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Das Geschäft mit der Not syrischer Frauen blüht.

Foto: ap/Mohammad Hannon

Diese Reportage ist in dem Schweizer Magazin "Reportagen" erschienen. Das Magazin will in andere Realitäten entführen: Sechsmal pro Jahr erzählen darin herausragende Autorinnen und Autoren wahre Geschichten aus dieser Welt. Es ist im Buch- und Zeitschriftenhandel, im App-Store und im Abo erhältlich.

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"Seltsame Idee", sagt Mahmoud, der Übersetzer, als ich ihm in einem Café in Amman von meinen Fragen erzähle. "Was ist daran seltsam?" – "Dass es bei deiner Geschichte um Männer gehen soll." Er zieht an seiner Wasserpfeife, guckt in die Luft, schweigt. Ich schaue ihm in die Augen und warte auf mehr, auf eine Erklärung, was an meinen Fragen falsch sein soll: Warum häufen sich in jüngster Zeit immer wieder Berichte aus Jordanien über syrische Flüchtlingsfrauen und -mädchen, die unter sexueller Gewalt leiden? Warum nutzen arabische Männer das Elend der Flüchtlingsfrauen aus? Von Elendsprostitution ist die Rede, von sexueller Nötigung, Mädchenhandel, Kurzzeit-Ehen, Kinderbräuten. Ausgerechnet arabische Männer, die getreu ihrer Kultur die Starken, die Beschützer sind. Warum verraten sie ihre klassische Rolle? Mahmoud sieht mich nicht an. "Ach, eigentlich auch egal", sagt er schließlich und lächelt süffisant. "Du bist hier der Boss, und ein Job ist nun mal ein Job."

Die Berichte über das Elend der Syrerinnen beschäftigen mich, die Situation der Frauen berührt mich. Doch mit jedem weiteren Artikel, den ich lese, denke ich mehr über die Männer nach, die dafür verantwortlich sind, was den Frauen passiert. Es erscheint mir paradox. In der arabischen Welt ist der Mann doch der Starke, der Beschützer, die Frau ist die Schwache und zu Beschützende. Warum werden Beschützer zu Tätern, frage ich mich.

Mahmoud hat ein paar Semester Englisch studiert, seitdem arbeitet er als Übersetzer und Fremdenführer, ein Kollege hat ihn mir empfohlen. Mahmoud ist angezogen wie die Puppen im Schaufenster spanischer Modeketten, hat penibel gezupfte Brauen und einen exakten Dreitagebart, ich schätze ihn auf Anfang 40, er ist Mitte 30. Alles in allem ist Mahmoud ein gutes Beispiel dafür, wie sehr arabische Männer auf ihr Äußeres achten, ständig spiegelt er sich in seinem Smartphone. "Simple, easy", das ist sein Lieblingsspruch, alles ganz einfach, alles cool. Ich ahne, dass es mit uns nicht gut gehen wird.

Auf der ersten gemeinsamen Taxifahrt steigt Mahmoud vorne ein, natürlich vorne, so viel zum Thema Boss. Der Taxifahrer – Glatze, Knubbelnase, Haarkranz wie ein Mönch – zündet sich an der alten eine neue Zigarette an, zieht ohne Seitenblick nach links und hupt ein Taxi aus der Spur. Im Radio läuft arabischer Pop, Mahmoud dreht auf Nachrichten. Suriyya, Syrien, höre ich heraus und immer wieder Bashar, den Vornamen des syrischen Machthabers Assad. "Ja, ja, ja", sagt der Taxifahrer und bläst Rauchkringel aus dem Fenster. "Und nun bringen sie sicher noch was über syrische Frauen, vielleicht gibt es sogar schon einen Werbespot." Er guckt zu Mahmoud hinüber, dann lachen sie, dass ihnen die Augen tränen.

"Syrerinnen", erklärt Mahmoud, als er sich wieder beruhigt hat, "sind die schönsten aller Frauen", im ganzen Nahen Osten für ihre Anmut berühmt. Der Fahrer nickt, langsam und mit Nachdruck. "Wenn ich ein syrisches Mädchen sehe", sagt er und faltet kurz die Hände, "ich schwöre bei Gott, dann geht in mir die Sonne auf. Veeery beautiful, veeery sexy, veeery nice smile."

Auf der Suche nach einer Zweitfrau

Syrerinnen gelten in der arabischen Welt als Traumfrauen. Helle Haut, zierlich, schönes Gesicht, fleißig und gehorsam gegenüber dem Ehemann. Auch als Prostituierte sind Syrerinnen in der Region bekannt und beliebt, schon vor dem Krieg verkauften sich Frauen aus dem ländlichen und armen Süden Syriens in Libanon und Jordanien. Das erzählt auch Mahmoud. Allerdings mit einem Zusatz. "Die Syrerinnen", ruft er nach hinten ins Taxi, "das waren schon immer Schlampen!"

"Mittlerweile geht es in der Stadt um nichts anderes mehr als um syrische Frauen, Frauen, Frauen", sagt der Taxifahrer. "Neulich nachts blinkte ein Auto am Straßenrand auf, ich hielt an, dachte, es sei ein Unfall, aber es war ein Kuwaiter, der fragte, wo es in Amman die schönsten syrischen Mädchen gebe, er suchte eine Zweitfrau. Saudis, Kuwaiter, Katarer, jordanische Männer, egal wer bei mir einsteigt, alle wollen sie eine Frau, um mit ihr Spaß zu haben oder um sie zu heiraten. Wenn man die Männer zu Frauen fährt, dann bezahlen sie gut." – "Was bringt solch eine Sondertour?", will ich wissen. "Die fahre ich nicht!", ruft der Fahrer. "Solche Dinge sind nicht richtig, so etwas ist nicht gut!"

Das Intercontinental ist das älteste Nobelhotel Ammans, ein L-förmiger Sandsteinkomplex aus den sechziger Jahren. Auf dem Parkplatz stehen wuchtige glänzende Geländewagen mit dunkel getönten Scheiben, die Wagen aus den USA, die Kennzeichen vom Golf. Saudis, Kuwaiter, Katarer, Männer aus den reichen Golfstaaten, mit denen verglichen Jorda
nien wie eine Bastion von Freizügigkeit und Liberalität erscheint, sollen schon lange wegen syrischer Frauen hierher kommen. Die Sicherheitsmänner des Hotels halten Spiegel unter Autos, klappen Kühlerhauben hoch, drehen Reserveräder um, leeren Damenhandtaschen, tasten Männerkörper ab, studieren Reisepässe. In der Empfangshalle spielt jemand leise Klavier, an der Rezeption stehen Männer in scharf geschnittenen Anzügen und Männer mit kariertem Kopftuch und im Dishdash, dem traditionellen weissen Golfaraber-Gewand. In einer Sofaecke weit hinten, verborgen von zahlreichen Blumengestecken, sitzt einer der hoteleigenen Reisemanager.

Als Ehe getarnte Prostitution

Er lässt englischen Tee und Pistaziengebäck servieren, drückt zwei, drei Anrufer weg, kommt zur Sache. "Seitdem die syrischen Flüchtlinge im Land sind, steigen bei uns immer mehr Saudis und Kuwaiter ab, die sich ein Zimmer mieten und Frauen mitbringen." Als Ehe getarnte Prostitution ist nichts Neues in islamischen Ländern, sogenannte Urfi-Ehen sind allein religiös geschlossen, aber staatlich nicht registriert und damit rechtlich ungültig. Für Heirat und Scheidung braucht es nur einen formlosen Vertrag, das Einverständnis eines männlichen Verwandten, und die Heiratszeugen lassen sich kaufen.

"Ehepapiere?" Der Manager lacht. "So was wollen nur die günstigen Hotels sehen. Den Luxushotels ist es egal, ob Paare verheiratet sind, du kannst mitbringen, wen du willst." Manche Männer, sagt er, mieten auch ein Apartment für Ehefrau oder Ehefrauen und Kinder, "plus eins für sich selbst und die Nutten." Für die vielen großen Vier- und Fünf-
Sterne-Häuser in Amman lohnt sich ein laxer Umgang mit der Moral und mit den Gesetzen, im Intercontinental etwa kosten die großen Suiten 2500 Dinar, umgerechnet etwa 2500 Euro pro Nacht. "Und der Staat schaut weg", sagt der Manager, "denn der nimmt reichlich Steuern ein."

"Siehst du", sagt Mahmoud später im Taxi. "Dass die Syrerinnen sich verkaufen, ist nicht neu, mit den Flüchtlingsfrauen ist es halt mehr geworden." Männer, die Frauen kaufen, sagt er, "das gab es doch schon immer, und das wird es immer geben", egal in welchem Land, egal welche Gesetzeslage. Da ist es wieder, das übliche Argument vom ältesten Gewerbe der Welt, denke ich. Doch ob in Europa oder in Amman oder sonstwo auf der Welt, das Argument wird schwammig, wenn es darum geht, dass Menschen ihr Überleben retten müssen. "Die Flüchtlingsfrauen brauchen das Geld", sage ich. "Ginge es ihnen hier besser, würden sie sich nicht verkaufen." – "Niemand zwingt die Frauen dazu", erwidert Mahmoud. Dann schaut er schweigend aus dem Fenster, will nicht diskutieren. Eigentlich auch egal, denke ich, er ist ja nur der Übersetzer.

Ammans helle Gebäude leuchten in der Dämmerung, auf Baustellen ragen Büro- und Hotelklötze in den Himmel, darunter schimmert es grün in den Minaretten. In der Wasfi al-Tall Street ist es fast taghell. Fastfood-Restaurants, Saftstände, Shisha-Cafés, Zigaretten-Shops, Handy-
Läden, Klamottengeschäfte, alles blinkt und neonleuchtet um die Wette. Neben der Paradise Bakery steht ein stämmiger kleiner Typ in weißer Jeans und weißem Poloshirt, Gold am Arm und um den Hals, im Ausschnitt steckt eine Sonnenbrille. "Welcome to Jordan", sagt er. "How are you?" An seinem Rücken piept und rauscht es, dazu abgehackte Stimmen, Polizeifunk. Ein großer muskulöser Mann in T-Shirt und Khakiweste kommt dazu. "Mein Partner", sagt der Mann in Weiß, die beiden sind Polizisten und arbeiten als verdeckte Ermittler.

Entlang der Wasfi al-Tall stehen Männer in Paaren oder Grüpp
chen, trinken Kaffee, rauchen, reden, schauen Fremden nach. In einem parkenden Auto sitzen ein junger Mann und ein Mädchen, er hält ihre Wange, sie hält seine Hand. "Schaut mal, zwei wirklich Verliebte", ruft Mahmoud, die Ermittler lachen. In ein Café in der Nähe haben sie einen ihrer Informanten bestellt, einen Zuhälter.

"Wenn wir jemanden schnappen, der Frauen kauft oder verkauft, dann würde ich ihn am liebsten abknallen", ruft der Muskulöse. "Einen Mann erschießen, weil er eine Frau kauft?", frage ich. "Was ist so schlimm daran?" – "Unsere Religion verbietet es." – "Was ist mit den Frauen?" – "Na ja", sagt er und zieht an seiner Zigarette, "Frauen aus Syrien haben schon immer in den Nightclubs von Amman gearbeitet. Wobei es extremer geworden ist, viele Mädchen haben keinen Zuhälter, die verkaufen sich mittlerweile direkt auf der Straße." Er schüttelt den Kopf. "Bei den Syrerinnen herrscht jetzt richtig Wettbewerb."

"Ja, ich vermittle Frauen"

In dem Café bestellt der Weiße Tee und Wasserpfeife, die Männer an den anderen Tischen gucken herüber, mustern uns, besonders mich. "Alles Schlampen", hat Mahmoud gesagt, genau so komme ich mir gerade vor. Der Muskulöse blickt zur Tür, dann wieder durch den Raum, dann wieder zur Tür, er diskutiert mit dem Weißen, das Ganze wird ihm zu heikel. Der Weiße redet auf ihn ein, telefoniert, bestellt wieder Tee. "Da ist er ja", sagt er plötzlich. Ein kleiner Typ kommt herein, spindeldürr, dreckige Jeans, Gummisandalen, Plastik-Baseballkappe auf strähnigen Haaren. Die Ermittler erzählen, dass eine deutsche Kollegin zu Besuch ist, der Typ blickt mich kurz von der Seite an, er wirkt eingeschüchtert. "Ja, ich vermittle Frauen", erzählt er leise und stockend, pro Woche verdiene er 100 bis 150 Dinar. "In Jordanien liegt der Mindestlohn bei 190 Dinar", sage ich. "Was machst du mit so viel Geld?" Der Typ schweigt, starrt auf den Boden. "Koks kaufen"!, sagt der Polizist in Weiß, dann bestellt er die Rechnung.

Eine örtliche Hilfsorganisation berichtet von Fällen, in denen jordanische Männer syrische Flüchtlingsfrauen heirateten, ihnen ein besseres Leben versprachen, sie dann zur Arbeit in einem Stripclub zwangen, dem bekanntesten in der Sahab Street, auch die beiden Ermittler kennen den Laden. "In einen Stripclub gehen?" Mahmoud klingt empört. Ob ehrlich empört oder gespielt empört, das kann ich nicht einschätzen. Für Letzteres spricht, dass er ein bei der Familie seines Bruders lebender Single ist oder, wie er es ausdrückt, "noch nicht verheiratet". Ich erinnere ihn an sein abfälliges Urteil über die Syrerinnen – wenn er so denkt, dann kann es ihm doch egal sein. "Darum geht's nicht", erwidert er. "In so einem Laden bringen Fragen früher oder später Ärger, und zwar gewaltig." – "Job ist Job", sage ich. "Du bekommst von mir Geld für deine Arbeit, also gehst du in den Puff." – "Vergiss es!", ruft Mahmoud, jetzt ehrlich empört. "Man kann mich nicht kaufen und kommandieren wie ein Stück Vieh."

Keine 24 Stunden später ruft er an. Wir fahren in die Altstadt, ich soll den Besitzer eines Hostels treffen. "Ist ein interessanter Typ für ein Gespräch", mehr wollte Mahmoud nicht verraten. Al-Khayyam Street, Hostel Int. Comm. steht in verblichenen Buchstaben an einer schmierigen Glastür. Zwei Mädchen in Tops und Jeansshorts kommen heraus. Drinnen ist es düster, riecht nach Kiffen und nach Angebranntem, an den Wänden hängen Jordanien-Poster und dunkle Teppiche, eine Neonröhre und ein tragbarer Fernseher, auf dem 80er-Jahre-Musikvideos laufen, spenden Licht. "Welcome to Jordan", ruft ein Mann und breitet die Arme aus. Gegelte graue Locken, Siegelring, das strahlend weiße Hemd mit Bügelfalten spannt über dem Bauch, die dunklen Jeans sind hochgekrempelt, nackte Füße in Ledermokassins, herbes Parfum.

Angebot und Nachfrage?

Drei Ehefrauen hat Ali und acht Kinder, und weil er mindestens Fußballmannschaftsstärke will, sucht er zurzeit Frau Nummer vier. Über das Hostel spricht er nicht gern, auch nicht darüber, ob er sonst noch Geschäfte macht. Ali gießt uns Tee ein, pikst den linken Zeigefinger in die Luft, dann doziert er. "Syrerinnen, das sind alles Schlampen. Die haben eine kleine Muschi, die haben Spaß dabei, die tun es richtig gerne." Über seine Stirn laufen zwei dicke Schweißtropfen, er wischt sie mit dem Handrücken weg, schnauft. "Die Syrer sind ein billiges Volk, die haben keine Würde, keine Ehre, die verkaufen sogar ihre Frauen und Schwestern und Töchter."

"Woran liegt das, Ali?" – "Pff", macht er, zuckt mit den Schultern. "Ist einfach eine andere Kultur. Das haben die im Blut, das steckt ihnen in den Genen." – "Was ist mit den Männern, die sich Flüchtlingsfrauen kaufen und ihr Elend ausnutzen?" – "Schwachsinn!", ruft Ali, seine kleinen dunklen Augen blitzen mich an. "Das ist kein Ausbeuten. Das ist Angebot und Nachfrage. Die Frauen verdienen Geld, die Männer haben Spaß. Win-win-Situation, einfaches wirtschaftliches Prinzip." – "Wie weit bist du mit der Suche nach einer weiteren Frau, Ali?" – "Große Auswahl", sagt er, lehnt sich im Sessel zurück und zwinkert mir zu. "Riesengroße Auswahl, da fällt das Entscheiden schwer." Auch die Preise für die Mitgift seien im Keller. "Vor dem Krieg war ich auf Brautschau in Syrien, da hast du keine unter tausend Dinar bekommen, jetzt geben dir die syrischen Väter ihre Mädchen für hundert." Ali lacht dröhnend, plötzlich ist der kleine Fernseher schwarz und der Raum noch dunkler. "So gesehen ist das Chaos nebenan sogar gut für uns. Danke, Bashar, dass du uns so viele billige Schönheiten schickst!"

Einige Tage später im Norden Jordaniens, in Zaatari, einem der beiden Lager des Flüchtlingshilfswerks der Vereinten Nationen. Mit 100. 000 Menschen auf neun Quadratkilometern ist es das zweitgrößte Flüchtlingscamp der Welt, eine staubige Stadt aus Zelten und Wohncontainern.

Die meisten Flüchtlinge leben nicht in den Lagern

Ein Familienvater erzählt, dass er sich zusammen mit anderen Männern als Wachtruppe organisiert hat, die Zuhälter und fremde Heiratsvermittler aus dem Lager halten will. "Dass wir Syrer unsere Heimat verloren haben, heißt doch nicht, dass jetzt unsere Frauen zu haben sind", sagt er wütend. "Aber wenn wir uns nicht selbst wehren, dann hilft uns hier im Camp niemand, die Uno-Leute nicht, die Polizei nicht." Andere Flüchtlinge erzählen, dass jordanische Polizisten, die für die Sicherheit im Lager zuständig sind, sich von den Kupplern schmieren lassen und daher nichts gegen das Geschäft mit den Frauen unternehmen. "Was sollen wir denn tun?", fragt ein Polizeihauptmann, der in einer Bürobaracke nahe der Camp-Einfahrt an einem Schreibtisch sitzt. "Ehen arrangieren, das ist nichts Illegales. Wenn es dabei Probleme gibt, müssen es die Syrer selbst regeln."

An der schmalen Meile, die längs durch das Lager führt, haben die Bewohner an Ständen und in Blechcontainern Läden aufgemacht, verkaufen Kleidung, Waschmittel, Kanarienvögel, Eis, Zigaretten. Schuster, Schneider, Friseure, Bäcker arbeiten hier. Champs-Elysées nennen sie die wuselige Schotterstraße. "Mein Gott", sagt Mahmoud, während das Lager im Rückspiegel unseres Autos verschwindet. "Wer ist bloß auf diesen Namen gekommen?"

Nicht einmal jeder fünfte Flüchtling aus Syrien wohnt in Jordanien im Lager, die meisten Menschen leben in Städten, in Amman, vor allem aber im Norden des Landes, in Irbid, Mafraq, Karak, Ramtha. Ramtha, direkt an der syrischen Grenze, hat den Ruf eines Schmugglernests, voll von Drogendealern und Waffenschiebern. Außerdem gilt die 60. 000-Einwohner-Stadt als beliebtes Ziel von Männern, die ein syrisches Mädchen wollen.

Am Horizont hängen dunkle Rauchwolken, Bomben in Syrien. Entlang der Straße, die hinein nach Ramtha führt, stehen Rohbauten und fertige Häuser, drei, vier Etagen, große Balkone, üppige Gärten, lange Mauern und schmiedeeiserne Zäune, "Schmugglerpaläste", erklärt Mahmoud. Im Zentrum trotten verdreckte Ziegen und zottelige Schafe über die Straßen, in den Kreisverkehren verwelken Palmen, vor den Häusern liegen aufgeplatzte Müllsäcke, junge Männer stehen vor Cafés, die Stars Bucks heißen, Happy Time, Lucky Cat. Mahmoud will sich umhören und klappert kleine Lebensmittelläden ab.

"Hey!", ruft er irgendwann und winkt von der anderen Straßenseite. "Der Typ in dem Laden da vorne vermittelt Frauen. Ich hab' ihn gefragt, ob er Mädchen kennt und ob er mir helfen kann, komm, los geht's!" – "Aber wenn eine Frau dabei ist, wird er nichts mehr sagen." – "Doch." Mahmoud lächelt wie ein Sieger. "Ich hab' ihm erzählt, dass ich nicht für mich alleine suche, sondern für mich und für meine Frau, eine Europäerin und natürlich sehr offen."

Das Geschäft mit den Frauen läuft gut

Im Laden hinter der Kasse steht ein kleiner Mann in zu weitem Anzug. Er geht zur Tür und schließt sie, blickt bewusst zur Seite, geht zu Mahmoud und schiebt ihm ein Handy hin. Der tippt auf den Bildschirm. Das Video zeigt eine junge Frau in einem dünnen schwarzen Kleid und mit offenem Haar, sie tanzt, Kleid und Haare wehen. "Zweihundert Dinar pro Stunde, ganzer Tag tausend", sagt der Mann. "Aber ich habe auch andere Mädchen mit anderen Preisen." Woher er die Frauen kenne, fragt Mahmoud. Der Mann holt eine Mappe, darin sind Lebensmittelgutscheine abgeheftet, auf manchen hat jemand neben die Namen und Adressen auch Telefonnummern geschrieben. Eine Hilfsorganisation habe die Gutscheine vor einigen Monaten an syrische Flüchtlinge verteilt, sagt der Mann. Wenn eine hübsche Syrerin damit zu ihm in den Laden kam, habe er sie gefragt, ob sie etwas verdienen wolle für sich und ihre Kinder.

"Läuft das Geschäft gut?", frage ich. "Viele Kunden?" Der Mann schaut mich an. "Die Frauen?", fragt er und kneift die Augen zusammen. "Genau, die Frauen." – "Ja, läuft gut", sagt der Mann. "Was ist der Unterschied, eine Dose Thunfisch zu verkaufen oder eine Frau?" Der Mann lacht. "Das eine lohnt sich." Menschen und Konservendosen, klinkt Mahmoud sich ein, das sei ein gewaltiger Unterschied. Der Mann reißt ihm das Handy aus der Hand, knallt die Mappe zu. "Was soll das, was wollt ihr eigentlich?", schreit er. "Niemand zwingt die Frauen dazu, das machen die freiwillig!"

Ein Flüchtlingsjunge bietet seine Schwestern an

Am Abend, zurück in Amman, wir essen im Hashem, auf dem Tisch Falafel-Bällchen, Salate, Fladenbrot. Der Altstadt-Imbiss ist eine Institution, alle Tische sind besetzt, Einheimische, Touristen, viele Familien. Plötzlich steht ein Junge neben dem Tisch. Ausgeblichenes T-Shirt mit Real-Madrid-Logo, dünne Jeansbeine, vielleicht zehn ist er, höchstens zwölf. "Nein danke, mein Freund", sagt Mahmoud, verscheucht mit der linken Hand eine Fliege, gießt mit der rechten Cola in ein Glas, verdreht leicht die Augen. "Langsam reicht's mir mit den kleinen Bettel-Syrern." Das Kind greift in seine Hosentasche, zieht ein Foto mit verbogenen Rändern heraus, legt es mit der Rückseite nach oben neben das Cola-Glas. Ich drehe das Foto um. Zwei Mädchen mit tiefschwarz geschminkten Augen und dunkelroten Lippen, Hochsteckfrisuren, enge Rollkragenpullover, ihr Alter ist schwer zu schätzen. Der Junge zeigt zur Straßenecke, wenige Schritte entfernt. Zwei Mädchen stehen dort, sie tragen Kopftücher und weite Kleider, ihre blassen Gesichter ähneln denen der Mädchen auf dem Foto. "Willst du Ärger?", zischt Mahmoud. "Du siehst doch, dass ich mit einer Frau hier sitze, was soll das Ganze, Hurensohn?" Der Junge lächelt, er hat dunkle Augenringe, seine Schultern hängen leicht nach vorn. "Sheikh", sagt er, ein arabischer Ehrentitel, seine Stimme ist ruhig. "Du wärst nicht der erste Mann in dieser Stadt, der Abwechslung will. Halbe Stunde, zwanzig Dinar."

Zwanzig Dinar, beide Mädchen für eine Stunde macht achtzig Dinar, nach oben hin wird es vermutlich günstiger. Ein ganz normales Abendessen an einem der beliebtesten Orte der Hauptstadt Jordaniens wird von einer Minute auf die andere zu einem Kuppelabend, ein syrischer Flüchtlingsjunge bietet seine Schwestern an. Sein Auftreten wirkt routiniert, viele Hände haben das Foto schon angefasst und die Ränder verbogen. "Warum tust du das?" Mahmoud fragt den Jungen nicht, er schreit ihn an. Der Junge schnappt das Foto, dreht sich um, rennt weg. Die Gäste an den anderen Tischen reagieren nicht, die Kellner sagen nichts. "Die eigenen Schwestern", sagt Mahmoud und schlägt die Hände vors Gesicht.

Ungewohnt still ist er nach dem Abend im Hashem, keine Witze mehr, kein simple easy. Eines Nachts schickt er mir eine Mail, kommentarlos, es sind Zitate aus arabischen Online-Foren, in denen Männer syrische Bräute suchen. "Die weite Fahrt durch die Wüste lohnt sich", schreibt ein Mann aus Saudi-Arabien, "die guten Dinge werden immer mehr anstatt weniger." Ein Jordanier schreibt: "Ich will meine Schwestern in der Not nicht alleine lassen."

An einem brütend heißen Tag sind wir wieder in Ramtha, auf dem Rücksitz ein örtlicher Imam, langes beigefarbenes Gewand, zauseliger Bart, Nickelbrille. Abdal heißt er, ist 31, schreibt an seiner Abschlussarbeit im Islamrecht-Studium. Eine Ehe, sagt er, verpflichte den Mann dazu, sich um seine Frau zu kümmern, sie zu beschützen, sie zu versorgen. "Eine Ehe darf kein Vorwand sein", sagt er, "verheiratet zu sein bedeutet nicht, sich eine Zeitlang zu vergnügen." – "Aber wenn den Geistlichen bewusst ist, dass viele Männer, die sich für syrische Mädchen interessieren, keine ernsten Absichten haben, warum schließen Imame solche Ehen?" – "Die bekommen Geld dafür", sagt Abdal. "Ich weiß nicht, was in deren Köpfen vorgeht, aber das ist falsches Denken und Handeln, das hat der Prophet Mohammed nicht gewollt."

Imam Abdal lotst uns durch die Stadt und wieder hinaus, er findet die Wohnung der syrischen Familie nicht, zu der er uns führen will. Mahmoud hält an und fragt. Der Imam hat sein Smartphone am Ohr, ruft an und wird zurückgerufen, der Klingelton ist Meeresrauschen und Möwengeschrei. An einer Kreuzung reißt er die Autotür auf, sagt "Hier muss es sein" und verschwindet in einer Seitenstraße. Kurz darauf steht er am Straßenrand, winkt, wir sollen ihm folgen.

Aus dem Wohn- und Schlafzimmer von Abu Firas' Familie blickt man auf ein weites Feld mit Olivenbäumen, die Häuser dahinter gehören zu Dera'a, Ramthas syrischer Nachbarstadt, aus der die Familie stammt. Abu Firas, der Vater, sagt, dass man nachts die Bomben hört, und er empört sich über die Miete, die er für die Wohnung zahlen müsse. "200 Dinar für zwei Zimmer", Koch- und Waschecke sind hinter einer Blechwand auf dem Hof. Die Mieten seien bis um das Zehnfache gestiegen, bestätigt der Imam. "Flüchtlinge ausbeuten", sagt er, "das ist in dieser Stadt normal geworden."

Väter, die wie Geschäftsmänner agieren

Vier Söhne und drei Töchter hat Abu Firas mit zwei Frauen, die Töchter kreischen und lachen im Nebenzimmer. Die mittlere heißt Aseel, die Wünschende. Ein pummeliges Mädchen mit rundem Gesicht und großen Augen. Fünfzehn Jahre alt, sagt ihr Vater. "Eines Tages stand ein Mann aus Dubai vor der Tür und wollte sie heiraten. Einer meiner Cousins, der dort lebt, sagte, der Mann sei in Ordnung." – "Wie viel Mitgift gab es?", frage ich. "8000 Dinar." Einige Tage habe der Bräutigam bei der Familie gewohnt, dann habe er das Mädchen mit nach Dubai genommen und sie an seine Freunde ausgeliehen.

"Sie rief uns an, drohte, wenn ich nicht zurück nach Hause kann, bringe ich mich um. Wir gaben vor, ihr Opa sei gestorben und dass sie zur Beerdigung kommen müsse. Der Mann ließ sich noch am Flughafen von ihr scheiden." – "Was war mit dem Cousin, angeblich war doch alles in Ordnung?" – "Der hatte sich von dem Mann bezahlen lassen."

Zwei kleine Mädchen kommen aus dem Zimmer nebenan und kuscheln sich an ihren Vater, eine in weißem Kleid mit pinkfarbener Plastikblume im Haar, die andere in Jeansshorts und gelbem T-Shirt. Abu Firas nimmt das Jeansmädchen auf den Schoß, 42 ist er, hat graue Haare und schmale hellblaue Augen.

"Deine Tochter Aseel ist sehr jung, Abu Firas, warum hast du sie verheiratet?" – "In unserer Kultur geben wir die Mädchen früh an einen Mann. Sie akzeptieren das, weil ein Vater das Beste für sein Kind will." – "Das Beste für sie wäre ein Leben in einem fremden Land?" – "Alles ist besser als das Leben hier oder ein Leben in Syrien." – "Was wird nun mit Aseel passieren?" Der Vater schweigt. Mahmoud stellt meine Frage noch einmal. "Ich weiß es nicht", sagt Abu Firas. "Irgendwann wird sie vielleicht noch einmal heiraten." – "Als du sie jetzt verheiratet hast, welche Rolle spielte das Geld?" – "Ich bin krank, Herzprobleme, wahrscheinlich muss ich operiert werden, das ist teuer." – 
"Dubai ist weit weg, und die Reise kostet auch viel", sage ich. "Du hättest deine Tochter nicht mehr sehen können." – "Meine Situation ist schwierig, wir leben hier von einem Tag zum anderen", sagt Abu Firas. "Manchmal hast du einfach keine Wahl."

"So ein Lügner!", schimpft der Imam später bei Kaffee und Wassereis. Das Meer rauscht, Möwen schreien, aber er geht nicht ans Telefon. "Jeder in Ramtha weiß, dass das Mädchen erst elf Jahre alt ist." Natürlich sei die Not der Flüchtlinge groß, sagt Mahmoud. "Aber auch wenn es dir dreckig geht, verkaufst du doch nicht dein Kind!" Mahmoud, der arabische Macho, lange habe ich ihn als Teil des Problems gesehen. Jetzt stellt er sich die Fragen, die mich in dieses Land geführt haben, die Auslöser waren für die Suche nach Männern, die entgegen ihrem Selbstverständnis handeln.

Wie kann es sein, frage ich ihn und den Imam, dass ein Vater nur auf seinen eigenen Vorteil schaut? Dass er, wenn es darauf ankommt, seine Beschützerrolle nicht wahrnimmt, sie stattdessen sogar missbraucht? Dass er wie ein Geschäftsmann handelt, wenn es um die Zukunft seiner Tochter geht? Mahmoud schaut den Imam an, ich schaue den Imam an. Der Imam seufzt. "Ja", sagt er schließlich. "Sind die Zeiten hart, dann verlieren viele Menschen ihre Würde."

Flüchtlinge dürfen in Jordanien nicht arbeiten

Der Imam will mit uns eine zweite Familie besuchen. In al-Torra lebt sie, einem Dorf kurz hinter Ramtha, in einem flachen Haus, Klebeband auf Rissen im Fensterglas, es riecht nach Putzmittel und Essen. Umm Basel, die Frau von Abu Basel, stellt ein Tablett auf den Boden, Spiegelei, Brot, Oliven. Über Wände und Decken der Eineinhalb-Zimmer-Wohnung ziehen sich große Wasserflecken, an einem Nagel hängt eine schwarze Herrenhandtasche, darin bewahren sie Lebensmittelgutscheine und Familiendokumente auf, am Waschbecken neben der Haustür steht ein Plastikbecher mit struppigen Zahnbürsten.

Abu Basel hat eine leise Stimme, er erzählt von Syrien, von seinem Matratzengeschäft in Dera'a. "Alles verbrannt." Basel ist 45, seine Frau 39, zwei Söhne haben sie und fünf Töchter. Aus Angst vor Morden und Vergewaltigungen seien sie über die Grenze geflüchtet, sagt der Vater, ein paar Tage lebte die Familie im Flüchtlingslager Zaatari, dann zogen sie nach al-Torra. "In Syrien, im Lager, überall hatten wir Angst um Barik." Barik ist die Zweitälteste, 17, langes Karohemd und enge schwarze Jeans, zarte Gesichtszüge, hellblaue Augen wie ihre Mutter. Barik bringt Tee, dann geht sie wieder ins hintere Zimmer.

Keines seiner Kinder gehe mehr in die Schule, sagt Abu Basel, er könne das Schulgeld nicht zahlen, weil sein Erspartes aufgebraucht sei. Ein Flüchtling darf in Jordanien offiziell nicht arbeiten – wovon zahlt er die Miete? "Manchmal verkaufe ich einen Teil der Lebensmittelgutscheine, und unser Ältester, er ist 13, der hat einen Aushilfsjob." Abu Basel guckt auf sein Handy, ein altes, blau-schwarzes Plastikmodell. Er warte auf Nachricht von der ältesten Tochter, mit Mann und drei Kindern lebe sie im syrischen Homs, zwei Monate lang habe sie sich nicht gemeldet.

"Ich muss jetzt auch die anderen Töchter verheiraten, dann hätte ich weniger Sorgen", sagt Abu Basel, lacht kurz und hart. "Genug Möglichkeiten gibt es ja." Ein Mann aus Kuwait habe Barik vor einigen Wochen auf dem Schulweg angesprochen und sei ihr nach Hause gefolgt. "Er hat meinem Sohn Geld zugesteckt, dann wollte er mir Geld geben, aber ich habe es nicht genommen." Vier Mal sei der Mann schon da gewesen, habe zwischendurch ständig angerufen. "Und der ruft mich noch immer an", schreit Abu Basel. "Immer wieder, so ein Scheißkerl!" Sein Kopf ist rot, er nimmt das Handy und schmeißt es auf den Boden, es bricht entzwei. Der kleinere Sohn guckt den Vater erschrocken an, dann kriecht er über den Teppich, nimmt die beiden Plastikteile und setzt sie wieder zusammen. (Daniela Schröder, 26.8.2014)