpfen haben?

Moritz: Wir haben seit Beginn der Krise rund 100.000 zusätzliche Arbeitslose. Das erhöht natürlich den Druck, einen Arbeitsplatz zu finden, enorm. Bei älteren Menschen ist es nochmal schwieriger, dass sie wieder in den Arbeitsmarkt reinkommen. Eine Studie von Synthesis im Auftrag von AMS hat gezeigt, dass der Handel, die Gastronomie und sonstige wirtschaftliche Dienstleistungen sehr wenige ältere Menschen beschäftigen. Das sind aber Branchen, in denen vor allem Frauen arbeiten.

Bei den älteren Frauen haben wir auch das Problem, dass sehr viele im unqualifizierten Bereich tätig sind. 31 Prozent der Frauen ab 50 arbeiten in Hilfs- und Anlerntätigkeiten, bei den Frauen allgemein sind es 26 Prozent. Dort gibt es besonders belastende Arbeitsbedingungen, wie in der Reinigung, als Heimhilfen oder im Gastgewerbe. In diesen Branchen ist es schwierig, bis zum gesetzlichen Pensionsalter durchzuhalten. Viele haben gesundheitliche Probleme.

dieStandard.at: Welche Konsequenzen hat das derzeit?

Moritz: Fast die Hälfte aller Frauen gehen aus der Arbeitslosigkeit oder Invalidität in Pension. Dass jetzt die vorzeitigen Alterspensionen (wie Pension wegen langer Versicherungsdauer oder auch die Invaliditätspension) auslaufen, wird das  Problem noch verstärken: Noch mehr Frauen werden nach Arbeit suchen. Berechnungen aus unserem Haus gehen davon aus, dass bis 2020 rund 50.000 Frauen mehr auf dem Arbeitsmarkt unterwegs sein werden.

Wenn man jetzt das Frauenantrittsalter erhöht, macht man schon den nächsten Schritt, ohne die Probleme, die sich aus den eben beschriebenen Änderungen ergeben, gelöst zu haben. Diese Entwicklung wird dazu führen, dass noch mehr Frauen arbeitslos sind und prekäre Jobs annehmen müssen. Es wird zu einer noch schlechteren finanziellen Absicherung von Frauen führen.

dieStandard.at: Dennoch wird eine Erhöhung des Antritts zum Teil auch als Chance für Frauen auf eine höhere Pension verkauft.

Moritz: Dieses Argument halte ich für zynisch, denn hier werden alle Frauen über einen Kamm geschert. Zudem verbietet das Gleichbehandlungsrecht aufgrund einer Gerichtsentscheidung, dass Frauen gegen ihren Willen bei Erreichen des Regelpensionsalters in den Ruhestand geschickt werden. Jede Frau, die gern länger arbeiten würde, kann das tun.  Diese Information ist aber offenbar bei den Menschen noch nicht angekommen.

dieStandard.at: Die Krise trifft ja auch Männer sehr stark. Wie sieht die Situation derzeit für sie aus?

Moritz: Wenn man sich die letzten Jahre bis zum Regelpensionsalter ansieht, dann haben wir bei den 60 bis 64-Jährigen Männern eine Arbeitslosenquote von 13,4 Prozent, bei den 55 bis 59-Jährigen Frauen sind es hingegen "nur" 7,3 Prozent. Wobei man auch sagen muss, dass Frauen sich bei Arbeitslosigkeit häufiger vom Arbeitsmarkt zurückziehen. Mit zunehmendem Alter steigt sowohl bei Männern als auch bei Frauen die Arbeitslosigkeit. Die Lösung dieses Problems kann aber nicht sein: machen wir es doch genauso schwierig für die Frauen.

dieStandard.at: Anfang der 1990er hat das Verfassungsgericht festgestellt, dass das  niedrigere Frauenantrittsalter dem Gleichheitsgrundsatz widerspricht. Seither haben wir die Einschleifregelung ab 2024. Wie wurde diese damals begründet?

Moritz: In Anbetracht der fehlenden Chancengleichheit von Männer und Frauen in sozialen, ökonomischen und familiären Belangen konnte Frauenministerin Johanna Dohnal damals ein umfangreiches Gleichbehandlungspaket schnüren, das von einem Bundes-Berichtslegungsgesetz über den Abbau von Benachteiligungen von Frauen begleitet wurde. Dieses und weitere Maßnahmen sollten sicherstellen, dass bis zur Fristsetzung tatsächliche Gleichstellung im Sozial- und Arbeitsmarktbereich erreicht sei.

dieStandard.at: Heißt das, die Anhebung dürfte eigentlich erst dann kommen, wenn tatsächliche Gleichstellung zwischen den Geschlechtern erreicht ist?

Moritz: So kann man das leider nicht interpretieren. Denn das Berichtsgesetz hat ein klares Ablaufdatum mit 31.12.2018. Der Knackpunkt ist tatsächlich, was passiert, damit die Frauen die nötigen Voraussetzungen finden, um am Arbeitsmarkt gleichberechtigt teilnehmen können.

dieStandard.at: Zehn Jahre haben wir noch Zeit, bis der Antritt schrittweise angehoben wird. Was müsste für ältere Frauen bis dahin passieren?

Moritz: Da gäbe es einiges zu tun. Die Betriebe müssten ganz allgemein ihr Einstellungsverhalten ändern. Es braucht Arbeitsbedingungen, die einen langen und gesunden Verbleib an der Arbeitsstelle ermöglichen.

Was die Frauen betrifft, so geht es jetzt erst einmal darum, dass wir sie bis zum Regelpensionalter im Arbeitsmarkt halten können. Wir brauchen auch noch  Investitionen in einen rascheren Wiedereinstieg nach der Babypause und höhere Arbeitszeiten für Frauen. Hier geht es vor allem um Kinderbetreuung. Ganz wichtig ist auch die Pflege. Rund 10 Prozent der erwerbsfähigen Frauen pflegen derzeit einen Angehörigen, bei den Männern sind es sechs Prozent. Es gäbe viele Möglichkeiten, die Erwerbstätigkeit von Frauen zu stärken, ohne dann am Schluss den Druck aufzubauen.

dieStandard.at: Frauen sind zunehmend besser qualifiziert. Hat das in den letzten Jahren zu einer Verbesserung bei den niedrigen Frauenpensionen geführt?

Moritz: Wir hatten 2012 bei den Direktpensionen der Unselbständigen bei Frauen den Median von 858 Euro, bei Männern von 1665 Euro. Es zeigt sich bei den neu zuerkannten Pensionen zwar eine leichte Besserung (Frauen 985 Euro, Männer 1653 Euro), doch angesichts der weit verbreiteten Teilzeit von Frauen glaube ich nicht, dass wir hier vor einer längerfristig positiven Entwicklung stehen. (Ina Freudenschuß, dieStandard.at, 1.12.2013)