Die Küchen des Balkans, so wie Maximova sie zeigt, sind das Gegenteil der wohlstandsgesättigten bürgerlichen Einbauküche.

Foto: Eugenia Maximova_The Balkan Kitchen
Foto: Eugenia Maximova_The Balkan Kitchen

Wie zwei ungleiche Augen schauen die alten Griffe der Wasserhähne direkt aus dem Bild heraus. Rot und blau. Rechts darüber, wie in komischer Korrespondenz, schweben aufgerollt zwei schon nicht mehr ganz frische Schwammtücher in einer Halterung an der tristen Kachelwand. Orange und gelb. Das Frühstücksbrettchen über dem Wasserhahn ist von vielen Messerschnitten zerschabt, die Holzverkleidung des Spülschranks abgestoßen, blau schimmert es unter dem weißen Lack hervor, die ältere Schicht.

Ornament und Funktion

Vor allem Farben und Formen interessieren die bulgarische Fotografin Eugenia Maximova. In allen neun Ländern des Balkans hat sie Küchen fotografiert, und dabei sind Stillleben entstanden, die nicht mit üppigen Obstkörben und toten Hasen aufwarten, sondern mit angerissenem Billigbrot, ausgelöffeltem Joghurtglas, gedörrten Birnen und ausgeblichenen Häkeldeckchen. Memento mori überall. Einige Bilder aus der Serie "Kitchen Stories from the Balkan" sind derzeit im Rahmen der Ausstellung "SEE New Perspectives“ in der Anzenberger Gallery in Wien zu sehen.

Die Küchen des Balkans, so wie Maximova sie zeigt, sind das Gegenteil der wohlstandsgesättigten bürgerlichen Einbauküche, auch wenn sie deren Elemente enthalten. Die alt-bräunliche Steckdose speist ein Handykabel, zwischen billiger Schleiflackspüle und einem alten Herd eingeklemmt steht die neue Waschmaschine, unter dem zerbeulten Kaffeetopf leuchtet die Digitalanzeige in der Chromarmatur eines guten Gasherds. Hier ist alles zusammengebastelt. Der Balkan ist arm, und die Zeit hat sich in die übernutzten Gegenstände eingegraben, in die Tischdeckchen und Schranktüren, in die Porzellangefäße und Emaille-Kannen. Abgegriffenes kann nicht mehr glänzen, sieht daher auch nie wirklich sauber aus, auch wenn man es putzt. Ein Patchwork sind diese Küchen aus Alt und Neu, aus bloßer Funktionalität und gemütlichem Ornament.

Küchengeschichten

Als sie sich in einer Meisterklasse für südosteuropäische Fotografinnen und Fotografen mit dem Thema Balkan beschäftigen sollte, kam ihr sofort die Küche in den Sinn, sagt Maximova, denn die sei für das Leben auf dem Balkan zentral. Hier versammeln sich Familie und Freunde, im Winter schlafen die Menschen oft in der Küche, weil sie der wärmste Ort des Hauses ist. Eine Mischung aus mediterranem und orientalischem Einfluss mache die Küche des Balkans aus, erklärt Maximova, und mit "Küche" meint sie in diesem Fall beides, das Essen, aber auch die Atmosphäre der Räume.

Bevor sie ihre Aufnahmen machen konnte, hat die Fotografin viel Zeit mit den BewohnerInnen verbracht, sie oft besucht. So erzählt jede der Küchen auch eine Geschichte, und oft ist es eine vom Zusammenleben mehrerer Generationen. Details auf den Fotos, wie etwa eine kleine Babyflasche am Rand, der poppige Emilia-Kalender an der sonst verblichenen Wand, verraten etwas davon.

Maximova selbst lebt schon lange nicht mehr dort, wo diese Küchen sind. Sie wollte immer weg. Ihre Heimatstadt Ruse – auch der Geburtsort Elias Canettis – sei zu einem tristen Ort verkommen, viele der BewohnerInnen zogen fort, die alten ehemaligen Prunkgebäude verfallen; Maximova erinnert sich aus der Kindheit noch an sauren Regen, der die Kleidung zerfraß. 1996, im Alter von 23, ging sie, die Tochter einer Malerin und eines Journalisten, zunächst nach Deutschland. Hier schlug sie sich mit Jobs durch und kam 1999 nach Wien, wo sie Journalismus und Kommunikationswissenschaften studierte.

Erst 2005, nach dem Tod ihrer Mutter, begann sie zu fotografieren, um sich von der Trauer abzulenken. Obwohl es zunächst nur ein Hobby war, gewann Maximova, die meist analog arbeitet, bald schon Preise mit ihrer Fotografie. Vielleicht setzt sie ja doch eine Familien-Tradition fort, denn ihre Bilder haben zwar eine journalistische, aber auch eine deutlich malerische Komponente. Zwei Ölgemälde der Mutter hängen auch in Maximovas Wohnküche in Wien.

Nostalgie der Rückkehr

Die Ausstellung "SEE New Perspectives", in deren Rahmen Maximova derzeit ausstellt, basiert auf einem gemeinsamen Projekt von World Press Photo und der Robert Bosch Stiftung. Die Idee war es, Fotografinnen und Fotografen aus Südosteuropa zu Reportagen über ihre Heimatregion anzuregen, sie aber auch in die benachbarten Länder zu schicken. Die 20 Foto-Serien, die dabei entstanden, sind in der Ausstellung größtenteils nur als Prints zu sehen.

Die Themen und die Bilder selbst sind berührend, in der Mehrzahl auch bedrückend. So zeigt Sanja Knežević die Brautsuche serbischer Männer in Albanien und Kosovo, Petrut Calinescu die üppigen Häuser, die sich rumänische Fremdarbeiter nach ihrer Rückkehr in ihrer Heimat bauen. Neben den Balkan-Küchen, die zum Teil auf großen Abzügen ausgestellt sind, ist von Eugenia Maximova auch eine Foto-Reportage über die aufstrebende bulgarische Ringerin Taybe Yusein zu sehen.

Maximova plant weitere Arbeiten zu ihrer Heimat, auch eine über das Atelier ihrer Mutter, das immer noch unberührt in Ruse steht. Aus ihren Fotografien spricht, mehr vielleicht als aus denen der anderen Ausstellenden, der Blick einer begrenzt nach Hause Zurückgekehrten. Weil eben die Welt in Südosteuropa so viel Altes birgt, weil die Zeit hier stehengeblieben scheint, stellt sich jene leise Nostalgie ein, die etwas lange Vergessenes wiederfindet. Sie schaue auf die Küchen "wie ein erwachsener Mensch, der Kindersachen betrachtet", sagt Eugenia Maximova. Nur dieser Blick, der vertraut ist und fremd zugleich, der Blick der (Wieder-)Erinnerung, kann die Farben und Formen sehen, die sonst im alltäglichen Gebrauch verschwinden. Das helle Blau der Wand, die Muster der alten Kacheln oder des Häkeldeckchens, das Arrangement der zwei Kuchenstücke auf einem kleinen Teller.

Maximova hat ausschließlich Küchen von Menschen fotografiert, die ihr sympathisch waren und ausschließlich Küchen der einfachen Leute, eben der Mehrheit der Bevölkerung auf dem Balkan, wo auch die Mittelschicht nur das Notwendige zum Leben hat. Die Küchen der Wohlhabenden dagegen seien fad, sagt die Fotografin, sie taugten nicht als Motiv. Wenn man die ablichte, entstünden nur Bilder wie aus  Inneneinrichtungskatalogen.  (Andrea Roedig, dieStandard.at, 11.5.2014)