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Margaret Atwood, 74, hat wiederholt gesagt, dass Frauen "menschliche Wesen" sind. Als Feministin sieht sie sich deshalb noch lange nicht.

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Margaret Atwood: Die Geschichte von Zeb
Berlin Verlag 2014
(Erscheinungstermin: 10. März)
ISBN-13: 978-3827011725

Foto: Berlin Verlag

Der Klimawandel ist nicht unser dringendstes Problem. So zumindest sehen das laut einer EU-Umfrage zum Klimawandel die BürgerInnen – das Thema kommt erst an dritter Stelle, wichtiger scheint die Beschäftigung mit Armut und Wirtschaft. Wohin das noch führen könnte, zeigt die kanadische Autorin Margaret Atwood im Roman "Die Geschichte von Zeb", der am 10. März auf Deutsch erscheinen wird. Als letzter Teil ihrer Trilogie der Dystopien, in Nachfolge und Ergänzung zu den beiden ersten Teilen "Oryx und Crake" (2003) und "Das Jahr der Flut" (2009), erzählt sie von einer Welt nach dem Weltuntergang. Die "wasserlose Flut", eine globale Seuche, hat die Menschheit ausgelöscht. Der Bogen war überspannt worden: Rücksichtslose Ausbeutung von Umwelt und Menschen (eine Steigerung dessen noch, was wir als Turbokapitalismus kennen) hatte das Abtreten des Menschengeschlechtes dringend nötig gemacht.

Nun erzählt Atwood auch im dritten Teil, der im Original "MaddAddam" heißt, wie es nach der Apokalypse mit den wenigen überlebenden Menschen sowie der neuen, transgenen Menschenrasse der Craker (die bereits in "Oryx und Crake" geschaffen wurden) weitergeht. Sie tut das mit großem Sendungsbewusstsein, aber auch mit saftiger, blühender Phantasie und all ihrem verfügbaren schriftstellerischen Können. Sie habe etwas geschaffen, das an Shakespeares späte Komödien erinnere, schreibt etwa Schriftstellerin Michèle Roberts im britischen Independent: "Ihr geistreicher und schwarzer Humor kombiniert mit einer mitfühlenden Zartheit für die sich abmühenden menschlichen Wesen."

Frauen sind menschliche Wesen

Atwood ist nun 74 Jahre alt, sie ist Literaturwissenschafterin und wird als Schriftstellerin und Dichterin schon länger als Anwärterin auf den Nobelpreis gehandelt (auch wenn die Verleihung an ihre Landsfrau Alice Munro die Chancen geschmälert haben mag). Vor allem aber ist sie höchst aktiv. Für ein Interview hatte sie nur per Mail Zeit, war sie doch gerade auf dem Sprung: unterwegs nach Norwich, wo sie eine Gastprofessur innehat. Wie kaum eine andere Autorin hat Atwood feministische Fragestellungen der zweiten Frauenbewegung in Prosa übersetzt – im deutschsprachigen Raum gelang ihr vor allem mit "Der Report der Magd (1987) ein großer Erfolg. Dabei handelt es sich um einen dystopischen Roman, in dem eine fundamentalistische Glaubensrichtung Frauen nur noch eine einzige Aufgabe und Daseinsberechtigung zuschreibt: Das Gebären.

Ihr selbst widerstrebt das Etikett der feministischen Autorin: "Ich habe mich nie als feministische Autorin bezeichnet. Ich habe wiederholt gesagt, dass Frauen menschliche Wesen sind, mit allen guten und schlechten Seiten, die das beinhaltet. Ich habe immer nachgefragt, was mit "feministisch" eigentlich gemeint sein soll – und bekam nie eine bündige Antwort. Reden wir also über etwas, das niemand definieren kann?"

Dabei ist sie womöglich selbst diejenige, welche eine recht brauchbare Definition davon abgeben kann. Dazu nämlich, dass junge Frauen immer mal wieder gerne proklamieren, Feminismus wäre überholt, da gleiche Rechte ja längst Realität seien, sagt sie nur: "Jede, die glaubt, 'gleiche Rechte' (wie auch immer man diese definiert) seien erreicht, ist nicht sehr weit herumgekommen und hat die Statistiken nicht gelesen."

Mädchen würden oft so denken – zumindest "bis sie vergewaltigt, zusammengeschlagen oder beinahe umgebracht werden, bis sie schwanger werden mit dem zweiten oder dritten Kind und immer noch Vollzeit arbeiten sollen, bis sie gefeuert werden, weil sie schwanger sind, bei der Beförderung übergangen werden, und so weiter."

Re-Feudalisierung dank Gentechnik

Was Atwood in ihrer Trilogie beschäftigt, das sind nur am Rande Frauenschicksale – in erster Linie geht es ihr um die Rettung der Welt. Strategien für den Kampf gegen Umweltzerstörung und eine korrumpierte Gesellschaft aber hat auch sie nicht anzubieten: "Kein Politiker und keine Politikerin scheint die Antwort darauf zu wissen. Und wenn sie es tun, dann sagen sie es uns nicht. Für jede einzelne, jeden einzelnen könnte es vielleicht heißen: geh' bergauf, wenn du in einem Überschwemmungsgebiet bist. Das wäre ein Anfang." Als potentielles Gefahrengebiet macht sie auf jeden Fall die Gentechnik aus, die in Gestalt der so genannten Crakers auch in ihrer Trilogie Thema wird. Warum ihr das ein Anliegen ist? Weil sich der Mensch dieser Technik ja bereits bediene.

Zum Zweiten sieht sie die Gefahr, dass diese Technik, die ja auch beitragen soll, das menschliche Leben zu verlängern, zu einem "Reichen-Gen" und einem "Armen-Gen" führen könne, so dass am Ende wieder quasi-feudale Hierarchien entstünden: "Aristokraten und Leibeigene". Und schließlich sollte "jeder neue Organismus, der kreiert wird, als potentiell angreifende Spezies gesehen werden. Jede Schöpfung sollte auf ihre Vor- und Nachteile hin untersucht werden, bevor sie veröffentlicht wird. Wenn solche Dinge einmal 'dort draußen' sind, wird es schwer, sie zu kontrollieren."

Eigentlich eine Binsenweisheit: erst die Konsequenzen bedenken, dann handeln. Andererseits hat Atwood ihren Ruf als Kassandra der Moderne nicht umsonst, und es sind genau solche, auf simpelstem Menschenverstand basierenden Weisheiten, an die sich die wenigstens EntscheidungsträgerInnen halten – mit oft verheerenden Ergebnissen.

Ausbildung von Frauen ist unerlässlich

Solche befürchten viele auch beim geplanten Freihandelsabkommen zwischen den USA und Europa. Jenseits der konkreten Inhalte, die Atwood noch nicht kennt, meint sie dazu: "Kein Abkommen sollte ausländischen Unternehmen Befugnisse geben, die jene der nationalen Regierungen übersteigen. Außer natürlich, man möchte die nationalen PolitikerInnen in Handpuppen verwandeln. Was die superreichen Unternehmen liebend gerne tun würden – selbstredend." Angesichts solcher Entwicklungen, die am Ende immer auf Raubbau an der Umwelt hinauslaufen, kommt womöglich bald eine ähnliche Frage auf, wie sie in den ArbeiterInnenkämpfen gestellt wurde: Müssen andere Ziele, etwa jene der Frauenbewegung, angesichts des elementaren Zieles Umweltschutz zurückstecken? Braucht es ein konzertiertes Vorgehen, eine Hierarchie? "Da gibt es keine Hierarchie", befindet Atwood. "Tatsächlich ist die Ausbildung der Frauen, global und besonders in Entwicklungsländern, unerlässlich für jedwedes Bemühen, etwas zu verändern – besonders was das Leben der Menschen auf familiärer Ebene betrifft."

Aus der Oma-Position

Für die Rechte der Frauen kämpfen auch Bewegungen wie die in Kanada entstandenen Slutwalks oder die Aktivistinnen von Femen, die Atwood als Beleg dafür wertet, dass noch lange nicht alles gut ist in "der Welt von 'Wir sind bereits alle gleich'. Diese Frauen haben offensichtlich das Gefühl, dass es etwas gibt, für beziehungsweise gegen das sie kämpfen wollen. Sie sind es, die an der Frontlinie stehen, nicht ich. Ich bin in der Oma-Position. Strickend in meinem Schaukelstuhl." Mit derlei koketter Bescheidenheit hat sie natürlich Unrecht. Auch schreibend kann man an der vordersten Linie stehen. Man muss nur etwas zu sagen haben. (Andrea Heinz, dieStandard.at, 7.3.2014)