Pieke Biermann: "Wir sind Frauen wie andere auch!" Prostituierte und ihre Kämpfe. Argument Verlag, Hamburg 2014. Euro 13,40.

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Im Kern des Buches selbst sind es Frauen, die sich in Gesprächsprotokollen zu ihrer Arbeit äußern.  

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Es ist noch nicht sehr lange her, da gab es in Deutschland – mal wieder – eine so genannte Prostitutionsdebatte. Soll die Prostitution abgeschafft werden?, das war die große Frage. Immer mal wieder, und beileibe nicht nur in Deutschland, plagen sich Konservative wie Liberale, Klerikale und GesundheitswächterInnen, FeministInnen und AntifeministInnen mit Fragen nach Verboten, Auflagen, Gesetzen, Menschenhandel, natürlicher Körperlichkeit und "kranker Sexualität" herum. Nur sehr selten verfällt man dabei auf die Idee, diejenigen zu fragen, die es am Besten, da aus eigener Erfahrung wissen – die Sexarbeiterinnen selbst.

Zu Wort gemeldet haben diese sich mit dem Buch "Wir sind Frauen wie andere auch! Prostituierte und ihre Kämpfe" von Pieke Biermann bereits 1980, nun ist es in einer Neuausgabe erschienen – ergänzt um eine Einleitung des Berufsverbandes erotische und sexuelle Dienstleistungen, einem neuen Vorwort von Pieke Biermann und einem Anhang, der Pressereaktionen auf die Erstausgabe sowie Reden, Essays und eine Literaturliste zu Prostitution im Nazistaat enthält.

Im Kern des Buches selbst sind es Frauen, die sich in Gesprächsprotokollen zu ihrer Arbeit äußern, daneben enthält das Buch umfangreiches Material zur Rechtslage in (damals noch West-)Deutschland oder eine Chronologie der Ereignisse rund um den Generalstreik der Prostituierten in Frankreich 1975. So wichtig, wissens- und lesenswert das ist, die eigentliche Notwendigkeit an diesem Buch sind die Frauen, die hier nicht nur für sich selber sprechen wollen, sondern es mit Witz und Ironie, Klarsichtigkeit, Ehrlichkeit und Würde ganz offensichtlich auch können. Es sind fünf Frauen, die sich in der Gesprächsrunde austauschen, dazwischen stehen immer wieder Zitate von Frauen aus dem Buch "Frauenhäuser. Gewalt in der Ehe und was Frauen dagegen tun" oder Aussagen anderer Sexarbeiterinnen. Der Ton in der Runde ist rotzig, eine Sprache der Straße, wie man immer gerne sagt. Manche der Frauen sind verheiratet und haben Kinder, andere leben alleine. Manche arbeiten auf der Straße, andere sind Tänzerinnen, wieder andere verdienen ihr Geld in Bars oder Peepshows. 

Unbezahlte Arbeit

Eine Wahrheit, die in den Moraldebatten der Feuilletons und Talkshows gerne ausgeblendet wird, zieht sich hier als Faktum durch das ganze Buch: Dass es bei der Prostitution zuerst und immer um Geld geht; oder, wie Pieke Biermann in ihrem Vorwort schreibt (vielleicht auch in Reaktion auf Alice Schwarzer und deren jüngsten Streich "Prostitution. Ein deutscher Skandal"): "... dass Geld das eigentliche Skandalon an der Prostitution ist; dass Frauen mittels Geld in 'anständige' und 'unanständige' gespalten werden; dass Geld verdammt erotische Potenzen hat und auch Frauen sich daran erfreuen dürfen; dass Geld niemanden automatisch 'befreit' und in einer Konsum- und Warenwelt auch kritisch beäugt gehört...". Es ist ganz deutlich die ökonomische Situation, welche die Frauen in die Prostitution geradezu drängt. "Ich mach doch diesen Job nicht aus Liebe zur Arbeit! Ich will das Geld, und zwar für mich!", heißt es einmal von der Tänzerin Angie.

Was mittlerweile den Mainstream erreicht, nämlich die Frage nach unbezahlter (Frauen-)Arbeit, ist hier bereits in den 1980er-Jahren eine offensichtliche Tatsache. "Frauen schaffen vor allem gratis, Männer dagegen leisten Lohnarbeit? Und ist das nicht überhaupt das offene Geheimnis der Machtverhältnisse zwischen den Geschlechtern?" Der Gegner, das sind hier keine zwielichtigen Menschenhändler oder Zuhälter. Vielmehr machten schon die Prostituierten, welche 1975 streikten, zu ihrer Parole: "Der Staat ist der größte Zuhälter." Hier wird es noch einmal aufgegriffen: "Wir verhandeln über die Löhne für unsere verschiedenen Arbeiten mit demjenigen, der für uns alle organisiert, dass wir entweder gar nicht erst Löhne bekommen oder dass sie uns hinterher wieder weggenommen werden."

Versorgungsehe und Bürojob

Für Frauen, das wird in den Gesprächen immer wieder deutlich, ist es sehr schwer, eigenes Geld überhaupt zu verdienen – und anders sind Unabhängigkeit und Selbstbestimmung nun einmal nicht zu haben. Zum einen böte sich ihnen die Möglichkeit der klassischen Versorgungsehe, die wiederum direkt zu der Frage führt, wo eigentlich noch der große Unterschied sein soll zwischen "Sexualität zu gestatten für Kost und Logis oder für bare Münze?" Die andere Möglichkeit, "anständig" an Geld zu kommen, sind miserabel bezahlte Jobs und Chefs, denen man irgendwann ebenso seine Annäherungen gestattet: "Der Sprung, ich meine, mit 'nem Chef schlafen, weil du dann im Büro mehr Ruhe hast, und dann den ganze Kram drum herum gleich ganz weglassen und sich nur noch auf den Rest konzentrieren, der Sprung ist gar nicht riesengroß." Erzwungene Sexualität scheint unvermeidbar, sich dafür bezahlen zu lassen eine schlicht vernünftige Entscheidung.

Was die Beziehung zwischen den Geschlechtern betrifft, ist dieses Buch eine einzige große Desillusionierung (oder auch eine Bestätigung, das kommt auf den Blickwinkel an). An Sexualität, erzählen einige der Frauen, hätten sie sowieso nie Freude gehabt, also könnten sie sich auch gleich dafür bezahlen lassen. Sex ist für sie oft nur eine Unterkategorie im weiten Feld der Haus- und Reproduktionsarbeit, die eine Frau eben zu leisten hat: "Sexualität als Freizeitbeschäftigung des Mannes zwischen seinen Arbeitstakten. Für Frauen keine Freizeit, sondern weiteres Glied in der endlosen Kette von Arbeitsgängen – zwischen Putzen, Einkaufen, Essenkochen, Bettenmachen und Pillennehmen..."

Zähne zusammenbeißen

Die Männer, welche die Frauen ja aus nächster Nähe kennen, kommen in deren Gesprächen gar nicht gut weg: "90 Prozent der Männer können sowieso keine Liebe machen", sagt eine. Und Tänzerin Angie zerstört auch gleich die sehr verbreitet Überzeugung, es würde den Prostituierten doch "auch irgendwie Spaß machen": "Du gaukelst vor. Ich jedenfalls, ich find’s ekelhaft, dass die mich anfassen, ich find schon die Vorstellung ekelhaft, dass ich mit denen ins Separée gehen soll. Du beißt eben die Zähne zusammen, so ungefähr." Nicht zu vergessen daneben die allgegenwärtige Gefahr, in der sich die Frauen befinden – Prostituierte als bekanntlich leichte Beute für jeden Gewalttäter. "Für uns Frauen“, heißt es einmal in einer Passage, die sexuelle Ausbeutung im Krieg behandelt, "ist 'Sexualität' immer auch dieser Gewaltzusammenhang."

Es gibt vieles in diesem Buch, von dem man über 30 Jahre nach der Erstveröffentlichung sagen kann, es habe sich zumindest gebessert – gerade, was das Verhältnis zwischen Frauen und Männern betrifft. Vieles andere wiederum ist heute so aktuell wie damals, und es scheint für jede und jeden, der oder die sich zum Thema Prostitution äußern möchte, geboten, sich vorher mit diesem Buch und ganz allgemein mit der Prostituiertenbewegung zu beschäftigen. So wird nämlich deutlich und nachvollziehbar, dass diese Debatte in gewisser Weise eine Scheindebatte ist, die von anderen, die gesamte Gesellschaft und Männer wie Frauen betreffenden Problemen ablenkt. Denn: "Das Geld ist da, wir sehen es täglich, und die einzige Möglichkeit, Prostitution abzuschaffen, ohne die Prostituierten zu liquidieren, ist anständiger Lohn für alle Arbeit aller Frauen." (Andrea Heinz, dieStandard.at, 31.3.2014)