Durchwursteln in harten Zeiten: ein Szenenbild mit Kaiser und Kasperl zu Fritz Oberndorfers Puppentheater, das Verwundete im Wiener Kriegsspital aufheitern sollte.

Illustration: Götz Silberbauer

Zwischen schelmisch und rassistisch: Im Ersten Weltkrieg zog der Kasperl noch andere Saiten auf. Titelbild zum Spielheft von Fritz Oberndorfers Kriegskasperltheater aus dem Jahr 1917.

Graz - Der moderne Kasperl ist ein ziemlich Braver, der lautstark die Bösen überlistet und schon etliche Generationen von Kindern in Begeisterung versetzen konnte. Dabei hat dieser Dauerbrenner des Puppentheaters eine bemerkenswert schlüpfrige und gewalttätige Vergangenheit: Sein unmittelbarer Vorfahre im Wiener Kärntnertortheater ist die Figur des Hanswursts, die mit ihren derb-sexuellen Späßen im 18. Jahrhundert immer wieder die Zensur auf den Plan zu rufen verstand.

Im Laufe des 19. Jahrhunderts wurde der vulgäre Flegel und subversive Possenreißer einigermaßen domestiziert und vom Personentheater auf die Puppenbühnen verbannt. Der "Kasperl" wurde zur Marionette oder Handpuppe, wobei der Handpuppenkasperl noch mehr Anteile der früheren Schlagkraft behielt. Seine Entwicklung zum naiven Kinderanimateur zog sich aber noch hin.

Erst nach 1945 war die widerständige, erwachsene Seite des Kasperl zur Gänze hinter seiner neuen kindgerechten Persönlichkeit verschwunden. Drei Jahrzehnte früher war das noch anders: "Zwar gab es zur Zeit des Ersten Weltkriegs schon länger das pädagogische Kasperltheater für Kinder, doch die Stücke wurden damals auch noch für Erwachsene geschrieben", sagt die Germanistin Evelyn Zechner. "Der niederdeutsche Kasperl kam sogar zu den Soldaten an die Front."

Sein vom Grazer k. u. k. Beamten Fritz Oberndorfer gestaltetes österreichisches Pendant sollte die Verwundeten im Wiener Kriegsspital aufheitern und wurde auch bei diversen Feierlichkeiten auf die Puppenbühne geholt. "Und zwar nicht nur zur Unterhaltung der sogenannten einfachen Leute", weiß Zechner, die mit ihrer Masterarbeit die langjährige Kasperlforschung am Germanistikinstitut der Grazer Uni fortsetzt.

Den von Ängsten und Hunger gequälten Menschen der Kriegsjahre ist der Kasperl ein Vorbild im fröhlichen Durchwursteln. Er findet Schlupflöcher, um die kriegsbedingten Nahrungsmittelrationierungsvorschriften zu umgehen, lässt Kriegsgewinnler auffliegen und verteilt ihre unmoralisch erworbenen Schätze an Bedürftige. Insbesondere die von Fritz Oberndorfer gestaltete österreichische Kasperlfigur hat einen ambivalenten Charakter: "Er wettert zwar gegen die Folgen des Krieges für die kleinen Leute, bejaht den Krieg selbst aber ohne Wenn und Aber", betont Zechner.

Als Leiter des Referats für die Kartoffelversorgung der Zivilbevölkerung kannte Oberndorfer die Nöte der Menschen. Seine Antwort darauf war ein in Kasperlpossen verpacktes Überlebensprogramm, in dem eine gewisse Schlitzohrigkeit durchaus im Dienst der guten Sache stand. Wie schon in den Jahrhunderten zuvor ist Kasperl der Inbegriff des Siegertyps, der alles darf - "ein Held aus dem Volk mit großem Identifikationspotenzial" , bringt es die Germanistin auf den Punkt. "Wie Schwejk leistet er passiven Widerstand im Kleinen, führt aber nicht wie dieser den Krieg an sich ad absurdum."

Kasperl kann alles regeln

Ein zentraler Charakterzug dieses Kriegskasperls ist seine unerschütterlich positive Lebenseinstellung: Was immer ihm zustößt - mit Humor und ein bisschen Gewalt kann er letztlich alles regeln. Auch ist er ein großer Freund der leiblichen Genüsse und schafft damit auf der Bühne eine sinnliche Gegenwelt zum kargen Kriegsalltag. Natürlich hat der Kasperl im Krieg auch eine mehr oder weniger ausgeprägte nationalistische und rassistische Seite: So verhöhnt der Oberndorfer Kasperl beispielsweise die Italiener als "Katzeldrucker" (Kombination aus "Katzelmacher" und Drückeberger), und auch andere "Ausländer" kommen nicht ohne Spott davon. "Verglichen mit dem deutschen Kasperl ist der österreichische aber noch relativ zurückhaltend. In den von mir untersuchten deutschen Texten werden die Vertreter der verfeindeten Nationen durchgehend diffamiert", sagt Zechner.

Die Franzosen etwa erheitern das Publikum als lächerlich weibische Feiglinge, die Engländer kommen als unsympathisch-überhebliche Imperialisten daher, und der Russe "Wutki" ist ein Säufer. Farbige Kolonialsoldaten, die im französischen oder englischen Heer kämpften, bekamen die rassistische Keule des Kasperls zu spüren: In den deutschen Texten wurden sie als teils naive, teils verschlagene Wilde und mutmaßliche Kannibalen dargestellt.

Notorischer Gewalttäter

Nicht nur während des Krieges ist der Kasperl ein notorischer Gewalttäter. Das trübt den Spaß aber nicht, denn zu guter Letzt stehen die Zusammengeschlagenen immer wieder auf. In den Stücken, die Kasperl als verheirateten Mann zeigen, bekommt auch seine resolute Frau "Urschel" ihre "wohlverdienten" Abreibungen.

Die Umgangsformen zwischen den Eheleuten sind rüde: Einmal versucht Kasperl, "die alte Schebbern" bei der Metallsammlung für Kriegszwecke abzugeben, während seine Angetraute ihren "Haderlump" einem Hadernsammler andrehen will. Übel ergeht es den Frauen vor allem, wenn sie über den Kriegsdienst der Männer jammern: "Solche Klagen werden mit drastischen Methoden abgestellt, denn sie sind eine Gefahr für die Einstellung der Männer zum Krieg", betont Evelyn Zechner.

Noch um einiges brutaler und umfassender wurde der Kasperl dann von den Nationalsozialisten durch das "Reichsinstitut für Puppenspiel" instrumentalisiert. Verglichen mit dem "braunen Kasperl" erscheint der "feldgraue" des Ersten Weltkriegs trotz seiner kriegsbejahenden Haltung harmlos: "Nicht alle der von mir untersuchten Texte sind rassistisch, auch tritt in keinem davon ein Jude auf", sagt Zechner.

Seine schändlichste Lebensphase hat der Kasperl da noch vor sich, ebenso wie seine knapp danach einsetzende Radikalmutation zum Idol von Dreijährigen. Insgesamt eine heftige Lebensgeschichte, in der sich die großen politischen Strömungen der vergangenen Jahrhunderte deutlich widerspiegeln. (Doris Griesser, DER STANDARD, 27.8.2014)