Ein Outing bezeichnet einen persönlichen Prozess und die öffentliche Sichtbarmachung der eigenen Homosexualität. Auf den ersten Blick scheint das heute einfacher als früher.

Foto: Katsey

"Das Einfache an meiner Generation", sagt Miriam, "ist das Internet". Sie konnte googeln. Das hat sie auch gemacht. Wenn die 20-jährige Wienerin über ihr Outing vor einem Jahr spricht, ist sie selbst überrascht, wie wenig nervös sie dann ist. Zu 99 Prozent war sie sich immer sicher, dass alles gutgeht: "Aber dieses eine Prozent, das hält dich zurück." Das Internet half ihr in all den Jahren, in denen sie ahnte, nein eigentlich wusste, dass sie lesbisch ist, aber mit niemandem darüber sprach, nicht mit der Familie und nicht mit Freunden.

Ein Outing bezeichnet einen persönlichen Prozess und dann die öffentliche Sichtbarmachung der eigenen Homosexualität. Auf den ersten Blick scheint das heute einfacher als früher. Schwule und Lesben sind aus der Unterhaltungsindustrie nicht mehr wegzudenken. Serien wie "Glee" oder "Modern Family" haben homosexuelle Lebensentwürfe in den heteronormativen Mainstream katapultiert, die Oscars werden heute von einer lesbischen Talkshowmasterin moderiert, und die Bewegung gegen die Diskriminierung von lesbisch, schwul, bi-, trans- und intersexuellen (Kürzel: LSBTI-) Menschen macht auch nicht mehr vor dem Spitzensport halt.

Weiter geschwiegen

Warum hat aber jemand wie Miriam zunächst Jahre gegoogelt und online Lesbenserien wie "The L-World" oder "Lip-Service" geschaut und trotzdem weiter geschwiegen und viel gelitten? Dass Mimi, wie ihre Freunde sie nennen, dieselben Serien heute mit ihren nicht lesbischen WG-Mitbewohnerinnen anschaut, hat Zeit gebraucht. Im Magazin für Kinder- und Jugendliteratur 1000 und ein Buch wird im Text "Wie war das eigentlich bei dir?" (November 2013) konstatiert, dass es noch ein weiter Weg ist bis zur Gleichstellung von LSBTI-Menschen. Wenn die österreichische Wirklichkeit auch eine andere ist: In 76 Ländern herrschen nach wie vor Gesetze, die Homosexualität unter Strafe stellen.

Mimi hatte auch Angst, dass jemand zu ihr sagen könnte: Das ist nur eine Phase. "Das wäre wie ein Outing, das keines ist", sagt sie und erzählt über einen Link, den sie neulich entdeckt hat, mit Fotos von LSBTI-Jugendlichen und den alltäglichen kleinen Beleidigungen (" microaggressions you hear on a daily basis"), denen sie ausgesetzt sind. Auch Miriam kennt das. Mit 15 hatte sie auch etwas mit Jungs, aber das sei nie ernst gewesen. Wie auch? Sie war nicht verliebt.

Gendervielfalt

Dass es gleichgeschlechtliche Liebe gibt, wusste Mimi schon immer. Da waren immer Kim und Rachel, Freundinnen ihrer Mutter, ein Paar, das "leider", so Mimi, in den USA lebt. Wer, wie die Wienerin, ohne rassistische Vorurteile aufwächst, dem konnte selbst die Unterstufe im Gymnasium zusetzen. Homophobie ist heute weniger ein Tabu, aber immer ein Thema, und "schwul" an Schulen ein gängiges Schimpfwort. "Wenn jemand losschimpft, trifft einen das", sagt Mimi und hat deswegen früh entschieden: kein Outing während der Schulzeit. An ihren beiden Schulen wurde das Thema Gendervielfalt nie besprochen: "Daran hätte ich mich erinnert." Im jugendlichen Alter vieles allein durchzustehen, auch den ersten Liebeskummer, war hart, erinnert sich die junge Wienerin. Homosexuelle Jugendliche leiden oft an Depressionen.

Wichtig sind Vorbilder

Mimi selbst hatte lange ein Problem mit dem Wort Lesbe. In einem "Zeit"-Interview erklärt der Didaktiker Martin Lücke, der gerade an Berliner Schulen den "Queer History Month" organisierte, warum das noch immer so sein kann. "Homosexualität", sagt er, "ist aus einem christlichen Standpunkt heraus nicht Teil der Schöpfungsordnung, daraus folgt eine fundamentale Ausgrenzung, die, wenn überhaupt Toleranz, eine Toleranz durch Exklusion meint." Es geht aber um "wohlwollende Wertschätzung". Die fehlt vielfach noch. Das macht für junge Menschen ein Outing so schwierig.

Umso wichtiger sind Vorbilder, wie etwa die 26-jährige Ellen Page, bekannt durch ihre Rollen in "Juno" und "X-Men", die sich im Februar auf einer US-Konferenz für LSBTI-Belange öffentlich geoutet hat. Diese acht Minuten auf Youtube machen anderen Mut, wie zum Beispiel auch die vielen Videos auf itgetsbetter.org, einer Plattform, die seit kurzem auch einen Österreich-Ableger hat. Zu professionellen Coming-out-Treffen ist Mimi nie gegangen. Überhaupt bewegt sie sich, wie sie sagt, "nicht in der Szene", betont aber im gleichen Atemzug, wie wichtig diese sei. Trotzdem vergingen, nachdem Mimi die Schule abgeschlossen hatte und von zu Hause ausgezogen war, keine zwei Monate. Die erste Person, der Mimi alles erzählen wollte, war ihre Mutter. "Stehst du auf Frauen?", fragte sie, als Mimi vor lauter Schluchzen nichts mehr sagen konnte. Ihre Familie machte alles richtig, und die Mama sagte nur: Ich freu mich auf eine Schwiegertochter! "Danach", sagt Miriam und strahlt noch immer, "geht man sehr aufrecht durch die Stadt!" Ein schönes Gefühl, wenn man nichts mehr verstecken muss, und man ist unendlich dankbar, Teil einer so tollen Familie zu sein.

"Mama ist eine Buschtrommel"

Auch die Reaktionen aus ihrem Umfeld waren positiv, aber unterschiedlich. Ihr bester Freund meinte nur: "Sag mir was Neues", eine WG-Mitbewohnerin hat vor Rührung geweint, und langsam weiß es ohnehin die ganze Welt. "Die Mama ist eine Buschtrommel", lacht die Tochter, "die Buchhändlerin im Grätzl und der Eissalon und Mamas Freundinnen sowieso."

Dass es mit der zukünftigen Schwiegertochter gar nicht so einfach ist, beweisen Mimis bisherige Beziehungen. Mit 17 hatte sie für eineinhalb Jahre eine Freundin, die im Gegensatz zu ihr selbst bereits geoutet war. "Und jetzt gibt es vielleicht jemanden", sagt Mimi, aber die ist selbst nicht geoutet. Alles nicht einfach, aber wie gesagt: Es wird besser. Es ist schon viel besser geworden. Und es wird noch viel besser werden. (Mia Eidlhuber, DER STANDARD, Family, 15.4.2014)