ModeratorIn: Herzliche willkommen Frau Inna Schewtschenko im Chat von derStandard.at. Wir begrüßen auch die Userinnen und User und bitten um gewohnt sachliche Fragen zur Ukraine.

Inna Shevchenko: Danke für die Einladung, ich freue mich auf Ihre Fragen!

UserInnenfrage per Mail: Liebe Frau Schewtschenko, zählen Sie persönlich sich zur russischsprachigen oder zur ukrainischen Bevölkerung?

Inna Shevchenko: Es spielt keine Rolle, welche Sprache du sprichst, in der Ukraine sprechen wir aus historischen Gründen beide Sprachen. Ich bin einem russischsprachigen Teil der Ukraine geboren aber ich sehe mich definitiv als Ukrainerin, speziell jetzt natürlich.

Herr Zebra: Wo befinden Sie sich gerade? Wie schätzen Sie die allgemeine Sicherheitslage in der Ukraine ein bzw. speziell jene von politischen AktivistInnen abseits des aktuell vorherrschenden Mainstreams ein?

Inna Shevchenko: Ich befinde mich gerade in Österreich um den Film "Everyday Rebellion" über gewaltlose Taktiken weltweit, der ab 21. März hier anläuft vorzustellen, aber ich lebe im pariser Exil. Es hat sich nichts daran geändert, dass Aktivisten und Aktivistinnen auch heute aus der Ukraine flüchten müssen. Viele von ihnen, die sich in irgendeiner Form kritisch geäußert haben, mussten das Land verlassen. Kritisch gegenüber Janukowitsch oder Putin. Auch wenn Janukowitsch nicht mehr an der Macht ist heißt das nicht, dass man nicht zur Zielscheibe des russischen Geheimdienstes werden kann. Tatsache ist, dass in den letzten vier Monaten sehr viele Aktivistinnen und Aktivisten verschwunden sind und manche von ihnen getötet worden sind.

Dreesch, ka ne se dasee kawum!: Wenn man Sie vor einem Jahr gefragt hätte: hätten Sie Janukowitschens Sturz und die Krim-Krise erwartet?

Inna Shevchenko: Seit den ersten Tagen seiner Regierung dachten wir aufgrund der immer stärker werdenden Repression, dass er nicht so schnell zu stürzen sein wird. Es gab zwischen Russland und der Ukraine immer schon einen Kampf um die Krim. Aber natürlich haben wir weder eine derartige Krise in der Krim erwartet, noch, dass eine derartige Revolution stattfindet. Natürlich ist das jetzt der perfekte Zeitpunkt für Putins Besetzung gewesen, weil die Ukraine gerade jetzt nach der Revolution keine starken Politiker, keine Armee, und überhaupt kein Geld hat.

UserInnenfrage per Mail: Sollte alles "gut" ausgehen und die ukraine einen neuen Präsidentin oder Präsidenten wählen und sich die Situation auf der Krim klären: denken Sie, dass sich in den Machtstrukturen der Ukraine wirklich was ändern würde?

Inna Shevchenko: Wenn es neue Köpfe gibt, aber die korrupten Strukturen sich nicht ändern, werden die Machtstrukturen gleich bleiben. Inzwischen haben sowohl die Politiker als auch das normale Volk verstanden, dass wir so wie in den letzten Jahrzehnten nicht weitermachen können. Leider sehe ich aber derzeit keinen Politiker, der diese alten Strukturen aufbrechen könnte.

Zum-Bao: planen sie protestaktionen gegen beteiligung rechtsextremer parteien an der "übergangsregierung" in kiev?

Inna Shevchenko: Momentan scheinen die Nationalisten nicht die größte Gefahr zu sein sondern die Tatsache, dass die russischen Streitkräfte die Krim besetzt haben. Putin ist der Hauptfeind und den gilt es zuerst, in die Schranken zu weisen. Wir von Femen wollen aber auf keinen Fall, dass die Ukraine von Nationalisten regiert wird und werden alles tun, was in unserer Macht steht, um dagegen zu protestieren. Sollte es so aussehen als ob Nationalisten die Oberhand gewinnen könnten würden wir genauso protestieren, wie wir das bereits am ersten Tag, an dem Janukowitsch an die Macht gekommen ist, getan haben. Damals, 2010 haben wir am Tag seines Wahlsieges mit dem Slogan skandiert "Die Diktatur wird kommen!"

neppal: Wie schätzen Sie Putin ein. Wie weit kann/soll Europa gehen im Ukraine-Konflikt. Auch wenn man die Autokratie in Russland verständlicherweise ablehnt. Wenn die militärische Supermacht Russland die Krim will, kann man dem ernsthaft etwas entgegensetz

Inna Shevchenko: Das Problem zwischen EU und Putin ist, dass Putin die Hälfte der Gaslieferungen an Europa kontrolliert. Ich persönlich erwarte mir daher keine allzu starke Gegenreaktion aus Europa außer, das ganze zu verurteilen. Lächerliche Visasanktionen oder Ankündigungen, dass man nicht an der G-8 Konferenz nicht teilnimmt, werden Putin sicher nicht abhalten. Nur starke wirtschaftliche Sanktionen können ihm wehtun. Ich glaube nicht an die europäischen Politiker sondern an die Kraft der Menschen, die die Würde ihrer Heimat verteidigen können. Die europäischen Länder könnten einige Monate auf ihre Gasreserven und alternative Energiequellen zurückgreifen, das würde Russland wirklich treffen.

UserInnenfrage per Mail: Ist Krim schon verloren?

Inna Shevchenko: Nein, und das wird es nie sein.

fischerverla: Sehr geehrte Fr. Schewtschenko. Halten Sie eine Spaltung der Ukraine in den nächsten 2 Jahren für möglich? Der westliche Teil wird sich den EU-Beitritt / Annäherung nicht nehmen lassen.

Inna Shevchenko: Das glaube ich nicht. Die Spaltung in der Ukraine sieht in den europäischen Medien massiver aus, als sie tatsächlich ist. Zum Beispiel gibt es viele andere proeuropäische Proteste (Euro-Maidan) in den russischsprachigen Gebieten.

Salazars Liegestuhl: Wie beliebt ist Julia Timoschenko bei dem Teil der ukrainischen Bevölkerung, die die Maidan-Bewegung unterstützt? In westeuropäischen Medien wird sie gern als "Galionsfigur der Orangen Revolution" bezeichnet.

Inna Shevchenko: Vielleicht war sie eine Heldin der Orangen Revolution, aber nicht die Heldin dieser Revolution. Sie repräsentiert weder die neue Ukraine noch die neue Denkweise der neuen Maidan-Generation. Nach der Orangen Revolution hat sie sich als korrupte Politikerin gezeigt, die Gasvereinbarungen mit Russland getroffen hat, die sich als sehr nachteilig für die Ukraine herausgestellt haben.

der lange hans: Wen räumen Sie persönlich die meisten Chancen bei der kommenden Präsidentenwahl ein und welchen Kandidat, falls abweichend, wünschen Sie sich?

Inna Shevchenko: Der zweite Teil der Frage ist für mich fast unmöglich zu beantworten, da es zur Zeit keinen Politiker gibt, der das Potenzial hat, anders zu sein als die alte Garde. Ich glaube, der Kampf wird zwischen Timoschenkos Kandidat Jazenjuk und dem Ex-Boxer Klitschko, der politisch unerfahren ist und einem dritten Kandidaten, Poroschenko sein. Poroschenko ist wahrscheinlich das geringste Übel, er ist politisch erfahren und hat seine Vergangenheit in der Orangen Revolution und hat seine Ideale noch nicht verraten.

Rainer Käsek: Femen hat durch die Proteste die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit und der Medien erhalten. Denken Sie dass Sie diese Aufmerksamkeit auf lange Sicht durch diese Art der Proteste behalten können, oder sind konkretere Aktionen in Form aktiver Politik

Inna Shevchenko: Femen ist eine Protestgruppe. Unsere Hauptaktivität ist politischer Protest auf den Straßen. Wir sind am besten darin, teilweise vergessenen politische und gesellschaftliche Themen in die Mainstream zu bringen. Wenn Femen eines Tages eine politische Partei sein sollte, können wir über andere Formen politischer Aktivität reden.

ModeratorIn: Leider ist die Chatstunde schon wieder vorbei. Danke für die sachlichen Fragen und vor allem herzlichen Dank an Inna Schewtschenko für ihr Kommen nach der langen Premierennacht des Films everyday rebellion, in dem sie eine der Protagonistinnen ist.

Inna Shevchenko: Vielen Dank für die Fragen, es war schön, so interessante Fragen zu beantworten. Ich freue mich, hier zu sein und empfehle allen, sich den Film Everyday Rebellion anzusehen. Viele andere Fragen über Aktivismus werden darin beantwortet. Ich bin sicher, dass sich danach einige uns anschließen werden. Die nächste Vorstellung mit Diskussion ist am Sonntag, den 16. März um 11.00 im Künstlerhauskino am Karlsplatz. Vergesst nicht, dass es die Frauen sind, die die Revolution bewirken werden!