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Inna Schevtschenko, Anführerin der Femen-Gruppe in Paris, zeigt sich gerne kämpferisch. 

Foto: Reuters/Platiau

Das Buch ist noch nicht erschienen, aber es gibt in Paris schon viel zu reden. Die Autorin bleibt vorläufig unbekannt; in den Medien lässt sie zur Sicherheit ihre Stimme verstellen und sich mit "Alice" anreden. Man weiß von ihr nur, dass sie ungefähr dreißig ist und bei Femen mitmachte. Nach einem Jahr trennte sie sich von ihren Streitgenossinnen, die sich selbst als "Sextremistinnen" bezeichnen und mit barbusigen Auftritten provozieren.

Nun schreibt sie ein Buch über ihre Erfahrungen und schaltet Interviews vor. Femen sei eine "diktatorische Organisation", in der ein "Phänomen der Meute" gelte, meinte die Französin in der Zeitung Le Figaro: "Wer nicht mit allem einverstanden ist, wird beiseite geschoben." Unter den Verbleibenden komme es zu "einer langsam fortschreitenden Unterwerfung", die sie im Alltag sonst verweigere, erklärt die junge Frau, die betont, sie halte ihr feministisches Engagement weiter hoch.

Die Femen-Methoden schildert sie hingegen als geradezu totalitär: Ständig müssten die Frauen Slogans und Prinzipien auswendig lernen, um sie mechanisch rezitieren zu können. Ein kritischer Geist sei nicht gefragt.

Aussehen allein zählt

"Du existierst nicht als Individuum, du denkst nicht mehr selbst, sondern durch die Gruppe, du schluckst, was dir eingetrichtert wird", schildert die ehemalige Mitstreiterin. Wer an den spektakulären Kommandooperationen teilnehme, werde von oben bestimmt - aufgrund von unhaltbaren physischen Kriterien. Viele Frauen hätten deshalb Femen den Rücken gekehrt, behauptet die Dissidentin; die Zahl jener Mitglieder, die effektiv in Aktion träten, sei von vierzig auf fünfzehn gesunken. Femen-Leaderin Inna Schevtschenko reagierte sehr impulsiv, ohne die Zahlen infrage zu stellen. In einem Beitrag für die Huffington Post schrieb die Ukrainerin: "Femen ist eine militante Gruppe. Die Atmosphäre ist kriegerisch. Wir treffen uns nicht, um im Ausgang ein Glas zu trinken, sondern um zu kämpfen. Ja, wir haben eine ausgeprägte Hierarchie; sie ist nötig für komplexe Operationen."

Ansonsten meint Schevtschenko, man versuche Femen als "satanische Sekte" einzustufen, also mit dem "Vokabular der Inquisition" zu treffen. "Solange das durch Frömmler behauptet wird, die lieber auf die Bibel als auf die Verfassung schwören, werden wir sie mit Freude bekämpfen."

Die neue Polemik wirbelt in Paris, dem Standort des Femen-Hauptsitzes, viel Staub auf. Am kommenden Mittwoch müssen sich die Feministinnen vor einem Gericht verantworten, nachdem sie halbnackt die Kathedrale Notre-Dame geentert und eine Zeremonie gestört hatten. Eine andere Ermittlung läuft, da barbusige Aktivistinnen vor dem Altar der Madeleine-Kirche eine Kalbsleber als Sinnbild eines abgetriebenen Fötus deponierten und auf den Boden urinierten.

Das sorgte in Frankreich für viel Unmut und wurde auch von der sozialistischen Bürgermeisterkandidatin in Paris, Anne Hidalgo, verurteilt. Kirchennahe Parlamentarier laufen ohnehin Sturm gegen Femen: Sie verlangen nicht nur die Einstufung von Femen als Sekte, sondern auch den Rückzug der wichtigsten französischen Briefmarke, deren Frauenantlitz dem Konterfei Schevtschenkos nachempfunden sein soll.

Dass Le Figaro als Erstes über die ausgetretene "Femenistin" mit dem Pseudonym Alice berichtete, ist kein Zufall. Zuvor hatte die Zeitung schon behauptet, dass Femen einem Ukrainer namens Viktor Sviatski wie einem Guru folge und unbekannte Geldgeber habe. Belegt sind diese Vorwürfe kaum. Die Kritik aus den eigenen Reihen dürfte dem Image der furchtlosen Kämpferinnen bedeutend mehr schaden. (Stefan Brändle aus Paris, DER STANDARD, 17.2.2014)