Politik trifft Kunst: Reinhold Mitterlehner, Minister für Wissenschaft und Wirtschaft, im Atelier des Künstlers und Akademie- Professors Gunter Damisch.

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"Wir haben vielleicht auch dann, wenn wir Geld gehabt haben, der Wissenschaft zu wenig Geld gewidmet", räumt Wissenschaftsminister Reinhold Mitterlehner (ÖVP) ein.

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"Um international mitzukommen, fehlt einiges. Da sind wir in Österreich sehr verschlafen", kritisiert Künstler Gunter Damisch, der an der Akademie der bildenden Künste Wien lehrt.

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STANDARD: Herr Professor, Sie zählten Anfang der 1980er zu den "Neue Wilden" in der Kunst. Wie wild sind Sie noch? Oder ab wann hat Sie diese Bezeichnung genervt?

Damisch: Offensichtlich muss man dankbar sein, wenn man Aufmerksamkeit kriegt, dazu gehört auch, dass man Etiketten verpasst bekommt. Mich hat das in dem Sinn nicht genervt. Es gibt immer wieder Wellen der Wilden, der Jungen, die etwas verändern wollen, ungeduldig sind, die sich auch schon in jungen Jahren ermächtigen, mitzuspielen und die Chancen nützen, die sie haben. Natürlich bin ich älter geworden, mit 34 Professor, und mir war bewusst, dass da sich besonders wild zu gebärden nicht meine Hauptaufgabe sein wird, sondern ich versuchen muss, Inhalte zu vermitteln und Verantwortung für Menschen zu übernehmen.

STANDARD: Herr Minister, auch Sie galten in der ÖVP als "Wilder", der sich von der Parteilinie abweichende liberalere Meinungen geleistet hat, etwa in der Ausländer- oder Schulpolitik. Das ist aber eine Weile her. Warum Schluss mit wild?

Mitterlehner: Meine Meinung hat sich da nicht unbedingt geändert, nur die Rolle ist eine andere, und es macht in einer Regierung nicht unbedingt ein gutes Bild, wenn dann ständig einer ausschert und nach außen hin eine andere Linie darstellt. Aber im Prinzip ist die Überzeugungsarbeit, dass wir da und dort ein paar liberalere Positionen haben sollten, nicht zu Ende. Sie erfolgt halt jetzt eher intern und weniger nach außen.

STANDARD: Ihre Studentenzeit war recht wild. Sie spielten in der legendären Art-Punk-Band Molto brutto. Sehen Sie so etwas bei Ihren Studierenden auch oder haben die keine Zeit mehr für Extras neben dem Bologna-gestreamten Schnellstudium?

Damisch: In der Studienrichtung, in der ich unterrichte, der bildenden Kunst, haben wir das Glück, noch nicht Bologna-gestreamt zu sein. Tatsächlich gibt es gerade an Kunst-Unis Menschen, die nicht nur ein Studienprogramm absolvieren wollen, sondern sich selber Felder suchen und verschiedene Ebenen verbinden, so wie wir das als junge Menschen versucht haben. Ich sehe, wie sie versuchen, sich wirklich zu ermächtigen, zu lernen und aktiv zu sein. Ich sehe aber auch, wie sie kämpfen um ihr tägliches Auskommen als Studierende, als junge Künstlerinnen, unter anderem, indem viele arbeiten müssen, was das Studium nicht leichter macht.

STANDARD: Herr Minister, wogegen haben Sie denn rebelliert?

Mitterlehner: Damals waren die Hierarchieebenen doch noch stärker ausgeprägt, und wogegen wir "gekämpft" haben, war das Establishment, was wir auch zum Ausdruck gebracht haben. Ich hatte lange Haare, war auch in der Kleidung nicht unbedingt den damaligen Entscheidungsträgern angepasst. Ich war Studentenvertreter, als das neue UOG, das Universitätsorganisationsgesetz, mit der Drittelparität kam. Auf einmal war der Professor nicht mehr der große übergeordnete Professor, Mittelbau und Studenten waren mit je einem Drittel der Stimmen gleichberechtigt. Das war eine immense, auch ideologische Diskussion. Heute sind die Akzente vielleicht andere. Mir ist aufgefallen im Umgang mit meinen eigenen Kindern - eine Tochter studiert -, dass man mehr soziale Verantwortung trägt und in Richtung Nachhaltigkeit lebt.

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Damisch: Das schöne Beispiel, wofür der Herr Minister gekämpft hat, hat die damalige Regierung 2002 wieder zurückreformiert. Es gibt keine Drittelparität mehr. Ich war Student in der Zeit der Drittelparität, und die Professoren haben gesagt, die Welt geht unter. Ich war Professor in der Zeit der Drittelparität und habe gelernt, dass vor allem Überzeugungsarbeit notwendig war. Wir konnten nicht drüberfahren, und ich frage mich, warum das Abgehen davon ein Fortschritt sein sollte, denn heute haben wir Professoren zwar die Mehrheit bei diesen Entscheidungen, aber es ist nicht leichter geworden.

Mitterlehner: Ich habe den Eindruck, dass es zu meiner Studienzeit eine größere Diskussionsbereitschaft der Eliten gab. Ich war als Student immer in Alpbach, und da waren Leute wie Hannes Androsch, der stand am Abend in der Lederhose auf der Straße und hat mit Studenten diskutiert. Oder Sir Karl Popper. Da war mehr Intensität in der Meinungsauseinandersetzung, nicht so wie heute: "Wie schon mein Vorredner richtig gesagt hat ..." Sondern: "Ich bin komplett anderer Meinung ..." (lacht)

STANDARD: Sie sind seit 22 Jahren Professor. Wie haben Sie die prekäre Situation der Unis erlebt?

Damisch: Das Ganze läuft ja in Stufen ab. Das eine ist die Regierung und die Mittel, die der Finanzminister zur Verfügung stellt. Das ist ganz zentral ein Signal dafür, ob es zumindest die Bewahrung des Bestehenden gibt, eine Wachstumsphase oder den Nachvollzug der größeren Komplexität. Wir haben heute ein viel größeres Angebot, mehr Studierende und Internationalisierung, die eingesetzten Technologien sind komplexer geworden. Wir sollen dem aber mit den Mitteln einer Vorstufe gerecht werden. Ich konkret leide unter Raumnot. Was ich mir so wahnsinnig wünsche, ist, dass man rauskommt aus diesem Löcherstopfen, hin zum Gestalten, dass man Zukunftsperspektiven hat. Wir brauchen eine neue Bildungsarchitektur. Unsere ist zum Teil noch aus der Monarchie. Um international mitzukommen, fehlt einiges. Da sind wir in Österreich sehr verschlafen.

Mitterlehner: Da kann ich mich nur anschließen. Wir brauchen Exzellenz auf allen Ebenen. Die Deutschen haben uns das vorgezeigt. Die haben in den letzten Jahren die Wissenschaft forciert. Wir sind da gerade in einer Diskussion, und ich hoffe, dass wir das auch für uns entscheiden. Wir müssen schauen, dass wir nicht an Tempo verlieren. Die Misere, die manchmal dargestellt wird, sehe ich eher als konstruiert an. Wenn ich mir die Bauentwicklung ansehe, hat der Staat relativ viel Geld in die Hand genommen, auch die Drittmittel sind gestiegen. Das alles ist natürlich schwierig genug in Zeiten restriktiver Budgets. Aber wir haben auch dann, wenn wir Geld gehabt haben, dem Bereich vielleicht zu wenig Geld gewidmet.

STANDARD: Sie hatten an der Akademie gerade Auswahlverfahren. Der Minister möchte auch für Jus und Sprachen Zugangsregeln. Was bedeutet das "Privileg", Studierende aussuchen zu können?

Damisch: Es ist an Kunstuniversitäten alte Tradition, bei uns soll doch eine wirkliche Nähe und intensive Auseinandersetzung mit den Persönlichkeiten im Vordergrund stehen. Aber eigentlich ist die Situation menschlich extrem schwierig, ich fühle mich manchmal überfordert, habe nachher immer einen unglaublichen Hangover, weil ich an Menschen denke, die enttäuscht sind, die abgelehnt wurden, und ich sehe meine Aufgabe nicht darin, abzulehnen, sondern zu unterstützen. Es ist eine schwierige Situation, und man soll das dreimal überlegen, bevor man meint, dass das - welche Prüfungsmechanismen auch immer man anwendet - eine so wünschenswerte Situation ist. Auch wenn ich weiß, dass es in manchen Bereichen nötig ist.

Mitterlehner: Hätte Österreich unbeschränkte Ressourcen, wäre ich auch dafür, dass man jedem die gleiche Chance des Beginnens geben sollte, wo immer er möchte, weil jeder Entwicklungschancen hat, die man am Anfang gar nicht so einschätzen kann. Nachdem wir diese Ressourcen aber nicht haben, müssen wir, um Qualität zu garantieren, einen Modus finden, so wie jetzt mit Zugangsregeln und Eingangsphasen. Ist nicht der Idealzustand, momentan gibt es keine bessere Möglichkeit.

STANDARD: Sie beide sind Kinder der Aufschwungzeit nach 1955. Inwiefern haben Sie die Erfahrungen Ihrer Elterngeneration im Faschismus aufarbeiten müssen?

Mitterlehner: Was ich mir im Endeffekt mitgenommen habe, ist die Freiheit der Meinungsbildung, weil ich von meinen Eltern und Großeltern gehört habe, was man alles nicht sagen durfte und wie groß der Druck war. Auch die Freiheit der Entscheidungsfindung, dass man tun kann, was man will, wenn man es einigermaßen begründet. Ich bin relativ emotional, wenn ich Druck von oben ohne Begründung spüre. Ich lasse mir nicht gern von irgendwem die Meinung oktroyieren, sondern möchte da frei sein.

Damisch: Selbstständiges Denken wieder zu entwickeln war sicher eines der Hauptthemen, dieser Schritt von einer faschistischen Diktatur, einer mörderischen, einengenden Situation hin zu einer auf die Verantwortung der Menschen zählenden Staatsform. Das Ganze war aber auch ein gewisses Geschenk, denn diese Übergangszeit hat in Österreich doch sehr viel Öffnung und Weiterentwicklung und wirtschaftlich prosperierende Zeiten gebracht.

STANDARD: In Ihrer Biografie gibt es eine schöne Episode, in der Bundespräsident Heinz Fischer in seiner damaligen Funktion als Wissenschaftsminister vorkommt ...

Damisch: Ja. Unsere Band hat Proberäume in einem besetzten Haus genutzt, das eines Tages von der Staatspolizei geräumt und bewacht wurde. Wir haben aber ein Konzert zu spielen gehabt. Ich habe gerade das Studium mit Auszeichnung abgeschlossen, und die hat damals noch der Minister verliehen. Wir waren im Ministerium, und Minister Fischer hat sehr freundlich gesagt, er gratuliert, und wenn wir Probleme haben, sollen wir uns vertrauensvoll an ihn wenden. Darauf ich: Ich hab ein Problem, wir kommen nicht an unsere Instrumente heran. Und er hat vor mir den Charly Blecha angerufen und gesagt: Du, die Buam brauchen ihre Instrumente. War nett, wie wir den Staatspolizisten gesagt haben: Wahrscheinlich hat Ihnen der Minister eh schon gesagt, dass Sie uns das geben sollen. Das ist auch eine Qualität in diesem Land. Man kann bei uns noch Politiker auf der Straße sehen und jenseits der ganzen Security-Maßnahmen und paranoiden Weltwahrnehmungen hoffen, dass zwischen Politik und Bürgern Kanäle offen sind, um sich auszutauschen.

STANDARD: Sieht das der Politiker auch so oder nervt das auch mal?

Mitterlehner: Durchaus. Wenn ich privat in meinem Heimatort beim Maibaumaufstellen steh und dann pflanzt sich vor mir einer auf und will Rechtfertigungen für irgendetwas, ist man manchmal an der Grenze. Aber der Bürger erwartet Antworten, auch wenn er einen nicht gewählt hat. Das ist der Anspruch an den Politiker: für ihn tätig zu sein. Und wenn heute ein Wissenschaftsminister wegen ähnlicher Anliegen die Innenministerin anruft, würde er wahrscheinlich drei parlamentarische Anfragen bekommen. (lacht) (Lisa Nimmervoll, DER STANDARD, 12.7.2014)