Hier wird Film noch in allen Formaten analog projiziert: das Unsichtbare Kino des Österreichischen Filmmuseums.

 

Foto: Robert Newald

Alexander Horwath, 1995 noch Viennale-Direktor, mit Martin Scorsese, heute Ehrenpräsident des Filmmuseums.

Foto: Alexander Tuma

Schnittstelle zwischen Vergangenheit und Gegenwart: die Workstation für digitale Filmrestaurierung des Filmmuseums.

Foto: Robert Newald

Das Ende der analogen Filmindustrie naht: Das Research-Unternehmen Screen Digest sieht den Prozentsatz der Kinosäle, die weltweit auf digitalen Vorführbetrieb umgestellt sind, mittlerweile bei rund 90 Prozent (in Österreich laut Wirtschaftskammer bereits 97,62 Prozent). Die großen Hollywood-Studios bringen bald keine 35-mm-Kopien mehr in die Kinos. In den USA war laut Medienberichten ausgerechnet Will Ferrells absurd-brachiale Mediensatire Anchorman - Die Legende kehrt zurück der "letzte Film", den Paramount als solchen herausbrachte.

Damit, dass selbst bei flächendeckenden Kinostarts in Zigtausender-Auflagen nur noch ein geringer Anteil an Filmkopien benötigt wird, hängt wiederum zusammen, dass fotochemische Labors und Kopierwerke zusperren: Das Branchenmagazin Hollywood Reporter vermeldete Anfang März, dass im Mai 2014 mit Deluxe ein weiterer der großen technischen Dienstleister in Hollywood schließen werde. In Südkalifornien bliebe dann nur FotoKem in Burbank - eine private Gründung von 1963, die damals aufs wendigere 16-mm-Filmformat spezialisiert war.

Im Mutterland des Industriekinos wird 2014 somit bereits als das Jahr gesehen, in dem mit dem Verschwinden der technisch-chemischen Infrastruktur die Ära des analogen Laufbilds zu Ende geht. Zur selben Zeit begeht in Wien das Österreichische Filmmuseum sein 50-jähriges Jubiläum - eine Institution, die sich lange ausschließlich ebendiesem als Leitmedium und künstlerisches Ausdrucksmittel verschrieben hat.

Gegründet wurde das Filmmuseum 1964 von Peter Konlechner und Peter Kubelka (wie es dazu kam, ist nicht zuletzt im ersten Band der Jubiläumspublikation ausführlich dokumentiert - siehe Buchbesprechung). Seinen Ausstellungsraum, das Unsichtbare Kino, hat es im Gebäude der Albertina in der Inneren Stadt. Der seit 2002 amtierende Direktor Alexander Horwath versucht, mit seinem Haus auch zu Jubiläumszeiten einen dritten Weg zu nehmen - zwischen einer Anlehnung an den Film als Unterhaltungsindustrie (mit Stars und Glamour) und dem Versuch, die "Typologie der traditionellen Hochkulturinstitutionen zu emulieren". Einen Weg, der im Blick behält, dass das Kino seit seinen Anfängen im 19. Jahrhundert Kategorien verwirrte, dass es nicht nur die Wahrnehmung der Welt für immer veränderte, sondern, "zumindest potentiell, eine neue, gesellschaftlich offenere Idee von Kunst und Kultur mit sich gebracht hat".

Radikaler Paradigmenwechsel

Was sagt Horwath dazu, dass sich der Film an einer historischen Marke befindet und droht, museal zu werden? "Er verliert seine Funktion im Betrieb des kommerziellen Kinos, der abendfüllenden Kinounterhaltung, das stimmt." Zugleich habe das Kino aber bereits "1935, als das Moma ein Film Department gründet und ein paar Jahre später die Cinémathèque Française gegründet wird", verstanden, dass es zwar Massenmedium, aber auch museumswürdig geworden sei. Damit ging ein Interesse an seiner Bewahrung und Überlieferung einher - ungeachtet kommerzieller Interessen. Der jetzige Paradigmenwechsel in der Kinoindustrie sei insofern "radikaler, weil er das Medium Film selbst zurücklässt".

Ein Filmmuseum musste "auch schon in den 1960er-Jahren gedanklich damit leben, dass es etwas anderes ist als die Filmindustrie. Aber selbst Institutionen wie das Filmmuseum konnten mit großer Selbstverständlichkeit die technische Infrastruktur, wie sie von der Industrie benötigt und bereitgestellt wurde, mitbenutzen."

Die Digitalisierung des Mainstreamkinos stellt nun auch die Sammeltätigkeit von Cinématheken vor völlig veränderte Voraussetzungen. Filmkopien von neuen Produktionen sind schlichtweg nicht mehr erhältlich (kurioserweise stellen die großen Studios selbst noch analoge Sicherungsnegative her, da sie in Archiven die längere Lebensdauer versprechen); DCPs (kurz für Digital Cinema Package, das Datenpaket für digitale Projektionen, das jetzt im Kinoeinsatz ist) werden zumindest von den US-amerikanischen Großverleihern - anders als bei den analogen Filmkopien - für Archive nicht länger zur Verfügung gestellt. Einzig in Schweden wurde per Parlamentsbeschluss entschieden, dass Verleiher nichtverschlüsselte DCPs nach Ablauf der Verleihfristen an das Schwedische Filminstitut abzugeben haben - Ausdruck eines raren Bewusstseins für die Notwendigkeit, das filmkulturelle Gedächtnis für die Öffentlichkeit zu erhalten.

"Rettet den Film"

Welch dramatischen Zug die Rede vom Ende von Zelluloid annimmt, zeigt sich auch an der vom Oscar-gekrönten Kameramann Guillermo Navarro (Pan's Labyrinth) lancierten Initiative savefilm.org. Darin wird ein Bewusstsein für die Notwendigkeit geschaffen, das Medium Film für die Nachwelt als Unesco-Weltkulturerbe zu erhalten. Nationalstaaten sollen verpflichtet werden, die Infrastruktur zur Sicherung von Film zu fördern - oder finanziell zu übernehmen.

Die Initiative gleiche jener für eine im Verschwinden begriffene Sprache, sagte die britische Künstlerin Tacita Dean, energische Verfechterin des Projekts, unlängst in der Le Monde. "Die Industrie ist dumm und denkt nur in Silber und Zahlen. Das sind Absolutisten, die jede Pluralität ablehnen und unsere Erwartungen, jene der Macher, nicht verstehen." Gemeint ist damit freilich nicht nur die Erhaltung einzelner Kinos, die Filmkopien zu projizieren vermögen, sondern auch jene von Produktionsstätten und Kopierwerken, die erst die kontinuierliche Arbeit am Trägermaterial Film - sowie die Sicherung desselben - garantieren.

Auch in diesem Bereich haben die Schweden die Nase vorne - Horwath spricht von einem "Musterbeispiel für Europa": Das letzte fotochemische Kopierwerk im Land, jenes von Nordisk Film, stand 2011 vor dem Konkurs und wurde in das staatliche Filminstitut eingegliedert. Jon Wengström, Leiter des schwedischen Filmarchivs, finanzierte diesen im internationalen Vergleich einmaligen Schritt mit bestehenden Mitteln, die sonst in kostspielige Aufträge ins Ausland geflossen wären:

"Insgesamt bedeutet dies für uns einen finanziellen Mehraufwand von unter 100.000 Euro im Jahr. Wir haben das Equipment und drei Mitarbeiter übernommen, die heute zwischen 61 und 66 Jahren alt sind und über unverzichtbares Wissen verfügen - und auch viele Ersatzteile gesammelt haben", sagt Wengström. "Der Grundsatz unseres Instituts ist es, das historische Material zuerst analog zu sichern; zugleich digitalisieren wir auch, damit andere Kinos in Schweden unsere Filme zeigen können." Was die Restaurierungsarbeiten anbelangt, plädiert der Filmarchivleiter für eine größere Spezialisierung der jeweiligen Institute: "Am besten wäre es, es gibt ein Institut, das sich ganz auf Schwarz-Weiß-Film festlegt, ein anderes für Farbfilm usw. - eine gewisse Arbeitsteilung wäre von Vorteil."

Vom Massenmedium zum Einzelstück

Dass einzelne Kopien im Wert immer mehr steigen, erhöht notgedrungen auch Transport- und Versicherungskosten. Der einstmals von Denkern wie Walter Benjamin als reproduzierbares Massenmedium gefeierte Film wird tendenziell zum Einzelstück, an dem sich ein signifikanter Kulturwert bemisst - die Rede ist vom "Vintage Print" dem wie in der Fotografie ersten Abzug eines Negativs. Zu dieser Entwicklung passt die Idee, dass das Österreichische Filmmuseum zum Jubiläum dazu aufgerufen hat, Filmpatenschaften für einzelne Filme aus der Sammlung zu übernehmen - eine Möglichkeit, die Erhaltung der Kopien zu gewähren und sie gleichzeitig mit seinem eigenen Namen zu branden.

Horwath betrachtet diese Entwicklung von Film als einem "schwellenlosen" Ausdrucksmittel zu einer Form von "schöner Kunst" als unausweichlich: "Findet man das gut oder schlecht? Sowohl als auch - wenn man bedenkt, wie allgemein zugänglich der Film war. Es bedurfte keines ,veredelten Geschmacks', um dieses Medium großartig zu finden. In Zukunft werden die interessierten Menschen durch halb Europa fahren, um eine Technicolor-Kopie von The Red Shoes projiziert zu sehen - oder um Peter Kubelkas Filme zu sehen. Das gilt ja für jegliche Ausdrucksform in der Geschichte: Ihre Mainstream-Funktionen - das Entertainment oder die Belieferung mit weltpolitischen Nachrichten - werden ab einem gewissen Zeitpunkt von neueren Medien übernommen, während der besondere Kern, das Unersetzliche der betreffenden Ausdrucksform, im Museum landet, also in der sogenannten Hochkultur."

Indem der massenkulturelle Rahmen wegbricht, verliert das Medium etwas von seinem gesellschaftlichen Fundament - auch das Verhältnis zwischen Fiktion und Realität ist im Digitalen neu zu bemessen. Von einem Medium, wie es der Filmtheoretiker Serge Daney einmal formulierte, das "den Menschen dieses Jahrhunderts in seiner Gänze aufnimmt, vom Grauen seiner Katastrophen bis hin zu seinen Erlösungsversuchen durch die Kunst", ist nun nicht mehr so grundsätzlich zu sprechen.

Neue Nutzer und Ersatzmedien

Mit der Neuausrichtung verändert sich auch das Zuschauerprofil. Das Lincoln Center, das eine zentrale Filminstitution in New York beheimatet, musste sich unlängst von der New York Times die Rüge gefallen lassen, dass sein Publikum überaltert sei und zu wenig unternommen würde, jüngere Menschen für das Medium zu begeistern - im Übrigen kein Exklusivproblem von Cinématheken, sondern des Arthouse-Kinos insgesamt. Doch zumindest die Frage ist legitim, wie künftige Generationen mit einem Medium, dessen Bildern für diese keine Natürlichkeit mehr innewohnt, umgehen werden. Zumindest unter Vertretern der bildenden Kunst ist ein neu erwachtes Interesse zu bemerken, mit dem Material Film zu arbeiten - etwa bei Lucy Raven, Luke Fowler, Ben Russell oder der schon erwähnten Tacita Dean.

Umgekehrt ist selbst in Cinématheken der von der klassischen Cinephilie verpönte Einsatz von Ersatzmedien längst kein Tabu mehr - gibt es den Film nicht in der Sammlung oder lohnt sich eine Einfuhr nicht, erzählt Horwath, greifen viele solcher Institutionen auf eine Blu-Ray zurück. Ein Schritt, der inzwischen wohl deshalb leichter fällt, als das scharfe und unzerkratzte HD-Bild für die Mehrheit immer mehr zum Standard dessen wird, was man unter einem Filmbild subsumiert.

Für Wengström kommt dies nicht infrage, denn es "handelt sich um Technologien aus dem Home-Cinema-Bereich. Würden wir diese in die Cinémathek verschieben, gäbe es ja keinen Unterschied mehr." Auch Horwath betrachtet sich als entschiedener Kämpfer gegen diese Entwicklung: "Institutionen, die meinen, sie müssten historische Bildtypen möglichst nahe ans HD-Bild heranführen, haben für mich schon verloren - auch wenn sie gegenwärtig diejenigen zu sein scheinen, die gewinnen. Mich erinnert das ans 19. Jahrhundert, wo man mittelalterliche Plastiken, Marienstatuen einfach neu angepinselt hat, um dem aktuellen Geschmack Genüge zu tun - und das hat man dann, wie bei Blu-Rays heute, als ,Neurestaurierung!' angepriesen."

Ein Labor für die Zukunft

Welche Notwendigkeiten ergeben sich aus diesen Feldern für die Zukunft des Filmmuseums? Zuallererst gilt es einen neuen Standort für das inzwischen viel zu eng gewordene Archiv zu finden, das derzeit noch in Heiligenstadt logiert. Auf dem Gelände des neu adaptierten Hauptbahnhofs stand bis vor kurzem ein noch umfassenderes Ausbauprojekt zur Diskussion, in dem das Archiv, die Bibliothek und Mediathek des Hauses sowie ein Projektionsort in einem Kulturkubus hätten zusammengefasst werden können.

"Das ist eine sehr ambitionierte Idee", sagt Horwath, "die es weltweit nirgendwo gibt: ein Ort, wo Archivierung, öffentliche Nutzung zu Studienzwecken und Ausstellungsteil unter einem Dach zusammenfinden. Überall sonst werden diese Funktionen gesplittet." Dieses zukunftsweisende Vorhaben wird aufgrund des Wechsels des Quartiers Belvedere von der Erste Group zum Immobilienentwickler Strauss & Partner nun wohl nicht am Hauptbahnhof realisiert werden - einmal mehr ist dort eine Musicalhalle im Gespräch.

Die Standortsuche geht weiter. Die Utopie dieses "Labors", das zum eigentlichen Auftrag des Kinos als Ausstellungsort noch eine vertiefende Auseinandersetzung mit Film und seiner Apparatur ermöglichen könnte, erscheint gerade im Moment der historischen Ablöse des Mediums unerlässlich. (Isabella Reicher, Dominik Kamalzadeh, Album, DER STANDARD, 12./13.4.2014)