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In ihrem Aufsatz "Mein Körper – mein veganer Tempel" eruiert die Kulturwissenschaftlerin Katharina Röggla die Risiken und Nebenwirkungen des Veganismus. 

Foto: APA/Jens Kalaene

Eigentlich sollte das Thema Veganismus längst gegessen sein, ist es doch im wahrsten Sinne des Wortes seit Jahren in aller Munde. Ob dabei gesundheitsfördernde oder -schädigende Argumente das Für und Wider bestimmen oder ideologische wie Tierliebe und Ressourcenschonung ins Treffen geführt werden, die Debatte zeigt: Es geht nicht bloß um eine mögliche Art der Ernährung, sondern um eine neue politische Praxis mit weitreichenden Folgen. Doch so variantenreich darüber auch diskutiert wird, bisher blieb ein wesentlicher Aspekt unbeleuchtet: ob und wie vegane Ernährung das weibliche Essverhalten negativ beeinflusst.

In ihrem Aufsatz "Mein Körper – mein veganer Tempel", erschienen im Magazin "arranca", eruiert die Kulturwissenschafterin Katharina Röggla die Risiken und Nebenwirkungen dieser politischen Praxis für Frauen, die ihrer Meinung nach "über die Reglementierung von Nahrung funktioniert". Dabei wolle sie keinesfalls Bewertungen über Veganismus abgeben und schon gar nicht jene verurteilen, die sich dazu entschlossen haben. Vielmehr sei es ihr Anliegen, den "problematischen Umgang mit Essen aus privater Verschwiegenheit herauszuholen und in den politischen Diskurs zu integrieren". Dass sie ihren Fokus dabei auf Mädchen und Frauen richtet, liegt auf der Hand. Denn bekanntlich könne "die typisch weibliche Sozialisation zu einem spezifischen und tendenziell selbstzerstörerischen Umgang mit dem eigenen Körper" führen. Eine Tatsache, die bei Burschen entfällt, obgleich auch sie immer häufiger an Essstörungen leiden.

"Richtig sein" und sich politisch korrekt verhalten

In einer männerdominierten Gesellschaft lässt das Thema Essen nur wenige Frauen kalt. "Kaum eine, die nicht phasenweise gehungert, gekotzt, geschlungen oder zumindest daran gedacht hat“. Das Erreichen herrschender Schönheitsideale, schlank und rank zu sein, spiele allerdings nur vordergründig eine Rolle, meint Röggla. Wesentlicher sei die Frage, wie viel Raum Frauen in der Gesellschaft einnehmen dürfen, was und wie viel ihnen zugestanden wird, was sie erwarten und verlangen dürfen, verknüpft mit der Frage, ob sie "richtig“ sind, so wie sie sind. Dieses Infragestellen des "Richtigseins" korrespondiere auffällig mit der Anschauung innerhalb der queer-fem-linksradikalen Szene, die Veganismus als politisch korrektes Verhalten ausweist.

Doch diese frappierende Parallele sei nur eine von vielen. Indem nämlich Essstörungen auch für den Versuch stünden, "System in die eigene Ernährung zu bringen", also als Stütze oder Anker fungieren, erfülle vegane Ernährung genau dieselben Kriterien, auch sie biete Halt und Orientierung, so Röggla: "In einer Welt, die oft nicht freundlich ist, scheint die Kontrolle über den eigenen Körper oft der einzige Weg, auf sich selbst aufzupassen. Wenn ich mich vor sexualisierter Gewalt, Zukunftsängsten oder Einsamkeit nicht schützen kann, dann kann ich mich doch immerhin davor schützen, die Kontrolle über meinen Körper zu verlieren, kann darauf achten, mir nur gesunde gute Produkte zuzuführen, kann aufpassen, dass nichts Schlechtes in mich eindringt."

Wenn Zwang entsteht

Es sei nicht ihre Absicht, Veganismus mit einer Essstörung gleichzusetzen, betont Katharina Röggla, dennoch könne er die Funktion einer solchen einnehmen. Und dies sei nicht selten der Fall. Denn die Dynamiken von exzessiver Beschäftigung mit Nahrung seien jenen von Diäthalten und Abnehmen ähnlich. Anschaulich würde dies an den Einträgen in Foren, wo Frauen darüber berichten, dass sie sich, wenn sie vegan essen, auch ohne Erbrechen, "rein" fühlen. Oder wenn in den berüchtigten Pro-Ana-Seiten Veganismus als Geheimtipp zum Abnehmen kursiert, und genauso in den vielen Postings, in denen vormals an Essstörungen Erkrankte vegane Ernährung als ihre "Ersatzdroge" ausweisen.

Die Tragweite des Problems zeige sich dann, wenn aus der bewussten Entscheidung, manche Dinge nicht mehr essen zu wollen, der Zwang entsteht, sie nicht mehr essen zu können, schreibt Röggla. "Frauen, die Erfahrungen mit Essstörungen haben, wissen, wie es ist, wenn die ganze Aufmerksamkeit nur mehr ums Essen kreist; wenn die erste und die letzte Frage an jedem Tag die ist, was heute zu sich genommen werden darf“. Wenn diese Frauen jetzt vegan essen, gingen sie ein hohes Risiko ein, "Essen wieder zum Zentrum ihres Selbst zu machen – wenn auch unter anderen, politisch höher bewerteten Spielregeln".

Und auch dann, wenn vegane Ernährung manchmal dabei helfen könne, eine Essstörung durch eine ausreichende Nahrungsaufnahme "in den Griff zu bekommen“, bestehe die Gefahr, die ursprünglichen Probleme zu überdecken. Denn solche als Veganismus ausgelebten Essstörungen würden es diesen Frauen schwerer machen, Hilfe zu bekommen: "Jedes Gespräch über den Schmerz der betroffenen Frau muss erst den Umweg über den Schmerz der Tiere nehmen, der offenbar leichter als politisch erfahren werden kann als die eigene Depression."

Gefahr der geschlechtsspezifischen Reduktion

Essstörungen können in ihrem Kern als eine Antwort auf die frauenverachtende Gesellschaft gelesen werden, als eine Form des Widerstands gegen Sexismus, Ausbeutung und Unterdrückung, schreibt auch Röggla. Dass sich diese grundlegenden Probleme mit einem Umschwenken auf kontrolliert vegane Ernährung lösen ließen, sei mehr als absurd. Deshalb müsse, so ihr Plädoyer, "eine politische Praxis, die Nahrung so sehr ins Zentrum der Aufmerksamkeit stellt", unbedingt auch eruieren, "ob hier Frauen auf sich selbst und die Frage 'Was darf ich heute essen?‘ reduziert werden". (Dagmar Buchta, dieStandard.at, 8.4.2014)