Shinji Mikami (1965) designte vor 24 Jahren sein erstes Videospiel, 1996 feierte er als Director von "Resident Evil" seinen ersten Welthit. Nach weiteren Ablegern der Serie (inklusive "Resident Evil 4") produzierte er unter anderem die Titel "Devil May Cry" und "Killer 7". 2010 gründete er das Studio Tango Gameworks, das wenig später vom US-Herausgeber Zenimax übernommen wurde.

Foto: Tango Gameworks
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"Es gefällt mir auch, Leuten zuzusehen, wie sie meine Games spielen und Angst haben." - Shinji Mikami

Screenshot: "The Evil Within"
Screenshot: "The Evil Within"

"Ich verfolge wissenschaftliche Forschungen sehr genau, aber meinem Gefühl nach erhöhen sie (Horrorspiele) die Toleranz für Angst ein wenig." - Shinji Mikami

Screenshot: "The Evil Within"
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"In gewisser Weise sind sich Horror und Erotik sehr ähnlich. Menschen haben ein inneres Bedürfnis, Dinge zu sehen, die sie nicht sehen sollten oder die nicht Teil unseres Alltags sind." - Shinji Mikami

Screenshot: "The Evil Within"
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"Ich persönlich würde Menschen gerne mit Humor unterhalten, aber leider wurde ich nicht mit einem Sinn für Humor gesegnet." - Shinji Mikami

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Shinji Mikami designt und entwickelt seit fast 20 Jahren Videospiele für Horror- und Gruselfans. Beflügelt wurde seine Karriere mit "Biohazard", das im Westen unter dem Namen "Resident Evil" Kultstatus erlangte. Mit seinem am 17. Oktober erscheinenden Werk "The Evil Within" kehrt er zu den Wurzeln seines Schaffens zurück und erweckt gleichzeitig seine bisher haarsträubendsten Schreckensfantasien zum Leben. Im Rahmen der Gamescom hatte der GameStandard die Gelegenheit, Mikami zu den Vorgängen in seinem Kopf und Angst als Unterhaltung zu befragen.

Trailer: "The Evil Within"
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derStandard.at: Seit gut zwei Jahrzehnten arbeiten Sie daran, Spielern das Fürchten zu lehren. Was sagt uns das über Ihre eigene Persönlichkeit?

Mikami: Ich glaube, das kommt von meinem natürlichen Wunsch, Menschen zu unterhalten - sei dies durch das Erschrecken von Leuten oder über lustiges Gameplay. Aber das ändert sich von Zeit zu Zeit. Ich persönlich würde Menschen gerne mit Humor unterhalten, aber leider wurde ich nicht mit einem Sinn für Humor gesegnet.

derStandard.at: Fürchten sich die Menschen heute über andere Dinge als vor 20 Jahren?

Mikami: Filme und Spiele betreffend denke ich, dass sich dies mit den Normen einer Generation ändert. Ich kann mich noch an die Schreckmethoden erinnern, die vor 30 Jahren in Filmen verwendet wurden, aber diese Methoden machen mir heute keine Angst mehr. Für Neulinge mögen sie noch immer funktionieren. Betrachtet man Horrorfans, sind wir in einem Zeitalter angekommen, in dem es neue und innovative Wege geben muss, um Leute zu verängstigen.

derStandard.at: Ich habe eine sehr spezielle Hypothese, wonach Horror und Erotik trotz ihrer divergierenden Inhalte eine ähnliche Wirkung auf Menschen haben können: Beide Genres bringen Menschen dazu, sich die Hand zu geben oder gar in die Arme zu nehmen. So können selbst sehr brutale Bilder schöne Gefühle beim Publikum erzeugen. Was möchten Sie mit Ihren Horrorspielen bewirken?

Mikami: Ich denke, in gewisser Weise sind sich Horror und Erotik sehr ähnlich. Menschen haben ein inneres Bedürfnis, Dinge zu sehen, die sie nicht sehen sollten oder die nicht Teil unseres Alltags sind. Das Gefühl, etwas zu tun, das man nicht tun sollte, kann ein anregendes Gefühl sein. In “The Evil Within” will ich Spieler die Erregung spüren lassen, die sie erleben, nachdem sie sehr stimulierende Dinge gesehen oder getan haben. Natürlich gibt es Menschen, die das nicht mögen und deshalb meiden. Aber so ist das eben.

derStandard.at: Spielen Sie Horror-Games lieber alleine oder zu mehreren?

Mikami: Alleine. Es gefällt mir auch, Leuten zuzusehen, wie sie meine Games spielen und Angst haben.

derStandard.at: “The Evil Within” lotet mit den abstrusesten Fantasien die psychischen Grenzen des Erträglichen aus. Der psychopathische Arzt, die mehrarmige Bestie - nach welchen Kriterien kreieren Sie Ihre Schreckensbilder?

Mikami: Meine Grundregel beim Kreaturendesign ist, dass sie auf Menschen basieren. Natürlich gibt es Ausnahmen, aber das ist die allgemeine Vorgehensweise. In Bezug auf die Art-Direction fließen eher alte Motive aus den 1970er-Jahren als ein moderner Look ein.

derStandard.at: Verarbeiten Sie mit den Monstern, die Sie erschaffen, Ihre persönlichen Ängste und Dämonen?

Mikami: Normalerweise schon, aber ich baue auch viele Vorschläge des Teams ein.

derStandard.at: Um seine eigenen Ängste zu überwinden, muss man sich ihnen stellen, lautet eine Weisheit. Was glauben Sie: Sind Menschen, nachdem sie “The Evil Within” gespielt haben, mehr oder weniger ängstlich als zuvor?

Mikami: Ich glaube nicht, dass Spieler nach “The Evil Within” anders über ihre Ängste denken werden. Die Situationen, die Spieler erleben, sind außerhalb der Norm, daher ist es schwer, die Spielwelt mit der realen Welt zu assoziieren. Die Spielwelt ist einzigartig und bizarr, und ich denke, dass es Spieler genießen werden, sich darin zu fürchten.

derStandard.at: Die Wissenschaft hat in diesem Bereich widersprüchliche Erkenntnisse hervorgebracht, aber was meinen Sie: Besteht eine Gefahr, dass Horrorspiele abstumpfen?

Mikami: Ich verfolge wissenschaftliche Forschungen sehr genau, aber meinem Gefühl nach erhöhen sie (Horrorspiele) die Toleranz für Angst ein wenig.

derStandard.at: Mit der “Resident Evil”-Serie haben Sie das Survival-Horror-Genre populär gemacht und neben erzählerischen Aspekten in Spielen auch zahlreiche neue Gameplay-Mechaniken etabliert. Mit “The Evil Within” machen Sie zwar inszenatorisch einen weiteren Schritt nach vorne, aber kehren gleichzeitig zu den Wurzeln des Genres zurück. Was haben Sie von Ihren ersten Horrorschöpfungen beibehalten und was ist neu an Ihrer Vision?

Mikami: Ich habe meinen Fokus auf die Balance aus Horror und unterhaltsamem Gameplay gelegt. Das habe ich seit damals beibehalten. Theoretisch sind das zwei widersprüchliche Konzepte. Wie immer bei Survival-Horror war es eine Herausforderung, ein Gleichgewicht zu finden. Zu den neuen Dingen gehört das Setting. Ich habe das Spiel in die Psyche einer Person gesetzt, die Ressourcen (Munition etc.) reduziert und Schleichfertigkeiten eingeführt.

derStandard.at: Sie haben den Großteil Ihrer Karriere für japanische Herausgeber gearbeitet. Mit Bethesda veröffentlichen Sie nun unter einem US-Herausgeber. Hat das Ihre Arbeitsweise beeinflusst?

Mikami: Zunächst hat es uns ermöglicht, die id-Tech-Engine (Anm.: Entwicklungssoftware des Herausgebers Bethesda) zu nutzen, ohne eine eigene Engine entwickeln zu müssen. Das hat uns einen Schnellstart in der Produktion beschert. Bethesda ist die Qualität sehr wichtig, und hier finden wir gut zusammen.

derStandard.at: Betrachten wir die Games-Branche als Ganzes, dann sieht man, dass sich die Blockbuster-Produktion heute fest in den Händen westlicher Konzerne befindet. Japanischen Herstellern wie Capcom, Konami oder Square Enix scheint es schwerzufallen, den Anschluss zu schaffen. Zumindest war ihr Stellenwert vor zehn Jahren noch deutlich höher. Woran liegt das, denken Sie?

Mikami: Es gibt verschiedenste Gründe. Aber einer davon ist, dass japanische Investoren eine passive Haltung gegenüber der Annahme hochprofitabler Geschäftsmodelle eingenommen haben. Eine der treibenden Kräfte dahinter ist der Erfolg sozialer Spiele, bei denen die Entwicklungskosten gering sind, aber die potenziell sehr profitabel sein können.

derStandard.at: Seit “Resident Evil” hat es eine Vielzahl von Weiterentwicklungen im Genre gegeben - von actionreichen Survival-Shootern wie “Left4Dead” über realistischere Survival-Dramen wie “The Last of Us” bis hin zu Schockerlebnissen wie “Slender” oder “Alien: Isolation”, bei denen Spieler die Opferrolle übernehmen. Wie gefallen Ihnen diese Entwicklungen? Gibt es ein aktuelles Werk, das Sie besonders gefesselt und inspiriert hat?

Mikami: Angefangen bei reinem Horror, haben viele Spielentwickler begonnen, lustigere Elemente einzubinden. Es gibt immer mehr Spiele, die ihren Schwerpunkt auf Story und Action legen. In Reaktion darauf verzeichnen wir zunehmend kleine Games, die wieder rein auf Horror setzen. Das ist der natürliche Lauf der Dinge. Ich habe es sehr genossen, “The Last of Us” zu spielen. Ich hatte wirklich das Gefühl, in einem Film zu spielen.

derStandard.at: Bei “Resident Evil” manifestierte sich das Böse in den dunklen Machenschaften eines Konzerns. In “Killer 7” ist es eine terroristische Gruppierung. Was ist das Böse in “The Evil Within”?

Mikami: Gute Frage, aber ich will nichts verraten.

derStandard.at: Wo es Böses gibt, muss es auch Gutes geben. In Ihren Werken übernehmen letztere Rolle die Spieler - zum Beispiel in den Schuhen eines Polizisten. Würde es Sie reizen, ein Spiel zu entwickeln, bei dem man aus der Sicht des Bösen, des Mörders oder des Monsters spielt?

Mikami: Ich bin interessiert daran, ein Spiel aus dieser Perspektive zu entwickeln, aber ich bin noch nicht dazu gekommen.

derStandard.at: In der Fiktion wird gerne schwarz-weiß gemalt, das Böse klar vom Guten getrennt. Die Wirklichkeit manifestiert sich zumeist in Grautönen. Könnten Sie es sich aussuchen: In welcher Welt würden Sie lieber leben?

Mikami: Wenn ich wählen müsste … Ich würde die Realität in Grautönen wählen. Die Realität manifestiert sich in Grautönen, und deshalb finde ich sie interessant. Es gibt viel mehr Raum für Freiheiten. In einer Welt, in der das Böse und das Gute klar voneinander getrennt sind, kann man nur einen der beiden Wege gehen, und das wird sehr monoton. (Zsolt Wilhelm, derStandard.at, 17.8.2014)