Kulturkampf in härtester FP-Tradition im Rahmen der Wiener Gemeinderatswahlen 1995: Elfriede Jelinek, von kaum jemandem in Schutz genommen, zog sich zurück.
Foto: STANDARD

Keine andere Autorin ist – jedenfalls bis gestern – in der heimischen Öffentlichkeit so umstritten wie Elfriede Jelinek. Sie, die in ihren Texten immer neu die österreichische Gesellschaft und Mentalität kritisch befragt, ist in Österreich eine Reizfigur ersten Ranges.

Wien – Was man im allgemeinen Jubeltaumel im Nobelpreis-Gefolge nicht vergessen sollte: Seit den siebziger Jahren wird Elfriede Jelinek in Österreich als "Nestbeschmutzerin" diffamiert, als "Kommunistin" geschmäht, als "Pornographien" denunziert. Politische und mediale Hetze, Skandalisierung und Personalisierung, an der sich ganz Österreich lustvoll beteiligt, bestimmt den Umgang mit der Autorin.

Ein Chronologie der Reibungen, Debatten und Skandale, die es in Zusammenhang mit Jelinek in Österreich gegeben hat, wird so zu einem Befund der Verfasstheit der österreichischen Öffentlichkeit, des Niveaus des öffentlichen Diskurses wie der Mentalität dieses Landes. Protestierte die ÖVP bereits 1976 gegen Jelineks Drehbuch zum ORF-Fernsehfilm "Die Ramsau am Dachstein", das die Vorgaben eines tourismusfördernden Heimatfilms unterlief, so begann die eigentliche Hetze gegen Jelinek anlässlich der Uraufführung ihres Theatertextes "Burgtheater" in Bonn 1985. Als Schlüsselstück wurde dieses Werk, das bis heute in Österreich nicht gespielt wurde, von österreichischen Politikern, Journalisten und Theaterleuten vernichtet.

Die Familie Wessely-Hörbiger, auf die im Stück Bezug genommen wird, wurde aggressiv verteidigt, das Stück als "ordinäre Beschimpfungsorgie" abqualifiziert, Jelinek als potenzielle Mörderin diffamiert. War sie zunächst das Feindbild der ÖVP, so waren es ab sofort die "Kronen Zeitung" und die FPÖ, die gegen Jelinek auftraten und versuchten, anti-intellektuelle Ressentiments zu mobilisieren, indem man die Autorin gleichermaßen als subventionierte "Staatskünstlerin" wie als "Staatsfeindin" attackierte.

Jörg Haider polemisierte mehrfach gegen Jelinek und bezeichnete sie als "zutiefst frustrierte Frau". Wolf Martins wiederholter Reim von "Jelinek" auf "Dreck" in der "Krone" zeigt das Niveau der öffentlichen Auseinandersetzung.

Anlässlich der Uraufführung von Jelineks "Raststätte" in der Inszenierung von Claus Peymann 1994 wurde Jelinek auch von Leserbriefschreibern persönlich diffamiert. Ihre Texte wurden als "perverse Ergüsse" einer kranken Frau denunziert, es wurden offen Todeswünsche artikuliert.

Kulturkampfplakat

Höhepunkt des von der FPÖ inszenierten Kulturkampfes gegen Jelinek war eine Plakataktion im Jahr 1995. "Lieben Sie Scholten, Jelinek, Häupl, Peymann, Pasterk ... oder Kunst und Kultur?", stand auf dem Plakat, das die FPÖ anlässlich der Wiener Gemeinderatswahlen 1995 affichierte, und kaum jemand in Österreich (außer Peter Turrini) war bereit, Jelinek gegen dieses Plakat in Schutz zu nehmen.

In der Folge zog sich Jelinek für kurze Zeit aus der heimischen Öffentlichkeit zurück, die Uraufführung ihres Theatertextes "Stecken, Stab und Stangl", der die Roma-Morde in Oberwart thematisiert und einen Ausspruch Jörg Haiders als Motto hat, fand 1996 im "Exil" in Hamburg statt.

Wurde die Uraufführung von Jelineks "Sportstück" 1998 am Wiener Burgtheater in der Inszenierung von Einar Schleef zu einem spektakulären Event, an dem auch Politiker wie Andreas Khol gerne teilhatten ("Die Abrechnung mit unverantwortetem Sex ist ja eine klassisch-konservative Botschaft", meinte Khol damals lobend über Jelinek), so war der nächste Skandal bereits vorprogrammiert:

Im Sommer 1998 veranstalteten die Salzburger Festspiele unter ihrem Schauspielchef Ivan Nagel einen großen Jelinek-Schwerpunkt. Und der Salzburger Erzbischof Andreas Laun äußerte sich in einem Leserbrief an die "Salzburger Nachrichten" überaus kritisch zu dem übergroßen Jelinek-Bild an der Fassade des Großen Festspielhauses – zwei Wochen später wurde das Bild weggerissen. Wer dafür verantwortlich war, ist bis heute nicht geklärt.

Permanenter Hass

Paradoxerweise richtete sich der Hass auch gegen die schweigende Autorin. Als Jelinek im Februar 2000 ein Aufführungsverbot ihrer Stücke für die Zeit der FPÖ-Regierungsbeteiligung erließ, war die Wut unermesslich – nicht nur die der Gegner, sondern auch die der Sympathisanten. Die Zeit der politischen "Wende" bedeutete selbstverständlich keine Wende in der Bewertung Jelineks, man änderte jedoch die Strategie.

Anlässlich der Uraufführung von "Bambiland" durch Christoph Schlingensief am Wiener Burgtheater im Dezember 2003 wurde vonseiten der österreichischen Öffentlichkeit mit allen Mitteln versucht, einen Skandal herbeizuschreiben – um dann gelangweilt festzustellen, dass es im Falle Jelineks (und Schlingensiefs) nicht einmal mehr dazu reichen würde. Wieder war kaum jemand in Österreich bereit, den sprachkritischen Strukturen des komplexen Jelinek-Textes nachzugehen noch die kongeniale intermediale szenische Entsprechung des Textes durch Schlingensiefs Inszenierung zu analysieren.
(DER STANDARD, Print-Ausgabe, 8.10.2004)

P.S.: Mit den Worten "Eine kommunistische Schriftstellerin bekommt von mir keine Blumen", reagierte der Kärntner Landeshauptmann Jörg Haider (FPÖ) am Freitag auf die Zuerkennung des Literaturnobelpreises an Elfriede Jelinek. Er wolle einer Frau, zu welcher er eine jahrzehntelange konfrontative Beziehung habe, nicht in der Stunde ihres größten Erfolges eine Gratulation schicken. (APA)