Bild nicht mehr verfügbar.

Anatol Stefanowitsch: "Sprachwandel passiert, indem Sprache verwendet wird."

Foto: apa/Jan Woitas

Andreas Mölzer wäre vor 30 Jahren für seinen N-Sager wohl noch nicht unter Druck geraten. Heute sind sich hingegen weite Teile der Bevölkerung einig: Diese Wortwahl geht nicht mehr. Was gesagt oder geschrieben wird, ist also nicht in Stein gemeißelt. Sprache verändert sich laufend.  

So hätte sich vor zehn Jahren niemand etwas unter der Aussage vorstellen können, jemand habe gerade einen "Tweet abgesetzt". Auch gewisse Formulierungen, in denen die Wörter zwar nicht neu sind, in einer bestimmten Kombination aber gerade in Mode, kommen und gehen wieder. "Echt jetzt?" und "Das geht gar nicht!" waren bis vor nicht allzu langer Zeit in Österreich selten gehörte Redewendungen, haben aber derzeit auch hierzulande Konjunktur. 

Kritische Aufmerksamkeit genießt der Sprachwandel aber vor allem dann, wenn es um ausschließende oder verletzende Formulierungen geht. So gab es in den vergangenen Wochen heftige Proteste gegen einen Entwurf für eine neue Richtlinie für die Textgestaltung ("Önorm A 1080"). Dieser sprach sich dagegen aus, das Femininum, also die grammatikalische weibliche Form, zu berücksichtigen. Stattdessen könne in bestimmten Fällen zum "generischen Maskulinum" zurückgekehrt werden (dieStandard.at berichtete): So hat laut Entwurf "Der Kunde ist König" eine allgemeine Bedeutung, Frauen - oder Kundinnen - wären mitgemeint und dürfen sich auch als "König" fühlen.  

Normen und Verbindlichkeiten

Sämtliche bisherigen Errungenschaften, Frauen sprachlich sichtbar zu machen, würden damit gefährdet werden (Kommentare:  Vorwärts ins Mittelalter, Texten im Namen der Gerechtigkeit), lautet die Kritik am Vorschlag zur neuen Norm. Doch hat ein Entwurf zu einer Richtlinie für die Gestaltung von Schriftstücken, selbst wenn er angenommen wird, überhaupt Einfluss auf die Schreibenden und somit auf die Sprechenden? Der deutsche Sprachwissenschafter Anatol Stefanowitsch, der den ersten deutschsprachigen Sprachwissenschaftsblog betreibt, sagt auf Nachfrage von dieStandard.at: "Es ist niemand verpflichtet, sich an Normen zu halten." Trotzdem kann daraus ein Muss werden. "Wenn so eine Norm existiert, können Behörden, ArbeitgeberInnen oder auch Verlage sagen: Wir halten uns hier in diesem Haus an diese Norm." Über diesen Weg könnte eine Norm  für MitarbeiterInnen durchaus  verpflichtend werden.   

"Das Komitee hat nun zum ersten Mal das Thema der geschlechtergerechten Sprache aufgegriffen", sagt Johannes Stern von der Plattform Austrian Standards. Er betont gegenüber dieStandard.at, dass die Plattform keinen Einfluss darauf habe, was und wie tatsächlich genormt wird. Der vielkritisierte Entwurf für die "Önorm A 1080" betrifft Fragen wie: Wo gehört die Adresse in einem Brief hin, wie viele Leerzeilen braucht es, und wie soll die Anrede gestaltet sein. 

"Mitmeinen" funktioniert nicht

Diese Richtlinien für die Textverarbeitung werden in manchen Schulen, etwa Handelsschulen, als Lehrmittel genutzt. Sollte sich der Entwurf für die neuen Richtlinien durchsetzen, würden die dortigen SchülerInnen lernen, dass das Binnen-I keine gute Idee, sondern ein "Buchstabensalat" ist.  

"Die psycholinguistische Forschung hat längst gezeigt, dass das mit dem 'Mitmeinen' nicht funktioniert", sagt Stefanowitsch. Ist nur das Maskulinum angeführt, brauchen die LeserInnen noch einen extra Interpretationsprozess. Die Chefin des Önorm-Komitees, Walburg Ernst, sieht das anders. Für sie ist klar, dass unter "Arzt" alle sofort auch "Ärztin" verstehen. Ernst ist Trainerin für das Fachgebiet Sekretariat, Assistenz und Büromanagement und hat auch Fachbücher über die Themen Schriftverkehr verfasst. 

Sprachwissenschaftlerin ist sie jedoch keine. Das wirft die Frage auf, wie sich solche Komitees, die aktiv auf den Sprachgebrauch Einfluss nehmen wollen, überhaupt zusammensetzen? In den Normenkomitees, die sich über Austrian Standards vernetzen, bringen sich VertreterInnen aus der Wirtschaft, der Verwaltung, der Wissenschaft, aber auch VerbraucherInnen und diverse Prüfstellen ein, zählt Johannes Stern auf, "aber im Prinzip können sich alle einbringen, die Interesse haben, an einem Thema mitzuarbeiten".  

Mangelnde linguistische Kompetenz

Stefanowitsch bemängelt, dass bei sprachgestalterischen Maßnahmen die linguistische Kompetenz häufig zu Wünschen übrig lasse: "Oft äußern sich dazu Leute, die keinerlei Fachkenntnisse haben." Ein Beispiel: Selbst bei der Rechtschreibreform sei die Sprachwissenschaft kaum vertreten gewesen, sondern hauptsächlich AutorInnen und Menschen aus der Journalistik, kritisiert er. 

Obwohl sich in der Linguistik das Wissen über geschriebene und gesprochene Sprache sammelt, beeinflusst auch sie nur bedingt den Wandel von Sprache, den vor allem Feministinnen und AntirassistInnen fordern. Stefanowitsch: "Sprachwandel passiert, indem Sprache verwendet wird. Bei jedem Sprechereignis kann sich die Sprache ein kleines Stück weiterentwickeln." Je kleiner eine Sprachgemeinschaft ist, desto schneller ist der Wandel der Sprache möglich – etwa wenn sich ein bestimmter Slang in einem kleineren sozialen Netzwerk durchsetzt. Stefanowitsch erklärt dies damit, dass es in kleineren Gruppen schlicht einfacher sei, ein bestimmtes Einverständnis herzustellen. Ein Einverständnis, das in großen Sprachgemeinschaften, in denen unterschiedlichste Gesinnungen aufeinanderprallen, so nicht herrscht.  

Sprachlich opportun

Das ist ein Problem, wenn es um das Vermeiden von ausschließender oder verletzende Sprache geht: Während es etwa in weiten Teilen des universitären Bereichs selbstverständlich ist, diskriminierende Begriffe zu vermeiden und geschlechtergerechte Sprache zu verwenden, sieht es in breiteren öffentlichen Debatten anders aus. "Die öffentliche Diskussion ist weit hinterher", sagt Stefanowitsch. Im Prinzip gebe es nicht einmal ein Bewusstsein dafür, dass rassistischer, sexistischer oder ausschließender Sprachgebrauch überhaupt ein Problem sei. "In dieser Situation kann man noch nicht über konkrete Lösungsstrategien diskutieren." Bis dato ist man sich nicht einmal einig, ob und in welchem Zusammenhang die Verwendung des N-Wortes rassistisch ist oder nicht: in Kinderbüchern nicht? In der Rede eines FPÖ-Politikers eher schon? 

Andreas Mölzer sieht das wiederum nochmals anders. Das N-Wort ist für ihn nur in Zusammenhang mit "Konglomerat" problematisch. Außerhalb dieser Kombination sei es ein "normales Wort". Angesichts dieser Interpretationen des sprachlich Opportunen dürften sich vermutlich einige fragen: "Echt jetzt?" (Beate Hausbichler, dieStandard.at, 26.3.2014)