Kinder zwischen den Fronten der getrennten Eltern: Eine wesentliche Verbesserung hat das neue Obsorge-Gesetz offenbar (noch) nicht gebracht.

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Kaum eine Gesetzesnovelle war in den letzten Jahren von so vielen Diskussionen und Streitereien begleitet wie das Kindschafts- und Namensrechtsänderungsgesetz 2012 (KindNamRÄG 2012), das die Obsorge in Österreich neu regeln sollte.

Hoffnungen und Ängste

Erreichen wollte man damit vor allem kürzere Verfahren bei strittigen Sorge- und Kontaktrechtsfällen sowie eine Deeskalation der elterlichen Streits durch die verordnete "Abkühlphase" - eine Art gemeinsame Obsorge auf Probe. Nicht zuletzt sollten uneheliche Väter mehr Rechte erhalten - letztere dürfen nun auch ohne Einwilligung der Mutter den Antrag auf gemeinsame Obsorge stellen.

Befürchtungen und Ängste wurden allerdings auch groß geschrieben. Die Gerichte sahen eine Flut an Neuanträgen von getrennt lebenden Vätern auf sie zukommen, die das Gerichtssystem über Jahre blockieren könnte. Frauenorganisationen protestierten, dass die Rechte von Müttern beschnitten würden und sie von gewalttätigen Ex-Partnern aufgrund des neuen Antragsrechts unter Druck gesetzt werden könnten.

Flut an Neuanträgen blieb aus

Nun ist das Gesetz seit einem Jahr in Kraft. Fragt man Expertinnen, zeigt sich in einer ersten Bestandsaufnahme ein durchwachsenes Bild. Von einer kürzeren Verfahrensdauer kann nicht die Rede sein. Und auch der Nutzen zur Deeskalation bei strittigen Trennungen darf bezweifelt werden. Fix ist aber jedenfalls: Zu massenhaften Neuanträgen auf gemeinsame Obsorge von getrennt lebenden Vätern ist es nicht gekommen.

"Das ist zum Glück nicht eingetreten", bestätigt auch die Sprecherin der österreichischen FamilienrichterInnen, Doris Täubel-Weinreich. Offenbar wurde das Ausmaß der Unzufriedenheit bei diesen Vätern im Vorfeld als zu groß eingestuft. Vermutlich hat es sich aber auch herumgesprochen, dass die gemeinsame Obsorge Vätern nicht automatisch, also quasi per Gesetz, mehr Kontakt zum Kind ermöglicht. Immer noch muss bei einer Trennung der hauptsächliche Aufenthaltsort des Kindes bestimmt werden. Und an diesen Status sind eine Reihe von Vorrechten verknüpft. So ist es dieser Person etwa möglich, ohne Einwilligung des anderen Elternteils in ein anderes Bundesland zu ziehen. 

Gemeinsame Obsorge als Idealmodell

"Die Novelle hat dazu geführt, dass die gemeinsame Obsorge von den RichterInnen inzwischen als Idealmodell betrachtet wird. Gleichzeitig haben sie die Möglichkeit bekommen, besser auf den Einzelfall einzugehen", fasst Täubel-Weinreich die Veränderungen zusammen. Dass sich das Gesetz deeskalierend auf die strittigen Sorge- und Kontaktrechtsfälle auswirke, konnte sie jedoch bisher nicht beobachten.

Auch Scheidungsanwältin Christine Kolbitsch gibt hier keine Entwarnung. "Sehr viele Väter, die jetzt einen Neuantrag stellen, haben bereits ein strittiges Obsorgeverfahren hinter sich. In diesen Fällen beginnt das Ganze jetzt erneut vor Gericht."

Die strittigen Scheidungen und Trennungen mit Kindern machen laut Kolbitschs Schätzung rund 15 Prozent aller Fälle vor Gericht aus. Seit der Novelle wird in diesen Fällen die neu geschaffene Familiengerichtshilfe von den Gerichten unter anderem für fachliche Stellungnahmen herangezogen. Die Behörde sei mächtig, meint Kolbitsch, weil sich die RichterInnen in der Regel an diese Empfehlungen halten.

Das Problem dabei: Die Familiengerichtshilfe wird heute bei fast allen strittigen Fällen eingesetzt, was diese neue Behörde enorm belastet. Auf eine fachliche Stellungnahme warten die Gerichte durchschnittlich vier Monate – eine lange Zeit, wenn ein Konflikt zwischen den Eltern schwelt. Bis dato kann von der gewünschten Beschleunigung der Verfahren also nicht die Rede sein.

Abkühlphase praxistauglich?

Auffällig ist für Kolbitsch zudem, dass die RichterInnen so gut wie nie die neu definierte "Abkühlphase" verordnen. Täubel-Weinreich bestätigt eine große Zurückhaltung der Richterschaft: "In der Praxis ist sie schwierig. Das Gericht kann den vorgesehenen Betreuungsplan oft nicht ohne weitere Erhebungen bestimmen, zum Beispiel scheitert es oft an der Frage, ob das Kind beim anderen übernachten darf. Und wenn Erhebungen bereits gemacht sind, braucht es auch keine Abkühlphase mehr".

Anwältin Kolbitsch hält diese Vorsicht für übertrieben: "Derzeit wird bei jedem strittigen Fall die riesige Maschinerie der Familiengerichtshilfe in Gang gesetzt, obwohl oftmals schon von vornherein klar ist, dass eine gemeinsame Obsorge nicht funktionieren kann." Sie sieht die Abkühlphase im Prinzip positiv, denn hier könnten Väter beweisen, dass sie sich als Elternteil tatsächlich mehr einbringen und Müttern könnte die Angst vor der gemeinsamen Obsorge genommen werden, weil sie vielleicht sehen, dass sich im alltäglichen Leben für sie nicht viel ändert.

Gewalt weiterhin ein Problem

Und was hat die Novelle im Umgang mit besonders heiklen Fällen gebracht, etwa wenn Gewalt im Spiel ist? Dass aktenkundige Gewalt gegen die Mutter als Ausschließungsgrund für die gemeinsame Obsorge definiert wird, konnten Frauenorganisationen ja nicht durchsetzen. Immerhin definierte die Novelle aber erstmals auch das "Miterleben von Gewalt an einer nahen Bezugsperson" als abträglich für das Kindeswohl.

Dieser neue Passus hat laut Kolbitsch allerdings keine Auswirkungen auf die Urteilspraxis. "Die RichterInnen sind immer noch der Ansicht, dass Gewalt gegen die Mutter etwas anderes ist, als Gewalt gegenüber den Kindern." Nach wie vor werde die gemeinsame Obsorge trotz angezeigter Gewalt gegen die Mutter (beispielsweise durch Wegweisungen) verordnet – manchmal sogar mit dem Argument der Deeskalation.

Verpflichtende Beratung bewährt sich

Welche der zahlreichen Neuerungen zur Deeskalation haben sich denn dann überhaupt bewährt? Hier können sich die beiden Expertinnen auf die verpflichtende Familienberatung bei Scheidungen einigen. "Das Feedback der Eltern ist gut, auch wenn sie die Verpflichtung vorher vielleicht nicht so toll fanden", berichtet Täubel-Weinreich. Dabei werden die sich trennenden Eltern an einem Abend darüber informiert, wie ihre Kinder die Trennung erleben. Viele Eltern könnten anschließend die Vorzüge der gemeinsamen Obsorge erkennen, meint Täubel-Weinreich.

Für die strittigen Fälle mit wirklich heiklen Familiensituationen wünscht sich die Richterin allerdings mehr Angebote für längerfristige Eltern- und Erziehungsberatung. Mit der neuen Rechtslage hat das Gericht erstmals die Möglichkeit, Eltern zu dieser Form der Beratung zu verpflichten. Oftmals scheitere die Praxis jedoch am Geld – viele betroffene Eltern könnten sich die vorgeschriebenen acht bis zehn Termine bei einer Elternberatung schlicht nicht leisten. "Hier bräuchte es dringend geförderte Ansätze, damit sie auch wirklich allen Eltern zur Verfügung steht", so Täubel-Weinreich.

Was genau die Novelle gebracht hat und welche Probleme vor Gericht sie vielleicht sogar verschärft hat, kann genauer frühestens in einem Jahr gesagt werden. Dann liegen die ersten Zahlen der geplanten Evaluierung auf dem Tisch.  Die befriedigende Antwort auf den großen - für Viele sehr leidvollen - Familienhickhack vor Gericht ist die Reform aber vermutlich nicht. (Ina Freudenschuß, dieStandard.at, 23.2.2014)