Protest gegen TTIP vor dem Bundeskanzleramt.

Foto: Global 2000

Wien - Auf große demokratiepolitische und soziale Defizite bei den Verhandlungen zum Transatlantic Trade and Investment Partnership Agreement (TTIP) weist das entwicklungspolitische Netzwerk für Frauenrechte und feministische Perspektiven WIDE in einem Positionspapier hin. Speziell für Frauen sei die Vorgangsweise, in Geheimverhandlungen so weitreichende wirtschafts- und gesellschaftspolitische Vertragsbestimmungen auszuhandeln, höchst gefährlich und deshalb strikt abzulehnen.

Da die Verhandlungen streng geheim gehalten werden, gibt es keine konkreten Informationen über ihren Inhalt. WIDE und dessen Vorstand Edeltraud Novy befürchten jedoch, "dass Regelungen, die Frauenorganisationen mit anderen Gruppen der Zivilgesellschaft und den Gewerkschaften im Bereich Gesundheit, Hygiene, Ernährung, Sicherheit und Umwelt ausgehandelt haben, von den Verhandlerinnen als so genannte 'nicht-tarifäre Handelshemmnisse' gesehen und weg-verhandelt werden."

In hohem Maße wäre deshalb der Dienstleistungssektor betroffen, in dem in Österreich 83 Prozent der Frauen beschäftigt sind. Als Handelshemmnisse, so heißt es im Positionspapier, gelten in diesem Sektor auch arbeitsrechtliche Absicherungen, die Frauen Erwerbsarbeit ermöglichen mit der sie, neben ihrer unbezahlten Arbeit, zur Steigerung der Wohlfahrt beitragen. Aber, so WIDE: "Diese Wohlfahrt ist im Abkommen TTIP sichtlich nicht gemeint."

Leiharbeit statt Frauenförderung

Auf Nachfrage von dieStandard.at äußert sich das Netzwerk besorgt über mögliche Verschlechterungen am Arbeitsmarkt: "Erkämpfte Rechte und Errungenschaften, die Frauen eine gleichberechtigte Teilnahme am Erwerbsleben ermöglichen, sollen teilweise abgeschafft, reduziert oder nach 'unten harmonisiert' werden."

Bereits abgeschlossene Freihandelsabkommen, wie zum Beispiel NAFTA, das Abkommen zwischen USA, Kanada und Mexiko würden zeigen, dass es im Zuge der Umsetzung zu einer Ausweitung atypischer Erwerbsarbeit und zu einem Anstieg prekärer Arbeitsplätze, vor allem für Frauen, gekommen ist.

"Frauenförderungen, die es im Rahmen von Diversitätsprogrammen gibt, werden von den Konzernen umgangen, indem vermehrt Leiharbeitskräfte beschäftigt werden", stellt WIDE fest.

Geheime Verhandlungen

In seinem Positionspapier verlangt WIDE, offen zu legen, "wer mit wem was verhandelt". Durch das Abkommen würden zwar Wohlfahrtseffekte versprochen, es sei jedoch dringend zu klären, für wen und auf Basis welcher Annahmen diese Effekte überhaupt errechnet würden. Die Befürchtung von WIDE ist, dass es sich lediglich um ein "Umverteilungsprojekt zugunsten großer Konzerne und zulasten vor allem von Frauen" handle.

Einfluss sei auf die Verhandlungen in der gegenwärtigen Form kaum zu nehmen, sagt das Netzwerk, da sie "geheim zwischen der EU-Kommission und VertreterInnen der Regierung der USA, unter Beiziehung von 600 nicht genannten ExpertInnen und Konzernen in beratender Funktion" abliefen.

"Nicht einmal die Europäischen ParlamentarierInnen sind informiert. Es gibt keine Informationen über die Zahl der an den Verhandlungen beteiligten Frauen, da ja weder die ExpertInnen noch die beteiligten LobbyistInnen der Konzerne bekannt sind."

Schiedsgerichte widersprechen Völkerrecht

Besorgniserregend seien auch die mit AnwältInnen besetzten ad-hoc-Schiedsgerichte, die Streitfälle zwischen Staaten und Konzernen regeln sollen. Es gehe dabei um das Aushebeln eines nachvollziehbaren Rechtswegs, der durch Gesetze und deren Kontrolle gewährleistet ist. "Dies widerspricht sowohl nationalen als auch völkerrechtlichen Grundsätzen."

Die Möglichkeit, auf dieser Grundlage zu klagen, sieht das Netzwerk aber eher nicht gegeben. Man müsse sich dafür an "VölkerrechtlerInnen oder mit internationalem Recht befasste JuristenInnen wenden. Da aber derzeit sehr viele solcher Schiedsgerichtsverfahren laufen und es bereits darauf spezialisierte große Anwaltskanzleien gibt, ist anzunehmen, dass es schwer ist, dagegen Rechtsmittel zu ergreifen."

Zweifelhafter Mehrwert

Trotzdem oder gerade deswegen zeigt sich WIDE einig mit anderen Zivilgesellschaftlichen Gruppen und fordert, TTIP zu stoppen. Denn, so heißt es in dem Positionspapier: "Wie es derzeit aussieht, besteht der 'Mehrwert' für Frauen, den dieses Abkommen anstrebt, in mehr unbezahlter Arbeit, Privatisierung öffentlicher Güter und Gefahren für Gesundheit und Sicherheit." (hein, dieStandard.at, 15.4.2014)