Denn aus den damals populären tayloristischen Bewegungsstudien hatte sie gelernt, dass es für jede Arbeit einen einfachsten Weg geben müsse. Und so entwickelte sie, inspiriert durch ihren Ehemann Wilhelm Schütte, der an der "Wohnung für das Existenzminimum" arbeitete, das Prinzip, auf minimalem Raum eine maximale Ausstattung unterzubringen. Das Ergebnis war die damals revolutionäre platzsparende Einbauküche. Die Frankfurter Küche, mit der die erste Architektin Österreichs weltberühmt geworden ist, war jedoch nur eines vieler Projekte, welches Schütte-Lihotzky im Zuge des sozialen Wohnbaus geschaffen hatte.
Sozialer Wohnbau
Ab 1920 in der SiedlerInnen-Bewegung aktiv, war Schütte-Lihotzky verstärkt mit den schwierigen Lebensbedingungen der Wiener ArbeiterInnenschaft konfrontiert. Daraus entwickelte sie die Einsicht, dass das Elend der ArbeiterInnen auch deren katastrophale Wohnsituationen umfasste. Maßgeblich war daher, dass die arbeits- und platzsparenden Konzeptionen auch für die sozial Schwachen finanziell erschwinglich waren. Neben ihren beispielhaften Siedlungs- und Sozialbauten in Österreich und Deutschland, entwarf sie auch Kindergärten und -möbel sowie Schulen - in Istanbul, Paris, London und Moskau.
Erste Architektin
Margarete (zumeist "Grete" genannt) Lihotzky wurde am 23. Jänner 1897 in Wien als Tochter einer bürgerlichen Familie geboren. Die Umsetzung ihres Wunsches, Architektur zu studieren, wurde ihr nicht leicht gemacht. Als sie nach dem Besuch der K.K. Kunstgewerbeschule in Wien, die sie zwischen 1915 und 1919 als erste und einzige Frau besucht hatte, weiter studieren wollte, waren sowohl ihr Vater, ein Staatsbeamter, als auch ihr Professor gegen eine Fortsetzung des Studiums an der Hochschule für angewandte Kunst. "Sie haben gedacht, ich würde verhungern ... 1916 konnte sich niemand vorstellen, dass man eine Frau damit beauftragt, ein Haus zu bauen - nicht einmal ich selbst", erzählte sie anlässlich ihres 100. Geburtstags in einem Interview der Wiener Zeitung. Sie ließ sich dennoch nicht beirren, denn das "mathematische Präzise, das Künstlerische, Gestalterische und vor allem das Soziale an der Architektur" faszinierten sie.
Internationale Arbeit
Nach dem Studium arbeitete die Architektin für die "Erste gemeinnützige Siedlungsgenossenschaft der Kriegsinvaliden Österreichs" und war gemeinsam mit Adolf Loos im Baubüro der Siedlung Friedensstadt am Lainzer Tiergarten tätig. 1926 wurde sie vom deutschen Architekten Ernst May ins Frankfurter Hochbauamt gerufen, wo sie Einrichtungen für Kindergärten, Wäschereien, Wohnungstypen für berufstätige alleinstehende Frauen und die Frankfurter Küche entwarf. Dort lernte sie den Architekten Wilhelm Schütte kennen, den sie ein Jahr später heiratete.
Im NS-Widerstand
1930 ging sie mit May nach Moskau, um Kinderbauten und Industriestädte zu planen. Nach Arbeitsaufenthalten in Paris, London und Istanbul, wo sie beispielsweise die an der Montessori-Pädagogik orientierten Pavillonkindergärten entwarf, kehrte Schütte-Lihotzky 1940 nach Wien zurück und schloss sich dem antifaschistischen Widerstand der KPÖ an. In einem Interview der ÖH-Boku-Zeitung von 1995 sagte sie: "Wir waren überzeugt ... dass der Nationalsozialismus ein Unglück ist für die Welt und Europa, nicht nur für Österreich". Bereits nach 25 Tagen widerständiger Arbeit wurde sie von der Gestapo verhaftet und - "durch eine Reihe von Zufällen zu 'nur' 15 Jahren Haft" verurteilt. Mit dem Ende des Krieges konnte sie am 29. April 1945 von amerikanischen Truppen aus dem Gefängnis Aichach in Bayern befreit werden.
Nicht nur, dass ihr beispielgebender Widerstand gegen das NS-Regime vom Staat Österreich ignoriert wurde, auch ihre Arbeiten im Bereich Architektur waren ab 1946 von einem Boykott der Stadt Wien gekennzeichnet, da sie nicht bereit war, aus der KPÖ auszutreten. Erst ab ihrem 90. Geburtstag wurde die große sozialreformerische Architektin mit Ehrungen überschüttet.