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Am 2. Februar wurde in Paris noch einmal massenhaft gegen die bereits beschlossene Ehe für Homosexuelle und gegen die "Gender-Theorie" demonstriert.

Foto: REUTERS/BENOIT TESSIER

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Angelehnt an die "Ehe für alle" verbreiten deren KritikerInnen das "Manifest für alle" (die die traditionelle Kernfamilie repräsentieren).

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Es ist inzwischen 65 Jahre her, dass Simone de Beauvoir ihre Schrift "Das andere Geschlecht" vorgelegt hat, in der sie den berühmt gewordenen Satz formulierte: "Man wird nicht als Frau geboren, man wird dazu gemacht." Eben diese soziale Konstruktion von Geschlechterrollen, wie sie der Begriff "Gender" bezeichnet, sorgt nun in der Heimat der Philosophin für hitzige Debatten und für eine immer breiter werdende Kampagne. 

ABCD der Gleichheit

Jüngster Stein des Anstoßes ist ein Schulprogramm mit dem Namen "ABCD der Gleichheit", das an 600 Klassen in 275 Kindergärten und Schulen in einer Testphase läuft. Es will erreichen, dass sich die Kinder kritisch mit ihren eigenen Vorstellungen von Geschlechterrollen auseinandersetzen. So soll schon möglichst früh Diskriminierungen vorgebeugt werden.

Völlig anders nehmen dies jedoch seine GegnerInnen wahr: Ziel dieses Programms sei die "Gleichmacherei" von Männern und Frauen, wettern sie, und sie unterstellen, dass die Kinder gezwungen würden, sich viel zu früh mit dem Thema Sex zu beschäftigen. Dass die Debatte um den Schulversuch immer stärker in eine Polemik abdriftete, rief nun WissenschaftlerInnen aus ganz Frankreich auf den Plan. Unter dem in der deutschen Übersetzung etwas sperrigen Titel "Gender Studies, Forschung und Bildung: Ein gutes Zusammentreffen" haben sie eine Petition verfasst. Inzwischen wurde diese von mehr als 14.000 Personen online unterzeichnet.

Das Elsaß als Brennpunkt

Ihren Ausgang nahm die Initiative der WissenschaftlerInnen in Straßburg – und das ist kein Zufall, wie die Sozialwissenschaftlerin Estelle Ferrarese erklärt. Sie ist eine der sechs Initiatorinnen der Petition und Professorin an der dortigen Universität. "Im Herbst 2013 organisierte die konservative Studierendenorganisation UNI eine Konferenz auf dem Unicampus, bei der die Frage behandelt werden sollte, was 'Gender' mit unseren Kindern macht", erklärt sie im Interview mit dieStandard.at. In diesem Rahmen seien diskriminierende Bilder von Transgender-Personen gezeigt worden, die klar das Ziel verfolgten, sie lächerlich zu machen. "Das war der Beginn der Mobilisierung. Es war für uns einfach inakzeptabel, dass auf einem Campus Konzepte wie Gender auf diese Weise in Frage gestellt werden, die wissenschaftlich unumstritten sind."

Einen weiteren Anstoß lieferte die bereits erwähnte Protestaktion gegen das "ABCD der Gleichheit": Ende Januar riefen dessen GegnerInnen zu einem Schulboykott auf. Besonders im Elsass folgten viele Eltern diesem Aufruf, in manchen Klassen erschien die Hälfte der SchülerInnen nicht zum Unterricht. Dazu kam eine große Demonstration in Paris, bei der ebenfalls Anti-Gender-Slogans gerufen wurden. "Daraufhin starteten wir, in etwa 100 Personen, von Straßburg aus diese Petition. Sehr schnell schlossen sich dann auch ForscherInnen von anderen Universitäten an."

Gender: Nur eine Theorie?

"Gender-Theorie": Diese Formulierung der Gender-GegnerInnen ist kein Zufall, sondern vielmehr Ausdruck einer ideologischen Überzeugung. Mit dem Begriff "Theorie" will man unterstreichen, dass es sich bei der Vorstellung der Konstruktion von Geschlecht nicht um eine wissenschaftliche Erkenntnis handle, sondern  um eine politische These, die abzulehnen sei. Unter dem Dach der "Anti-Gender-Theorie"-Bewegung versammeln sich FundamentalistInnen aus dem christlichen wie muslimischen Milieu, katholische Würdenträger, aber auch Persönlichkeiten wie der umstrittene Journalist Eric Zemmour.

Es sind ähnliche Personen, die Anfang des Jahres 2013 bei der "Demonstration für alle" auf die Straße gingen, um gegen die von der Sozialistischen Regierung später beschlossenen "Ehe für alle" zu protestieren. In ihren Reihen marschierte im Übrigen auch Jean-Francois Copé mit. Auch heute unterstützt der Vorsitzende der Sarkozy-Partei UMP den Chor der Gender-Polemiker. Interessantes Detail dabei: Seine Partei war es ja, die unter dem damaligen Bildungsminister Luc Chatel das Konzept von Gender in Schulbüchern aufnehmen ließ.

Backlash und französische Besonderheit

Der Streit um das "ABCD der Gleichheit" erinnert an Kontroversen, die ähnliche Projekte auch in anderen Ländern auslösten: In Österreich sorgte im Winter 2012 das Unterrichtsmaterial "Ganz schön intim" für Diskussionen, ein aktuelleres Beispiel sind Unterrichtsmaterialien in Baden-Württemberg, die ebenfalls polemische Debatten in der Politik auslösten.

Für Ferrarese ist klar, das es nicht nur in Frankreich einen Backlash bei feministischen Themen gibt. Sie verweist dabei auf die schwelenden Abtreibungsdebatten in verschiedenen europäischen Ländern. "Darüber hinaus gibt es aber auch einen französischen Kontext, nämlich eine Mobilisierung religiöser Minderheiten, die politisch schon sehr lange gegen die Republik kämpfen." Dabei erinnert sie an die Kopftuch-Debatte, die in Frankreich vor vielen Jahren sehr heiß geführt wurde und für sie "Ausdruck des ewigen Kampfes zwischen Republik und Religion" ist. Der aktuelle Wahlkampf in Frankreich trage das seine zur Emotionalisierung bei, auch wenn das Thema an sich nicht Teil der Wahlkampfauseinandersetzung ist – "zum Glück", wie Ferrarese ergänzt. Zumindest im Falle der UMP sei das Schielen in Richtung Front National sicherlich ein Faktor, der das Thema interessanter machte.

Hauptfeind "Ehe für alle"

Bei der Diskussion um die "Gender-Theorie" werden offenbar vielfältige Themen bewusst vermischt. Hauptreiz bleibt für die GegnerInnen die Öffnung der Ehe für alle, die nun als Maßnahme zur Durchsetzung der Gender-Theorie interpretiert wird. Mit im Gemisch ist auch die ursprünglich von der Regierung geplante Öffnung der künstlichen Befruchtung für Lesben. Ferrarese interpretiert dieser Vermischung als eine "Reaktion auf die Transformationen, die das Konzept Familie durch Gesetze wie die Ehe für alle erlebt – und Ängste, die das auslöst."

Academia vs. gesellschaftliche Diskussion

Nichtsdestotrotz seien auch sie und ihre Uni-KollegInnen überrascht gewesen, mit welcher Heftigkeit die Diskussion geführt wird, gesteht die Sozialwissenschaftlerin. Dabei spiele sicherlich eine Rolle, dass der Begriff "Gender" in der Wissenschafts-Community schon länger etabliert ist, ebenso wie die damit verbundenen Konzepte. Immerhin: Während auf der einen Seite die Polemiken gegen Gender weiterhin ihre Kreise ziehen, erhalten die FranzösInnen durch die Debatte auch eine ausführliche Geschichtsstunde in Sachen Gender Studies. Damit werden sie auch an Simone de Beauvoir erinnert – jene Frau, die FeministInnen weit über Frankreich hinaus eine grundlegende Schrift zu eben diesem Thema in die Hand gegeben hat. (Sonja Fercher, dieStandard.at, 13.3.2014)