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Das Bild des Bauern aus dem frühen 20. Jahrhundert war für Philosophen und Ökonomen schon damals das Relikt einer alten Gesellschaft.

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Andrea Komlosy ist Professorin für Wirtschafts- und Sozialgeschichte an der Universität Wien. Ihr Forschungsbereich ist unter anderem Globalgeschichte und deren Verknüpfung mit regionalen Verhältnissen.

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STANDARD: Was gilt heute als Arbeit?

Komlosy: Unser Arbeitsbegriff ist stark von der Erwerbsarbeit geprägt, sie wird gemeinhin als Arbeit verstanden. Die klassische Lohnarbeit ist ein Produkt der industriellen Revolution und des Fabrikwesens. Um 1900 hat man geglaubt, dass sich diese geregelte Erwerbsarbeit auf alle Menschen ausbreiten wird. Obwohl das nicht der Fall war, wird heute noch immer mit den Begriffen, die Ende des 19. Jahrhunderts aufgekommen sind, operiert. Damals wurde gesetzlich festgeschrieben, was Arbeit ist, und die Arbeiterbewegung hat ihre Forderungen darauf bezogen.

Seither hat sich ein Arbeitsbegriff durchgesetzt, der zwar vieles umfasst, der aber alles Unbezahlte ausschließt. Wir müssen jedoch, wenn wir über Arbeit sprechen, auch die Arbeit außerhalb dieser geregelten Arbeitsverhältnisse einbeziehen. Denn die wird sich nie erübrigen, sie findet stets gleichzeitig und in Verbindung mit der Erwerbsarbeit statt.

STANDARD: Und vor der industriellen Revolution war der Arbeitsbegriff umfangreicher?

Komlosy: Im Mittelalter gab es etwa ein viel breiteres Spektrum von Begriffen, um Tätigkeiten zu bezeichnen, als heute. Wenn man in alte Wörterbücher schaut, findet man nicht nur "arbeiten", sondern auch "werken", "schaffen" oder "schöpfen".

Der Begriff Arbeit geht auf das lateinische „labor“ zurück. Das war die Bezeichnung für die mühevolle Arbeit, die Menschen verrichten müssen, weil sie aus dem Paradies vertrieben wurden und nun der Fluch der Arbeit auf ihnen lastet. Diesem Arbeitsbegriff wurde „opus“ gegenübergestellt, ein Begriff, den wir auch noch immer verwenden. Opus magnum – die kreative Arbeit, bei der etwas herauskommt, mit dem man sich identifizieren kann. Diese Begriffe sind seit der Antike in Verwendung.

STANDARD: Also wurde schon immer zwischen notwendiger und sinnstiftender Arbeit unterschieden?

Komlosy: Erst gab es dieses Spannungsverhältnis zwischen mühevoller Arbeit, die man verachtete, die aber im christlichen Glauben auch überhöht wurde – denken Sie an "ora et labora". Aber dennoch bleibt sie das, was man eigentlich nicht gern macht. Und auf der anderen Seite hat man die Arbeit als Prozess der Selbstverwirklichung oder der Identifikation mit dem Produkt.

Dieses Spannungsverhältnis ist mit dem aufkommenden Kapitalismus und der Nationalökonomie eingeebnet worden: Arbeit wurde zur Quelle allen Werts, allen Wachstums. In der nationalökonomischen Sprache, die sich auch mit der Aufklärung und dem Merkantilismus ausgebreitet hat, gab es keine Möglichkeit der Kritik an den Arbeitsverhältnissen.

STANDARD: Wann wurde diese Kritik wieder möglich?

Komlosy: Hegel und Marx haben diese Eindimensionalität wieder aufgebrochen, indem sie aufzeigten, dass Arbeit auch Verwirklichungsmöglichkeit ist, die aber unter kapitalistischen Verhältnissen so nicht gegeben ist. Aber in dem Moment, wo man diese Verhältnisse verändert, könne man sehr wohl zu einem positiven Arbeitsbegriff kommen.

STANDARD: Aber Marx und Hegel fassten den Begriff Arbeit sehr eng.

Komlosy: Ja, die beiden hatten überhaupt nicht im Auge, was in vorindustriellen Verhältnissen selbstverständlich war, nämlich dass auch unbezahlte Arbeit als Arbeit angesehen war – leidvoll oder kreativ, aber jedenfalls Arbeit.

Im 19. Jahrhundert waren die Philosophen und auch die Ökonomen stark auf die Erwerbsarbeit fixiert und haben die anderen Arbeitsverhältnisse als Relikte einer alten Gesellschaft angesehen, die sich durch die Modernisierung erledigen würden.

STANDARD: Heute verrichten noch immer vorwiegend Frauen die unbezahlten Tätigkeiten. Es gibt die These, dass die Benachteiligung von Frauen vor allem mit der Arbeitsteilung zwischen den Geschlechtern zusammenhängt. Was sehen Sie das?

Komlosy: Ich erkläre das anders: Eine geschlechtsspezifische Arbeitsteilung hat es immer gegeben. Aber die unterschiedliche Bewertung hat vor allem dann begonnen, als die Erwerbsarbeit zum Synonym für Arbeit geworden ist und alles, was im Haus passiert ist, nicht mehr als Arbeit galt, sondern den Frauen auf den Leib geschrieben wurde. Ab da wurden die Arbeiten der Frauen abgewertet.

Und obwohl die meisten Frauen natürlich auch Lohnarbeit verrichten mussten, wurde diese Lohnarbeit als "Dazuverdienen" angesehen. Somit wurde auch die Lohnarbeit der Frauen abgewertet, weil das nur eine vorübergehende Arbeit war, die eigentliche Bestimmung jedoch die der Hausfrau und Mutter.

Mit der Abspaltung dieser unbezahlten häuslichen Tätigkeiten von dem, was allgemein gesellschaftlich als Arbeit und als Wert gilt, ist eine Entwertung verbunden, die auch die Erwerbstätigkeit von Frauen betrifft. Das ist bis heute mit dafür ausschlaggebend, dass Frauenberufe in der Hierarchie immer noch unter den Männerberufen stehen.

STANDARD: Wann gab es die letzte große Wandlung unserer Arbeitsverhältnisse?

Komlosy: Die klassische, gesicherte und lebenslange Arbeit, die sowieso immer nur für einen bestimmten Teil der Menschen Gültigkeit gehabt hat, ist aktuell im Schwinden begriffen. "Arbeit" zeichnet sich heute dadurch aus, dass sie sich aus Unterschiedlichem zusammensetzt – sowohl im Lebenszyklus als auch, dass eine Person womöglich mehrere bezahlte Arbeitsverhältnisse braucht, um leben zu können. Der Mainstream fasst Arbeit aber noch als etwas, was längst überholt ist.

STANDARD: Werden die Arbeitsverhältnisse aus historischer Perspektive tatsächlich immer unsicherer?

Komlosy: Dazu ist es wichtig, den Standort zu bestimmen. Wenn ich von Prekarisierung und Flexibilisierung spreche, dann ist klar, dass Österreich und Deutschland nicht die Hauptorte dieser Veränderungen sind, obwohl sie auch davon erfasst werden – und das macht uns Angst. Aber wir haben noch ein relativ breites Spektrum an Beschäftigungsmöglichkeiten, und es greifen auch noch viele Elemente des Wohlfahrtsstaates. Aber derzeit sehen wir in süd- oder auch osteuropäischen Ländern, dass das Zurückfahren des Wohlfahrtsstaates ein Fass ohne Boden werden kann.

STANDARD: Ihre Betrachtung geht bis ins 21. Jahrhundert hinein, in dem "Arbeit" auch in sehr privaten Kontexten auftaucht, etwa als "emotionale Arbeit", "Beziehungsarbeit" oder die "Arbeit an sich selbst". Heißt das, wir sind wieder auf dem Weg zu einem umfassenderen Arbeitsbegriff?

Komlosy: Es ist zu beobachten, dass sich in Industriegesellschaften unbezahlte Arbeit vom materiellen in den immateriellen Bereich verlagert. Die Sorge um die Ausbildung der Kinder, Beziehungsarbeit – diese Tätigkeiten fallen für mich unter Arbeit. Aber ich würde dennoch vorsichtig sein, den Arbeitsbegriff völlig zu überdehnen.

Selbstinszenierung kann man natürlich als eine notwendige Tätigkeit ansehen. Wichtiger erscheint mir in Zeiten, in denen immer mehr Leute keinen Zugang zu regelmäßigen Einkommen haben, die aber trotzdem von früh bis spät arbeiten – ob häuslich, familiär, ehrenamtlich oder politisch –, wie deren Tätigkeit als Arbeit anerkannt werden kann. (Beate Hausbichler, DER STANDARD, 28.5.2014)