Zur ihrem 100. Geburtstag: Käthe Leichter auf einer Briefmarke aus dem Jahr 1995.

Foto: mandelbaum verlag

Bettina Haidinger, Käthe Knittler
Feministische Ökonomie
Intro
Mandelbaum-Verlag 2014
140 Seiten, 12 Euro

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Käther Leichter war überzeugt, dass im Kapitalismus Frauen immer ausgebeutet und unterdrückt sein werden: Als Frau und als Arbeiterin.

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Sei es in der Naturwissenschaft oder Politik – in vielen Bereichen der Menschheitsgeschichte ist die Rolle der Frauen mittlerweile gut dokumentiert. Im gesellschaftspolitisch so wichtigen Feld der Ökonomie dagegen herrscht, was die Frauen betrifft, immer noch: Schweigen. Dabei gibt es bereits seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts das, was man heute als feministische Ökonomie bezeichnet. Sie macht geschlechtliche Ungleichheiten in der ansonsten geschlechtsneutralen (man könnte auch sagen: -blinden) Lehre sichtbar, deckt Herrschafts- und Ausbeutungsmechanismen auf, macht den Beitrag der unbezahlten Haus- und Reproduktionsarbeit zur Volkswirtschaft zum Thema und übt Kritik am herrschenden ökonomischen Mainstream, an naturalisierten Lehrmeinungen.

Großes Schweigen in den Lehrbüchern

Die Wiener Ökonomin Käthe Knittler hat gemeinsam mit Bettina Haidinger die Einführung "Feministische Ökonomie" verfasst. Darin hinterfragen sie nicht nur die herrschende Wirtschaftstheorie und entwickeln Alternativen, sie suchen auch nach historischen Ökonominnen. In der Geschichtsschreibung nämlich, sagt Käthe Knittler im Gespräch mit dieStandard.at, werden die Frauenfiguren einfach ausgespart: "Das ist ein Thema, das viel zu wenig bearbeitet und beachtet ist. Wenn man heute VWL studiert, erfährt man nichts darüber." Auch in den Lehrbüchern herrsche "großes Schweigen".

Dabei gibt es in Österreich zahlreiche Frauen, die nennenswert wären. Knittler zählt auf, wo diese im 19. und 20. Jahrhundert zu finden waren: "im Rahmen der bürgerlichen Frauenbewegung, in der Gewerkschafts- und Arbeiterinnenbewegung und im Zuge der Öffnung der Unis unter den ersten Frauen, die studiert haben". Während in Deutschland so prominente Frauen wie Clara Zetkin und Rosa Luxemburg (eine studierte Ökonomin) sich mit Fragen der Frauenarbeit beschäftigten, gehört in Österreich neben Lily Braun, Adelheid Popp, Emmy Freundlich und vielen anderen vor allem Käthe Leichter (1895–1942) zu den Pionierinnen der feministischen Ökonomie.

Als Austromarxistin war sie in der sozialdemokratischen Arbeiterpartei aktiv und begründete die Revolutionären Sozialisten mit. Leichter war eine der ersten Frauen, die in Österreich Volkswirtschaft studierten – mit einer Ausnahmeregelung. 1925 gründete sie das Frauenreferat der Arbeiterkammer Wien und die Frauenbeilage der Zeitschrift "Arbeit und Wirtschaft". Zudem gab sie das "Handbuch der Frauenarbeit in Österreich" heraus, lange Zeit ein Standardwerk. Auch die Studie "So leben wir ... 1320 Industriearbeiterinnen berichten über ihr Leben" hat Leichter in kollektiver Arbeit durchgeführt. Für Käthe Knittler eine der "beeindruckendsten Studien, die zu dieser Zeit gemacht worden sind – auch wegen der Verknüpfung der Lebensbereiche Erwerbsarbeit, Hausarbeit und Freizeit". Die Frage danach, was überhaupt als Arbeit definiert wird, sei so dezidiert erst wieder mit der Zweiten Frauenbewegung aufgekommen.

Je stärker die Krise, deso mehr Ausbeutung

Käthe Leichter beschäftigte sich vor allem mit der Lage der Frauen auf dem Arbeitsmarkt. Dabei, betont Käthe Knittler, habe sie die Frauen nie als Opfer der Verhältnisse dargestellt, sondern ihnen im Gegenteil Aktionsmöglichkeiten zugestanden. In der krisenhaften Wirtschaftslage der Zeit, geprägt von Inflation, Umstrukturierungs- und Rationalisierungsprozessen, untersuchte sie, wie die Wirtschaftskrise sich auf die arbeitenden Frauen auswirkt. Dabei habe sie nie "den schnellen Reflex gehabt zu sagen: Es sind immer die Frauen, die es zuerst und am stärksten trifft, die Frauen sind am ärmsten." Trotzdem habe sie – mit frappierenden Parallelen zu heute – festgestellt: "'Von Konjunktureinbußen sind Frauen als Erste betroffen' - den Satz findet man bei ihr damals auch schon."

Leichter habe daneben ganz konkrete Forderungen gestellt, etwa nach Schutzgesetzen oder mehr Inspektoren, um die Einhaltung von Arbeitsrechten zu kontrollieren. Auch hier gibt es klare Parallelen: "Je stärker die Krise", stellt Käthe Knittler fest, "umso mehr intensiviert sich die Ausbeutung. Käthe Leichter beschreibt, wie es durch Wirtschaftskrisen zu mehr Unfällen und Krankheiten am Arbeitsplatz kommt - Effekte, die man heute auch noch beobachten kann."

Braindrain statt Kontinuität

Worum es Käthe Leichter als Austromarxistin und Teil der Arbeiterinnenbewegung letzten Endes ging, war eine Überwindung des Kapitalismus. "Die Überzeugung war, im Kapitalismus wird die Frau immer ausgebeutet und unterdrückt sein, und das doppelt: als Frau und als Arbeiterin." Angesichts des erstarkenden Nationalsozialismus habe sie dabei gewusst: "Nur die richtigen Forderungen reichen nicht, man muss eine Basis schaffen, um sie durchzusetzen. Das war sicherlich getrieben von der Angst: Wenn man diese Kämpfe verliert, kommt der Faschismus. Was ja dann auch so war."

Käthe Leichter wurde 1940 im Frauenkonzentrationslager Ravensbrück ermordet. Auch die anderen Ökonominnen waren zu großen Teilen politisch aktiv und/oder Jüdinnen, sie wurden in die Emigration gezwungen oder ermordet. Käthe Knittler sieht darin den Grund, warum keine Kontinuität zwischen Erster und Zweiter Frauenbewegung entstehen konnte. Die Frauen, die überlebt haben, hätten im Ausland beachtliche Karrieren gemacht, in Österreich dagegen führte es zu einer Art Braindrain: "Sie waren nicht mehr da, um zum Beispiel in der Nationalbank zu arbeiten. Für die nachfolgenden Generationen waren sie keine möglichen Vorbilder – weil sie nicht da waren."

Unterschiedliche Strömungen

Eine der Ökonominnen, die zurück nach Österreich kamen, war Maria Szécsi-März (1914–1984). 1919 kam ihre Familie nach der fehlgeschlagenen ungarischen Revolution nach Wien, 1938 wurde sie erneut zur Emigration, dieses Mal in die USA, gezwungen, wo sie Ökonomie studierte. In Wien war sie seit 1960 in der Wirtschaftswissenschaftlichen Abteilung der Arbeiterkammer tätig. Ihre Studie "Der Lohnanteil am österreichischen Volkseinkommen 1913–1967" gilt noch heute als richtungsweisend, daneben war sie die erste Frau in der damaligen Paritätischen Kommission für Preis- und Lohnfragen.

Maria Szécsi-März ist ein gutes Beispiel dafür, welche unterschiedlichen Strömungen es innerhalb der feministischen oder von Frauen betriebenen Ökonomie gibt. Während Leichter sich dezidiert mit der Situation der Frau am Arbeitsmarkt auseinandersetzte, gehörte Szécsi-März zu den VertreterInnen der keynesianischen Denkrichtung und beschäftigte sich mit dem Lohnanteil am Volkseinkommen.

Reproduktionsarbeit neu organisieren

Speziell die feministische Ökonomie aber, die den Faktor Geschlecht in ihre Untersuchungen einbezieht, könnte der Disziplin neue Impulse und Richtungen geben. Darüber hinaus würde sie der Disziplin endlich einen vollständigen Untersuchungsgegenstand liefern. Oder, wie Käthe Knittler sagt: "Man muss sich die ganze Welt anschauen, nicht nur die halbe. Wenn man lediglich die Arbeit untersucht, die bezahlt wird, ist das schlicht und ergreifend nur die Hälfte dessen, was notwendig ist, um unser Leben und die Volkswirtschaft aufrechtzuerhalten."

Schließlich werde in der anderen Hälfte der Zeit unbezahlt gearbeitet, "hauptsächlich Haus- und Reproduktionstätigkeiten. Ein Teilbereich feministischer Ökonomie ist, wie kann man Kindererziehung, Alten- und Krankenbetreuung jenseits der Institution Familie organisieren – und auch jenseits vom Markt, der immer profitorientiert agiert." Gerade diese Fragen müssen in der westlichen, zunehmend überalternden Welt dringend geklärt werden. Denn letzten Endes profitieren von einer feministischen Ökonomie nicht nur die Frauen – sondern alle. (Andrea Heinz, dieStandard.at, 9.2.2014)