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Eine Frau näht an einer Jeans mit der Aufschrift "If you can catch me" in dem Slum Shastri Park im Osten von Delhi, Indien.

Foto: dpa/Christian Charisius

Elisabeth Schinzel von Südwind.

Foto: privat

Saskia Krämer von der Fair Wear Foundation.

Foto: Fair Wear Foundation

Das Logo der Fair Wear Foundation, deren Zertifikat soziale Standards garantiert.

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Wien - Vor kurzem hat sich die Katastrophe in Rana Plaza gejährt. Zahlreiche ArbeiterInnen, die für westliche Modemarken zu Hungerlöhnen Kleidung produzierten, kamen dabei ums Leben. Elisabeth Schinzel von der Südwind Agentur in Wien ist im Bereich Clean Clothes Kampagne und Corporate Social Responsibility tätig. Zum Symposium "Textilien fair beschaffen - aber wie?" hatte die Südwind Agentur unlängst Saskia Krämer von der Fair Wear Foundation eingeladen, welche die Arbeitsbedingungen in der Bekleidungsindustrie verbessern will. Gemeinsam erzählen sie über faires Produzieren als Marktvorteil, das Hochlizensieren der Standards und warum faire Standards wenig kosten, viele aber trotzdem davor zurückschrecken.

dieStandard.at: Nach der Katastrophe von Rana Plaza wird viel über bewusstes Konsumieren gesprochen, also darüber, wo man als EinzelkonsumentIn am besten einkauft. Sie arbeiten seit 2007 zum Thema sozial faire Beschaffung. Worum geht es hier?

Elisabeth Schinzel:  Viele denken zuerst an die großen Mode-Marken wie Kik oder Benetton, die bis jetzt noch immer verabsäumt haben, Entschädigungszahlungen zu leisten. Das etwas weniger prominente Thema sind die Marken in der Arbeitsbekleidungsbranche, die nicht so bekannt sind. Menschen, die nicht mit dieser Branche zu tun haben, haben oft gar kein Bewusstsein für Fragen wie: Gibt es Firmen in Österreich, die so etwas produzieren? Wie viele sind das eigentlich, wie lassen die produzieren? So klein das Bewusstsein ist, so groß ist der Einfluss, den gerade öffentliche EinkäuferInnen hätten, wenn sie auch für diese Produktion faire Arbeitsbedingungen verlangen würden.

dieStandard.at: Hätte das einen spürbaren Effekt?

Schinzel: Warum etwa bekommen wir in Wien Bio-Brot an jeder Ecke? Einfach, weil die zwei größten Ketten sich auch immer um Ausschreibungen bei der Stadt Wien bewerben, die vor Jahren schon den Anteil an Bioprodukten in ihrer Beschaffung erhöhen wollte. Die Unternehmen haben sich darauf eingestellt, und nun ist es auch für EinzelkonsumentInnen möglich, Bio-Brot an jeder Ecke zu kaufen.

dieStandard.at: Die staatlichen Stellen sollten also mit gutem Beispiel voran gehen?

Schinzel: Einerseits. Öffentliche Beschaffer haben zudem viel mehr Einfluss durch ihre große Kaufkraft. Laut einer unserer Studien zu Arbeitskleidung in Mazedonien trägt schätzungsweise die Hälfte der Bevölkerung Arbeitsbekleidung. Gerade in Österreich ist es so, dass viele Infrastrukturaufgaben in der Zuständigkeit von Stadt oder Lang liegen, etwa die Müllentsorgung. Sehr viele Menschen sind verbunden mit den Betrieben des Bundes, man denke an Bundesheer oder Polizei. Es ist erstaunlich, wie viele Textilprodukte da anfallen, von der High-Tech-Ausstattung der Feuerwehr bis zu diesen Baumwolltaschen, die für Werbung verwendet werden. Da wäre ein unglaubliches Potential.

dieStandard.at: Wie ist der momentane Stand, wo und wie wird produziert?

Schinzel: Die prinzipielle Einschätzung, die uns auch Studien bestätigen, wäre: Gerade für die technisch aufwendige Arbeitsbekleidung wird gern auf das benachbarte Süd- und Osteuropa zurückgegriffen. Einfachere Produkte werden, genauso wie die Alltagskleidung, in Indien, Bangladesh oder China produziert.

dieStandard.at: Die Aufträge erhalten also gar keine heimischen Unternehmen?

Schinzel: Die Firmen haben erstaunlich oft ihren Sitz hier, lassen aber in 99 Prozent der Fälle - wie jede andere Marke auch - in nennen wir es einmal Billiglohnländern produzieren. Denn das ist ganz klar: Mazedonien ist eigentlich nicht besser als Bangladesh. Die Näherin bekommen dort genauso wenig, im Vergleich zu dem, was sie zu einem menschenwürdigen Leben bräuchten.

dieStandard.at: Wie kommt es überhaupt zur Entscheidung für eine Firma?

Schinzel: Ab einem bestimmten Schwellenwert können sich staatliche Einrichtungen nicht aussuchen, bei wem sie produzieren lassen. Da gibt es Ausschreibungsverfahren, die dann online gestellt werden und jeder in Europa kann sich darum bewerben. De Facto ist es natürlich oft so, dass zumindest Menschen aus der Region sich bewerben. Wobei in den EU-25 nicht mehr so viel Bekleidungsproduktion vorhanden ist. Wir fordern, dass soziale Kriterien in die Ausschreibungen aufgenommen werden. Dass unsere Steuergelder nicht ausgegeben werden für ausbeuterische Arbeitsbedingungen, die wir als BügerInnen nicht unterstützen wollen.

dieStandard.at: Gibt es ausreichend Unternehmen, die überhaupt die sozialen Kriterien erfüllen?

Schinzel: Es gibt hierzulande eine größere Nachfrage, als es ein Angebot gibt. Das Gegenteil sieht man etwa in Ländern wie den Niederlanden, die bis 2015 100 Prozent nachhaltig beschaffen wollen - und plötzlich sind rund 80 Prozent der Arbeitsbekleidungsproduzenten der Fair Wear Foundation beigetreten. Die Unternehmen haben das gehört, reagiert und setzen es natürlich auch zu ihrem wirtschaftlichen Vorteil ein. Österreich hinkt da noch etwas hinterher.

dieStandard.at: Würde der Staat mehr tun, würde das denn allgemein den Standard heben?

Schinzel: Es ist ein gegenseitiges Hochlizenzieren der Standards. Und die KonsumentInnen fragen das immer stärker nach.

dieStandard.at: Saskia Krämer, sie vertreten die Fair Wear Foundation (FWF). Was genau bedeutet eine Mitgliedschaft bei der Fair Wear Foundation?

Krämer: Wir bieten eine Hilfestellung: Wenn man weiß, das Unternehmen, das sich auf eine Ausschreibung beworben hat, ist Mitglied in der FWF, dann muss man als BeschafferIn gar nicht mehr groß recherchieren. Die ganzen Informationen zu beschaffen, Einblick in die Lieferketten zu nehmen, das kann man eigentlich von den BeschafferInnen auch gar nicht verlangen. Jedoch kann es tatsächlich sein, dass sich auf eine Ausschreibungen keiner bewirbt, weil die Kriterien niemand einhalten oder zumindest nicht nachweisen kann.

Schinzel: Oft kommen auch zu wenige Angebote, weil der Händler oder die Händlerin gar nicht weiß, dass er das im Angebot hätte. Das muss noch in die Köpfe reingehen, dass das auch ein Marktvorteil ist.

dieStandard.at: Was passiert, wenn ein Unternehmen Mitglied bei der FWF ist?

Krämer: Es unterschreibt unsere acht Arbeitsrichtlinien, etwa das Recht auf Vereinigung und Kollektivverhandlungen. Natürlich ist kein Unternehmen bei seinem Eintritt perfekt – wir erwarten aber Fortschritte, die wir auch jährlich überprüfen. Wir führen Fabrikkontrollen durch, wir schulen die ArbeiterInnen, klären sie über ihre Rechte auf und richten in jeder Fabrik Beschwerdehotlines ein. Das ist ein zusätzliches Sicherheitsnetz, wenn wir selbst nicht vor Ort sein können. Das alles ist auch auf unserer Homepage transparent gemacht, BeschafferInnen können sich dort informieren und man kann sehen, wie das Unternehmen im letzten Jahr abgeschnitten hat.

dieStandard.at: Oft hört man, auch eine spürbare Lohnerhöhung für die NäherInnen würde sich im Endpreis kaum bemerkbar machen.

Schinzel: Tatsächlich macht der Lohn der NäherInnen bei einem Produkt nur ungefähr 0,24 Prozent aus. Kein Aufpreis für die KonsumentInnen - das geht sich aus. Die Mitglieder der FWF schaffen das ja auch: Produkte zu absolut wettbewerbsfähigem Preis.

Krämer: Wir hatten ein Pilotprojekt mit verschiedenen Outdoorunternehmen, die hatten ganz konkret an Rucksäcken und Jacken durchgerechnet, was es bedeuten würde, wenn sie existenzsichernde Löhne zahlen würden. Am Ende kam raus: Das würde sich im Cent-Bereich bewegen - würde man es denn auf den Endverbraucher-Preis umlegen.

dieStandard.at: Wo liegt dann eigentlich das Problem?

Schinzel: Es wird oft mit Wettbewerb argumentiert, aber ich frage mich: Welcher Wettbewerb? Wenn Takko es schafft, bei der FWF zu sein - aber Gucci nicht. Ich bemerke sehr viel Zurückhaltung, auch Angst, sich damit zu beschäftigen - und eine Fülle von Ausreden. Ich glaube, man will es auch nicht sehen. Man will nicht sehen, dass man letzten Endes nichts ist ohne diese Menschen in Mazedonien oder anderswo, die diese Produkte herstellen. (Andrea Heinz, dieStandard.at, 13.5.2014)