Maja Bajević Video "How do you want to be governed?" 

Foto: Maja Bajevic, How do you want to be governed, Still 2, 2009

"Alle Menschen sind frei und gleich an Würde und Rechten geboren", lautet Artikel 1 der Menschenrechte. Warum trampeln wir ihnen dann im Gesicht herum? Diese Frage drängt sich gleich beim Eintritt ins Wiener MUSA auf. Der Künstler Gue Schmidt hat im Eingangsbereich des Museums großformatige Schwarz-Weiß-Porträts unterschiedlichster Frauen und Männer am Fußboden angebracht. Jeder, der eintritt, muss ihnen über den Kopf trampeln. Manche zögern, anderen fällt es leichter.

"Der Menschheit Würde" ist der Titel eines gemeinsamen Ausstellungsprojektes der Städte Wien, Sarajewo und Brno, das nacheinander an allen drei Orten gezeigt wird. Gestartet wird von 1. April bis 31. Mai in Wien. Anlass ist der Tod der ersten Friedensnobelpreisträgerin, Bertha von Suttner, vor 100 Jahren, aber auch das Gedenken an den Ausbruch der beiden Weltkriege. "Welche Indikatoren des menschlichen Würdeverlustes begegnen uns im Alltag? Welche Strategien bieten sich an, um dieses humanistische Grundprinzip gegen Instrumentalisierung und Kommerzialisierung zu verteidigen?" Dies sind Fragen, die sich die KuratorInnen Maja Abdomerović, Berthold Ecker, Roland Fink, Terezie Petisková und Jana Vránová gestellt haben.

Dokumentation einer Abwesenheit

Die ausgestellten KünstlerInnen nähern sich dem Würdebegriff  auf sehr unterschiedliche Weise: Macht es die Fotografin Lisl Ponger in ihrem Triptychon explizit und fordert "Gleiche Rechte für alle!", sind andere Arbeiten weit weniger plakativ. So thematisiert Gregor Neuerer das Problem der Obdachlosigkeit durch die Dokumentation einer Abwesenheit: "Spot of a homeless" heißt die Fotoarbeit aus dem Jahr 2000. Vom Obdachlosen bleibt nur der Abrieb an der Hauswand zurück, an der er gesessen hat.

Die Gewalttätigkeit in Maja Bajević Video "How do you want to be governed?" (2009) ergibt sich aus der simplen Wiederholung. Ein Mann, zu sehen ist nur sein Arm, stellt einer Frau immer wieder genau diese Frage, sie reagiert nicht. Er verwuschelt ihre Haare, richtet sie ihr wieder zurecht wie eine Mutter ihrem Kind, beginnt sie zu schütteln. Immer wieder fällt das Bild aus, der Bildschirm ist Sekundenbruchteile schwarz, bevor die sichtbare Tortur weitergeht. Die Künstlerin ist 1967 in Sarajevo geboren, wo die Ausstellung von Ende Juni bis Anfang August zu sehen sein wird.

Aktienkurs und Kunstmarkt

Die Wiener Künstlerin Deborah Sengl nimmt das Sprichwort beim Wort und steuert einen tatsächlichen Wolf im Schafspelz bei. Mehrere Arbeiten widmen sich den Themen Straßenkinder und Kindersoldaten, teils mehr, teils weniger gelungen. Vielfältig wie die Zugänge sind die Techniken. So ist Arnold Reinthaler mit einer Mamortafel vertreten: "breaking myself" heißt die Arbeit, in die der Künstler die Linie seines Aktienkurses am internationalen Kunstmarkt geschnitten hat. Kennt man diese Entstehungsgeschichte nicht, bleibt sie wie die Lebenslinie in einer Handfläche für Interpretationen offen.

Einen biografischen Hintergrund hat auch die Videoarbeit von Anna Jermolaewa. Die 1970 in St. Petersburg geborene Künstlerin war 1989 auf ihrer Flucht aus der Sowjetunion am Wiener Westbahnhof angekommen und hatte dort die ersten Tage und Nächte verbracht. In "Research for Sleeping Position" kehrt sie 17 Jahre später an diesen Ort zurück, der nicht mehr der gleiche ist. Am Bahnhof gibt es keine Bank mehr, sondern Sitzmöbel, deren Armlehnen extra so positioniert sind, dass man sich nicht ausstrecken kann. Wie sie dennoch versucht, zusammengekauert Schlaf zu finden, erzählt 18 Minuten lang eine eindringliche Geschichte über der Menschheit Würde. (Tanja Paar, dieStandard.at, 1.4.2014)