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Gabriel García Márquez 1927-2014.

Foto: Reuters/Garrido

Leben, um davon zu erzählen sollte bis auf die zwei Jahre darauf erschienene Novelle Erinnerung an meine traurigen Huren, die von den Feuilletons mehrheitlich als Altherrenfantasie abgelehnt wurde, Gabriel García Márquez' letzte Publikation werden. Und es war ein Buch, in dem der Schriftsteller seine Leser einmal noch in eine Welt und Figurenkonstellation führte, die ihnen aus den Romanen wohlbekannt waren. Geboren wurde Gabriel García Márquez am 6. März 1927 als ältestes von elf Geschwistern (sechs Brüder, vier Schwestern) in dem kolumbianischen Dorf Aracataca.

Sein Vater war ein Telegrafist, der später als reisender Homöopath arbeitete, die Mutter stammte aus einer Offiziersfamilie, ihr Vater war Oberst und zunächst gegen die Verbindung seiner Tochter mit einem Zivilisten. Nichtsdestotrotz wuchs Gabriel, nachdem die Eltern nach Ríohacha übersiedelten, die ersten acht Jahre bei ebendiesem Großvater und dessen Frau auf. Es sollten prägende Jahre werden. Das geräumige Haus, das die Großeltern in der Nähe des kolumbianischen Atlantik bewohnten, war tagsüber ein Treffpunkt für zahlreiche Gäste. Nachts aber war es ein Ort der Angst, in dessen unbewohnten Zimmern verstorbene Verwandte als Geister hausten.

Faulkner, Hemingway und Kafka

Trotz der Gipsheiligen auf dem Hausaltar ist es die Großmutter gewesen, die ihrem Enkel die Allmacht des Erzählens nahebrachte und ihm eine Welt des Aberglaubens vermittelte, in der sich das Übernatürliche mit dem Alltäglichen ununterscheidbar durchdringt. Das sollte – Stichwort magischer Realismus mit seinem Neben- und Ineinander verschiedenster Zeit- und Wirklichkeitsebenen  - prägend sein. In Interviews erzählte García Márquez oft von Vorahnungen, Zeichen, Zufällen und davon, dass er ohne gelbe Rose auf seinem Schreibtisch nicht schreiben konnte.

Die Verkörperung des Realitätssinns stellte für den jungen Gabriel hingegen der Großvater dar, der im Bürgerkrieg der "tausend Tage" als Oberst auf Seiten der aufständischen Liberalen gegen die Konservativen gekämpft hatte. Er machte seinen Enkel mit der kolumbianischen Geschichte vertraut und unternahm mit ihm Spaziergänge zur ehemals von den Amerikanern betriebenen nahegelegenen Bananenplantage Macondo. Ein Name, der dem Leser im Werk des an Faulkner, Hemingway und Kafka geschulten Schriftstellers öfter begegnet.

Vor allem im Roman Hundert Jahre Einsamkeit (1967)  spielt Macondo eine Rolle. Als Dorf nämlich, in dem sich die hundertjährige Geschichte der Familie Buendia abspielt. Die Handlung beginnt ungefähr 1830 mit der Gründung der kolumbianischen Republik und dem fast gleichzeitigen Beginn endloser Bürgerkriege, um mit dem Aufstand der Bananenarbeiter gegen Ende der 1920er-Jahre zu enden. Der historische Zeitraum wird gleichzeitig als erbarmungslos sich abwickelnder Mythos von Liebe, Tod, Apokalypse und Inzest erzählt. Zur hundertjährigen Einsamkeit sind die bis ins siebte Glied verfluchten Geschlechter vor allem durch ihren Machthunger, die Missachtung sozialer Ideale und mangelnde Empathie verdammt.

Das Grundmotiv einer stehengebliebenen Zeit, der Geschichte, die ins Stocken gerät, nimmt auch der zweite große Roman des Autors, Der Herbst des Patriarchen (1975) auf, in dem ein uralter Diktator inmitten eines Palastes voller Kühe die Hundertjahrfeier der eigenen Machtergreifung feiert. Neben dem Thema der Mensch und sein Ort werden mit den Themen Kolonialpolitik, Macht und Machismo drei weitere Stränge transparent, die sich durch das Werk García Márquez' ziehen. Ein Text, der wesentlich zur Entscheidung des schwedischen Komitees beigetragen haben soll, den Nobelpreis an García Márquez zu verleihen, war dann der Kurzroman Chronik eines angekündigten Todes, in dem zwei Brüder einen Mann umbringen, der ihre Schwester, die gerade mit einem wohlhabenden Fremden verheiratet wurde, entehrt haben soll. Das Buch erschien 1981 in einer Erstauflage von einer Million.

Mit Liebe in Zeiten der Cholera und Von der Liebe und anderen Dämonen feierte der Autor, der längere Zeit in Barcelona, Venezuela und vor allem Mexiko-Stadt lebte, große Erfolge. Streitbar zeigte er sich durch seine langjährige Freundschaft mit Fidel Castro und die 1996 erschienene große Reportage Nachricht von einer Entführung, die sich mit der Brutalität des Drogenkartells in Medellin und deren Boss Pablo Escobar auseinandersetzt (ein Thema, das letztens Roberto Saviano in ZeroZeroZero wiederaufnahm). Der Lymphdrüsenkrebs des Autors galt als kuriert, allerdings waren, wie einer seiner Brüder 2012 bekanntgab, beim Autor Symptome einer senilen Demenz festgestellt worden.

Es ist ein zuweilen apokalyptischer Blick, den der Autor mit einer bestechenden Sicherheit für Details und scheinbar Nebensächliches auf der Welt ruhen ließ. Dem Jammertal des Daseins hielt Gabriel García Márquez jedoch stets Fantasie, Vorstellungskraft und immer wieder die Liebe entgegen. Auch deshalb nannte ihn sein Kollege Pablo Neruda einen Vulkan, der Träume ausspeie - und Menschen aus Fleisch und Blut. In García Márquez' zweitem Buch, der Erzählung Der Oberst hat niemand, der ihm schreibt (1958), sagt eine Frau zu ihrem Mann, einem Oberst: "Die Illusion kann man nicht essen." Er antwortet: "Aber sie nährt." Am Donnerstag starb Gabriel García Márquez in Mexiko-Stadt. (Stefan Gmünder, DER STANDARD, 18.4.2014)