Trojanows Operama

Unser gegenwärtiges Opernleben ist reichhaltig, aber ist es auch relevant? Auf subjektiv eigenwillige Weise, in einem literarischen Ton, wird Ilija Trojanow die Bedeutung des Musiktheaters heute anhand von aktuellen Aufführungen in Wien und anderswo unter die Lupe nehmen. Und sich immer wieder die Frage stellen, ob und wie sich unsere Zeit in den Inszenierungen widerspiegelt. Hintergrundberichte, Porträts und Interviews runden das Operama ab.

Charlotte Salomon – Marc-André Dalbavie
Salzburger Festspiele. Felsenreitschule. 28. Juli 2014


Bild: Oliver Schopf

Als Idee muss es sich gut angehört haben: eine junge sensible Berliner Künstlerin hat in den dreißiger Jahren des letzten Jahrhunderts eine Mappe mit ausdrucksstarken Bildern gemalt, in Begleitung ihres Lebens, auf der Suche nach der eigenen Identität. Als Jüdin muss sie fliehen, verbringt einige Jahre in Südfrankreich, bevor sie nach Ausschwitz deportiert und ermordet wird. Die Bilder sind anrührend, der Mensch, der dahinter sichtbar wird, ein hochsensibles, verletzliches, um die Risse im Alltag wissendes Wesen. Zu dieser Mappe eine großangelegte Oper zu schreiben, muss reizvoll geklungen haben. Wenn sie aber nun dem Publikum aufgeblättert wird, erweist sie sich als voller Missverständnisse.

Bild nicht mehr verfügbar.

FOTO: APA/NEUMAYR/PROBST

Irgendwie geht es um synästhetische Annäherungen, um Leben und Tod, um das Verhältnis zwischen Fragilität und Stabilität, um Zivilisation und Barbarei. Es geht auch viel um Gespaltenheit (die Hauptfigur besteht aus einem Zweigespann: die Erzählerin Johanna Wokalek und die Sängerin Mariannne Crebassa). Das thematische Koordinatensystem ist überaus sichtbar (nicht zuletzt, weil es einem immer wieder didaktisch erklärt wird), es wird aber kaum mit Bewegung, mit Überraschung oder gar mit Erkenntnis gefüllt. Eng entlang der Biografie von Charlotte Salomon erzählt, steht im Mittelpunkt (der ganze lange zweite Akt hindurch) eine Liebesbeziehung zwischen Gesangslehrer, berühmter Sängerin und exaltierter Stieftochter, die sich zäh und uninspiriert dahinschleppt, eine menage à trois wie viele andere auch, metaphysisch aufgeladen mit einem Gedicht von Nietzsche, einem Sonett von Louise Labé, einer Sentenz von Rilke, ansonsten aber von braven Gesten reguliert. Dieser simulierte Existentialismus ist befallen von einem Schimmel der Banalität.

Die Musik kämpft dagegen an, wer die Augen schließt, wird belohnt mit Ausblicken über eine erodierte, aber verführerische Seelenlandschaft. Mit wieder offenen Augen hat man Schwierigkeiten, die emotionalen Vektoren der Musik mit dem Kreisen auf der Bühne in Einklang zu bringen. Immer wieder behauptet die Musik lautstarke Turbulenzen, die beim Einbrechen der Weltgeschichte wirkungsvoll adäquat sind, zu den überschwänglichen jugendlichen Gefühlen der C.S. hingegen überdimensioniert wirken.

Wesentlichen Anteil an der zähen Schwere hat das Libretto, das immer wieder Sätze von esoterischer Trübheit wagt, sich poetisch verhebt oder gar unfreiwillig komisch wirkt. Man wird auf einer Achterbahnfahrt durch verschiedene Sprachregister geschleudert, „fort aus dieser Gräue ins nordische Bläue“. Die Zweisprachigkeit wirkt lange Zeit beliebig und willkürlich (wieso sollte eine Berliner Familie sich auf französisch unterhalten?), erhält erst im Epilog, der in Südfrankreich spielt, eine dramaturgische Bedeutung, indem der exilierten Künstlerin die fremde Zunge näher, die eingepackte Sprache hingegen entrückt. Offensichtlich hat sich das Französische als Muttersprache des Komponisten aus pragmatischen Gründen aufgezwungen. Schade, denn Charlotte Salomons tatsächliche Sprache – so wird einem im Programmheft erklärt – hatte „einen durch und durch eigenen Ton, zwischen Berliner Schnauze, Selbstironie und beißend-sarkastischem Witz.“ Davon ist wenig übriggeblieben. In manchen ihrer Bilder hat Charlotte Salomon einzelne Sätze notiert. Wenn diese nun monumental vergrößert werden, hinausgesungen in das gewaltige Rund der Felsenreitschule, verlieren sie ihren Charme, ungeschützt durch den Kontext fallen sie in sich zusammen.

Bild nicht mehr verfügbar.

Foto: APA/NEUMAYR/PROBST

Überhaupt bilden die Maßstäbe der Produktion das nächste Missverständnis: Einem Stoff, der von einem subtilen Ausleuchten von Innenräumen gelebt hätte, wird das Breitbandpanorama der Felsenreitschule aufgezwungen. Dafür hat das Werk zu wenig dramaturgische Substanz. Und die vielen Nazis, die wie Attrappen aus einem Hollywoodfilm zweimal die Bühne stürmen, bieten mehr Ärgernis als Kulmination. Dem Regisseur Luc Bondy ist leider nicht sehr viel eingefallen. Die verstellbaren Trennwände dieses unendlich breiten Schuhkartons von aneinandergereihten Wohnräumen ermöglichen es zwar, fließende Übergänge zwischen Intimität und Öffentlichkeit zu schaffen, aber ansonsten bleibt es auf der Bühne starr und unbewegt. Die nicht bespielten Räume werden stumm belebt, ohne Zugewinn.

"Es war als ob mir eine Stimme zurief: Das Theater ist tot."

Höhepunkt

Blitz und Donner, die Liebesnacht von Gesangslehrer und Charlotte, wuchtig instrumentalisiert — da haben sich die Gefühle einen Sturm in die Partitur gewünscht.

Coda

Schade, dass eine Uraufführung, eine aktuelle Auftragsarbeit, so wenig gegenwärtige Relevanz enthält. (Ilija Trojanow, derStandard.at, 29.7.2014)