Selbstporträt von Jasemin aus dem Buch "Körper und Migration".

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Henrike Terhart: Körper und Migration. Eine Studie zur Körperinszenierung junger Frauen in Text und Bild
Transcript Verlag 2014

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Eine junge Frau, Jasemin, sitzt frontal zur Kamera in der vertikalen Bildmittellinie des Bildes. Sie hat ein Bein lässig über das andere geschlagen und strahlt Selbstbewusstsein aus. Aber so würde das die Autorin nicht sagen. Henrike Terhart ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für vergleichende Bildungsforschung und Sozialwissenschaften an der Universität zu Köln. Mit dem nun vorliegenden Buch "Körper und Migration" hat sie eine ausführliche Studie zu Körperinszenierungen junger Frauen vorgelegt. Und zwar in Text und Bild.

Körper als Erfahrung und Zuschreibung

Sie hat zwölf junge Frauen zwischen 20 und 35 Jahren, die allein oder mit ihren Eltern nach Deutschland eingewandert sind, gebeten, sich selbst zu fotografieren und der Autorin für ein Interview zur Verfügung zu stehen. Die Frauen sollen sich selbst inszenieren – und zwar in Alltagssituationen wie "in der Fußgängerzone", "im Café", "bei der Arbeit", "mit dem Partner" oder "in der Familie". Warum hat Terhart diesen Zugang gewählt? Ob jemand zugehörig oder als "nicht von hier" gilt, wird in Kontext von Migration oft an Körperlichem festgemacht – etwa an der Haut- und Haarfarbe und am Auftreten. Doch wie hängen Fragen nach dem Körper und nach Migration als Erfahrung und als Zuschreibung zusammen? Dies ist der Forschungsgegenstand dieser Studie.

Ihre Vorgehensweise, erläutert die Autorin auf gut 160 Seiten, kommt vom "linguistic turn" in den Kulturwissenschaften, also dem Ansatz, die "Welt als Text“ zu begreifen. Terhart plädiert hingegen für eine Kombination aus Text- und Bildanalyse, weil "Bild und Text andere jeweils wichtige Forschungszugänge" ermöglichen.  Dies geschieht im wissenschaftlichen Sinn vorbildhaft, ist für eine Publikation im nicht rein akademischen Kontext aber etwas zu ausführlich geraten. Hier hätte der Verlag stärker eingreifen können – und sollen.

Selbstbestimmung als Migrationseffekt

Die Fallbeispiele selbst sind aber sehr spannend und auch für den nicht akademischen Diskurs über Migration erhellend. Am Beispiel von Meiling, die Namen aller Frauen wurden geändert, 32 Jahre alt und aus China, gelingt der Autorin in einer Foto- und Interviewanalyse eine Annäherung an das Thema Selbstbestimmung und Migration. Wie sich an diesem Beispiel zeigt, ermöglicht das Verlassen der Heimat offenbar auch, sich von den dort vorherrschenden Körpernormen zu befreien. Doch erst im Vergleich mit anderen Migrationsschicksalen anderer Frauen, zeigt die Analyse ihre Stärken.

Nikita aus Kasachstan zum Beispiel erlebt ihre "andere Körperlichkeit" - sie beschreibt sich als abgehärteter, aber auch plumper als die westlich-europäischen Frauen - als "Ressource und Risiko".  Jasemin, Ende der 1970er-Jahre in Deutschland geboren, hat einen türkischen Migrationshintergrund, und beschreibt sich unter anderem im Unterschied zu ihrer Mutter. Auffallend ist, dass Jasemin ihre Körperlichkeit als Abfolge der Generationen und nicht wie Meiling und Nikita als Kulturerfahrung präsentiert.

Bildung als Voraussetzung für Inszenierung

Für Leyla aus dem Libanon ist migrieren ein "normalisierender Schritt" für ihre sexuelle Orientierung. Sie ist lesbisch und kann dies in Deutschland offen leben.  Allen bisher beschriebenen Frauen gemeinsam ist ein hoher Bildungshintergrund. Dies fällt auch der Autorin auf. Sie versucht, "Frauen mit niedriger Bildung" für die Studie zu gewinnen, was sich, wie sie es beschreibt, als schwierig erweist. Sie macht einen Aushang an verschiedenen Bildungseinrichtungen, Integrationskursen und Uniseminaren und streut ihre Suchanfrage im Bekanntenkreis. Frauen, die diese Einrichtungen nicht aufsuchen oder nicht Deutsch oder Englisch sprechen, erreicht sie nicht. Dies ist ein Manko, das auch die Grenzen dieser Herangehensweise aufzeigt.

Wer sich nicht als handlungsmächtiges Subjekt erlebt, kann sich natürlich auch nicht selbst inszenieren. Das Verhältnis von Körper und Sozialität, von körperlicher Empfindung und Zuschreibungserfahrung kollabiert dann in Sprachlosigkeit.

Dort, wo Selbstinszenierung überhaupt möglich ist, wird sie von den jungen Frauen aber tatkräftig in Anspruch genommen. Mina, sie trägt als einzige der Teilnehmerinnen ein Kopftuch, lehnt die Ablichtung ihres Gesichts ab, obwohl ihr wie allen anderen Frauen die Anonymisierung durch Verpixelung zugesichert wird. Sie verändert bei ihren Selbstportraits die Einstellung der Kamera so, dass ihr Gesicht nur bis zur Oberlippe zu sehen ist. Sie möchte sich anonymisiert, aber als kopftuchtragende Frau zeigen.

So ist dieses Buch – in seiner Beschränktheit und in seiner Vielfalt – zumindest ein Anstoß, in der Migrationsforschung die Relevanz des Körperlichen zu berücksichtigen. Eröffnet sie doch einen Raum für Ambivalenz und Selbstgestaltung. (Tanja Paar, dieStandard.at, 27.2.2014)