Christine Casapicola, "Nächstes Jahr im Küstenland".  Mit einem Vorwort von Hans Kitzmüller. € 22,- / 285 S. Braitan-Verlag, Cormons 2014

Cover: Braitan-Verlag

Der friulanische Germanist und Weinbauer Hans Kitzmüller führt in Brazzano bei Cormons einen kleinen, exquisiten Verlag, die Edizioni Braitan, in dem er mit Vorliebe Österreicher verbreitet, Peter Handke, Gustav Janus, Christine Lavant und manch anderen. Auch die Wiener Steuerberaterin Christine Casapicola findet sich jetzt unter den Autorinnen, weil sie eine ausgewiesene Kennerin der Gegend ist, für die sie sich so begeistert hat, dass sie sich in Cormons zumindest für ihre arbeitsfreien Wochenenden angesiedelt hat. Mit dem österreichischen Verein Società Cormonese Austria begleitet sie zahlreiche Projekte, die den Kulturaustausch in der Alpen-Adria-Region fördern.

Bei ihren Aufenthalten hat sie sich auf eine friulanisch-österreichisch-slowenische Spurensuche begeben und legt nun den reich illustrierten Band Nächstes Jahr im Küstenland vor. Es ist ein Buch, das Fragen stellt, jene etwa, weshalb halb Wien so gern in Grado urlaubte. Warum die Görzerin Nora Gregor vor dem Zweiten Weltkrieg am Wiener Burgtheater reüssieren konnte oder was die Wiener Urania mit der Wasserversorgung eines slowenischen Karstdorfs zu tun hat. Wo lag, wird schließlich erörtert, das "Nizza Österreichs"? Christine Casapicola lässt keine Frage offen, wenn sie das und vieles mehr über Menschen und Landstriche des altösterreichischen Küstenlands in fünfzehn Lebensbildern greifbar nachzeichnet.

Österreich(-Ungarn) lag einst am Meer ... Viele Jahrhunderte gehörte das Gebiet zwischen dem nördlichen Isonzotal und Triest zum Habsburgerreich. Die Gegend ist immer ein gemeinsames und gewachsenes Ganzes geblieben, auch wenn es durch die Wirren des "Großen Kriegs" auf Italien und Slowenien ver- und zerteilt wurde. Erst im jetzigen Jahrhundert hat die EU zusammengefügt, was Gavrilo Princip mit zwei Schüssen und kriegslüsterne Militärs mit Kanonen und vielen Menschenopfern auseinanderdividiert haben.

Casapicola unternimmt eine Entdeckungsreise auf der Suche nach einem fast vergessenen Herzstück Altösterreichs. In ihren Familiengeschichten lebt der Alltag von gestern weiter, und Erinnerungen an herausragende Persönlichkeiten, die es "seinerzeit" in Wien "weit gebracht" haben, werden freigelegt. Geografisch lotst die Autorin den Leser von Görz die Küste entlang nach Triest sowie Grado, im Landesinneren hält sie in Cormons, Brazzano, im Collio-Gebiet und Isonzotal, das im Ersten Weltkrieg hart umkämpft war, inne, nicht ohne Assling oder die Höhlen von Skocjan in den Blick zu nehmen. Von Fischen, Kirschen, "Kaiserschmarrn und Cuguluf" sowie Oliven und Rebula ist natürlich auch die Rede. Denn dem Genuss war man hier nie abgeneigt.

Kein Kronland, kein Landstrich, keine Provinz der Monarchie war derart einmalig und unverwechselbar wie die alte gefürstete Grafschaft von Görz und Gradisca. Nirgends hatten deutsch-, italienisch- und slowenischsprachige Menschen jahrhundertelang meist in Eintracht und Frieden zusammengelebt. Es war eine glückliche Fügung der Geschichte (oder des Schicksals), dass diese Völker über Jahrhunderte nicht getrennt wurden.

Christine Casapicola beschreibt in ihrem Küstenland-Buch, welche Menschen beziehungsweise welcher Typus in dieser "Welt von gestern" zwischen den Alpen und der Adria lebte. Es waren Individuen, die das Verbindende weit über das Trennende stellten - und dies als das Selbstverständlichste ihrer bunten Welt empfunden haben. Die Autorin verbindet ihre aufmerksame Nostalgie mit der Hoffnung, die Neugierde der Leserinnen und Leser für einen alten Teil ihrer Heimat zu wecken.

Sympathisch ist, dass Casapicola im Ortsnamensverzeichnis am Ende des Bands die Orte dreisprachig anführt: von Aidussina - Ajdovscina - Haidenschaft bis Vipacco - Vipava - Wippach, womit auch darauf hingewiesen sei, dass die Menschen in diesen Gebieten - anders als in Kärnten - mit zwei- oder dreisprachigen Ortstafeln nie Probleme hatten. Ein ansprechendes und aufschlussreiches Buch über eine einnehmende Region. (Janko Ferk, Album, DER STANDARD, 12./13.7.2014)