In Katherine Dunns Roman "Binewskis. Verfall einer radioaktiven Familie" spiegelt die Sprache die Kälte der berechnenden Vernunft, wie sie im Umgang der handelnden Personen spürbar wird.

Foto: Alberto Cristofari

Ich mach mir die Welt, wie sie mir gefällt: Pippi Langstrumpfs Wahlspruch steht eigentlich für fröhliche Hippie-Anarchie. Wie schnell daraus das Motto eines garstigen Neoliberalismus werden kann, zeigt die US-amerikanische Autorin Katherine Dunn in Binewskis. Verfall einer radioaktiven Familie.

Dass der 1989 erschienene Roman lange als unübersetzbar galt, mag zum einen am himmelschreiend unwahrscheinlichen Plot liegen: Zirkusdirektor Aloysius Binewski und Ehefrau Lillian wollen ihren Zirkus vor dem Untergang retten. Sie starten eine Familienplanung, die sich an Lillians Vorstellung von Sicherheit orientiert: "Was könnte man seinen Kindern für ein schöneres Geschenk machen als die ureigene Fähigkeit, ihren Lebensunterhalt dadurch zu verdienen, dass sie einfach nur sie selbst sind?"

Was so zartrosa klingt, meint haarsträubende Experimente, dank derer die vier Kinder als gebrauchsfertige Freakshow zur Welt kommen. Das heißt, wenn man nicht in Ärschen, sondern in Köpfen zählt, wie es im Text einmal heißt, dann sind es sogar fünf Kinder - Iphigenia und Electra sind siamesische Zwillinge. Erzählt wird die Geschichte in Rückblenden von Olympia Binewski, der buckeligen Albino-Zwergin. Sie berichtet über die hochdramatische Familienchronik und vor allem ihren gottgleich verehrten, hochmütigen Bruder Arturo, dessen Hände und Füße, Schwimmflossen gleich, direkt aus seinem Oberkörper wachsen.

Der abnorme Körper erhöht den Marktwert

Rund um diesen Arturo entstand der Kult des Arturismus: Eine Sekte, die im Prinzip darauf basiert, sich mittels Amputationen bereits zu Lebzeiten so weit als möglich selbst zu entleiben. Der abnorme Körper erhöht nicht nur den Marktwert, er dient auch zur Sinnstiftung. Hier schließen nun die "Jetztzeitnotizen" von Olympia an, in der sie von einer gewissen Miss Lick berichtet.

Die hat es sich zur Aufgabe gemacht, junge Mädchen mit den Segnungen der modernen Chirurgie zu „befreien“ und so zwar missgebildete, aber erfolgreiche Frauen zu schaffen. "Wenn all diese hübschen Frauen jene Merkmale ablegten, derentwegen Männer sie begehrten (ihr hübsches Äußeres), würden sie nicht länger von ihrer eigenen Ausbeutbarkeit abhängig sein, sondern ihre Begabung und Intelligenz einsetzen, um an die Macht zu gelangen."

Schönheitsideale und ihre Dialektik

Was Dunn hier durchexerziert, ist ein reizvolles Gedankenexperiment: Schönheitsideale und die Dialektik, die sie in einer marktwirtschaftlich denkenden Welt entwickeln. Die Kälte der berechnenden Vernunft, wie sie im Umgang der handelnden Personen spürbar wird, spiegelt sich auch in der Sprache wider. Zum einen gibt es einen Überschuss an Zuschreibungen, dass es bisweilen zum Davonlaufen ist (innerhalb von drei Sätzen: "der froschgesichtige Albino", "der Buckligen mit den Hängetitten", "die kahlköpfige Debilenmutter").

Darüber hinaus ist die Sprache streckenweise von einer Härte, als würde die Erzählerin dem Leben ihre Verachtung ins Gesicht kotzen wollen. Aber wahrscheinlich fühlt man sich genau so, wenn man gezeugt wurde, um Umsatz zu machen. Zweifellos ein Roman, der zu denken gibt. (Andrea Heinz, DER STANDARD/Album, 28./29.06.2014)