"Das ist der Mensch! Einer, der erkannt hat, dass er für seine Evolution verantwortlich ist", sagt die Biochemikerin Renée Schroeder.

Foto: Residenz Verlag

Für all diejenigen, die den Namen ihres Forschungsgebietes als abschreckend empfinden: Renée Schroeder, die für ihre Forschungen im Bereich Biochemie im Jahr 2003 mit dem Wittgensteinpreis ausgezeichnet wurde, kann auch anders. In ihrem jüngsten Buch, das sie gemeinsam mit der Journalistin Ursel Nendzig verfasst hat, beschränkt sich Schroeder nicht auf ihre Spezialdisziplin die Ribonukleinsäure, sondern stellt ihre Erkenntnisse auf dem Gebiet der Biochemie in einen direkten Zusammenhang mit gesellschaftlichen Entwicklungen, insbesondere der Überbevölkerung der Erde.

Keine Streitschrift

Schließlich möchte das Werk unter dem Titel "Von Menschen, Zellen und Waschmaschinen" nichts weniger als zur "Rettung der Welt" anstiften. Schroeder schreibt also an gegen den "Wachstumswahn", plädiert für eine Schonung der Ressourcen und vor allem eine Kultur des Miteinanders, die den permanenten Wettstreit des "höher, besser, weiter" ersetzen soll.  "Three-Inch-Society" nennt die Wissenschafterin unsere Gesellschaft, inspiriert von "diesem öden Spam-Mails, die damit werben, dass man seinen Penis um drei Inches verlängern könne". Schroeders Befund: Die Gesellschaft sei dominiert von dem Wunsch nach Länge, Größe, Macht und Einfluss.

Eine Streitschrift im Sinne des Hessel'schen "Engagiert euch!" ist ihr Buch nicht geworden. Auch wenn die zehn Gebote im Epilog den Einzelnen zu konkretem Handeln motivieren sollen.

Schroeders Thesen für das künftige Leben auf dem Planeten Erde sind mehr ein Überblick über verschiedene Wege aus der Krise. Und sie liefern Einblick in die gedankliche Weite der Wissenschafterin. Etwa wenn sie die Frage aufwirft, ob der Rückgang der Fertilitätsrate mit einer Art "quorum sensing" - also dem Spüren, wann es genug ist mit der Bevölkerungsdichte - erklärbar ist.

Biologie wo man hinschaut

An den Beginn ihres Buches stellt Schroeder eine Erzählart von Platons Höhlengleichnis. Die Geschichte von den in der Höhle gefangenen Menschen, die mit dem Rücken zum Eingang sitzen und also alles Sein nur als Schatten an der Höhlenwand kennen, dient ihr als Ausgangspunkt, das Hinterfragen bewährter Erzähl- und Erklärmuster einzufordern. Danach beschäftigt sie sich mit Bevölkerungswachstum und Geburtenkontrolle und liefert dabei immer wieder interessante Querverweise in die Biologie. Immerhin sind auch Bakterien zu altruistischem Verhalten im Stande, ganz im Sinne des Gemeinwohls. Ein Querlesen der Kapitel, wie im Vorwort angeregt, ist nicht ratsam, wenn man nicht ständig zwischen Begriffsdefinitionen hin- und herblättern will.

Wirklich mitreissend wird Schroeder an jenen Stellen, wo es um Religion geht. Wenig überraschend ist sie Atheistin und formuliert in diesem Bereich mit lässiger Schärfe, etwa: "Ich hoffe, (..) der Papst liest dieses Buch, macht sich Gedanken und überlegt dann, was er seinen Schäfchen so befiehlt." Denn Gott ist für sie nichts anderes als "eine der erfolgreichsten Erfindungen der Menschheit, die im Lauf der Geschichte oft als Waffe missbraucht wurde. Der Gottesbegriff ist eines der stärksten Hindernisse auf dem Weg der Wahrheitserkenntnis".

Verknappter Feminismus

Empören kann sich Schroeder auch als Feminstin. Etwa wenn es um den Kopftuchzwang für Frauen geht. Da wird sie pontiert: "Können Sie sich das vorstellen? Diesen Schwachsinn gibt es schon seit 4000 Jahren!" Dass sie im Verlauf des Buches dann mitunter simple Rezepte für eine Gesellschaft, die stärker weiblich dominiert sein soll, vorlegt, mag an der generellen Tendenz zur Unterschätzung ihrer LeserInnenschaft liegen. Denn dass mit Waschmaschinen für alle der Schlüssel zu Bildung und damit zur Rettung der Welt gefunden wäre, ist ähnlich verknappt und simplifiziert, wie das Glossar am Ende des Buches. Mit dem Erklären von Begriffen wie "Egoismus", "Dschihad", oder "Hunger", setzt die Wissenschafterin die Latte zu tief. (Karin Riss, dieStandard.at, 29.01.2014)