Bevor Zara Pfeifer zur Sommerakademie nach Salzburg kam, las sie Thomas Bernhards autobiografischen Bericht Im Keller. Eine Entziehung. Bernhard hat eine Lehre in einem Supermarkt in der Scherzhauserfeldsiedlung
in Lehen gemacht und beschreibt in Im Keller immer wieder den essenziellen Moments des „in die entgegengesetzte Richtung“ Gehens, also jenen Moment der Entscheidung, als er auf dem Schulweg innehält, umdreht und zum Arbeitsamt geht. Von seinem Großvater habe Bernhard den Umgang mit Einsamkeit gelernt, scheibt er dort, von seinem Chef im Supermarkt, hingegen den Umgang mit Menschen. Zara Pfeifers Fotoserie "Lehre" (2014), eine Arbeit im Rahmen des Kurses von Tobias Zielony bei der Sommerakademie, begleitet zwei Lehrlinge in Supermärkten - ebenfalls im Stadtteil Lehen.

Foto: Zara Pfeifer

"Boxers" (2014) heißt Alex Golls Fotoserie zum Thema Jugend in Salzburg. Goll schaute sich dafür in lokalen Martial-Arts-Vereinen um. Die Kampfsportvereine seien sehr abgeschottet, erzählt er. Frauen treffe man dort keine. Und auch Deutsch werde in den migrantisch geprägten Sportclubs in der Regel nicht gesprochen.

Foto: Alex Goll

Ähnlich wie Zara Pfeifer interessierten Andrea Boldišová jene Jugendlichen, die statt weiter die Schulbank zu drücken, bereits eine Lehre machen: Ihre Modelle fand Boldišová in der Fahrradwerkstätte, der Tankstelle oder - wie den Zeitungskolporteur - auch unmittelbar auf der Straße.

Weitere Fotoprojekte u.a. von Raphaela Tiefenbacher (rund um den Hauptbahnhof), Karolina Sobel (Flüchtlingshaus), Torsten Pauer (Loretto-Gemeinschaft).

Foto: Andrea Boldisova

Salzburg - Ab nächstem Montag kehrt Salzburg wieder zur Normalität zurück. Ein Alltag, zu dem auch die sich rund um die Getreidegasse stauenden Touristen gehören.
Von "spinnerten Wochen" sprechen die Leute, die hier leben, und meinen damit die Festspiele. Salzburg bekomme zu dieser Zeit ein "anderes Gesicht". Alles richte sich auf dieses Ereignis aus, dem man den "roten Teppich" ausrolle; ja sogar die Auslagen der Schaufenster seien anders als sonst gestaltet. Die Festspiele selbst verhalten sich zu Salzburg jedoch ein wenig so wie ein Schauspieler zu den Bühnenbrettern: Er nutzt sie als Sockel - und nicht als Dialogpartner.

"Man müsste Städte wie Unternehmen begreifen." Das sagte vor genau 30 Jahren Klaus von Dohnányi als regierender Bürgermeister von Hamburg. Es ging vor allem anderen darum, ein investitionsfreundliches Klima für die Wirtschaft zu schaffen. Man glaubte an "Wohlstand für alle" nach dem Prinzip "Geht's der Wirtschaft gut, geht's uns allen gut". Auf den Trickle-down- bzw. Sickereffekt wartet man jedoch vergeblich. In diesem rationalen ökonomischen Verständnis des Urbanen werden Städte zu konkurrierenden Unternehmen.

Kritische Stadtforschung

Sicher, als Politikwissenschaftler Felix Wiegand bei seinem Vortrag bei der Salzburger Sommerakademie an Dohnányi erinnerte, wollte er keinen Vergleich zwischen der Stadt an der Salzach und der Elbmetropole anstellen; trotzdem ist die damals begründete Form des Stadtmarketings inzwischen ein globales Phänomen. Vielmehr lieferte Wiegands Vortrag zu urbanen Entwicklungen zwischen globaler Neoliberalisierung, Wirtschaftskrise und sozialem Protest theoretisches Fundament und inspirierendes Denkgerüst - etwa zum "Recht auf Stadt" (Henri Lefebvre, 1901-1991) -, um sich Salzburg aus der Perspektive der kritischen Stadtforschung nähern zu können. Wann wird auch Salzburgs Zentrum für Normalbürger unbewohnbar, weil unleistbar sein? Wie sehr ist die Stadt durch kapitalistische Prinzipien durchdrungen und bereits Arena neoliberaler Restrukturierungen?

Die Sommerakademie ist zwar so wie die Festspiele ein Sommerevent, doch erscheint der Dialog - nicht nur heuer, mit dem von Hildegund Amanshauser konzipierten Motto "Städte - Räume für Kunst, Politik, Leben ..." - inniger und dadurch auch nachhaltiger. Die Stadt wird zum naheliegenden Thema und zum Material. 2014 erkundete man bei Stadtspaziergängen den Bezirk Lehen, einst städteplanerisches Problemkind mit Überalterung, Leerstand und sozialem wie ethnisch-kulturellem Konfliktpotenzial, suchte die abseitigeren Gassen der Stadt auf oder folgte den das urbane Gefüge strukturierenden Wasserwegen.

Stadt und ihre Wahrnehmung durch Künstler ist auch Thema der Schau Urbanes Sehen (Kuratorin: Bärbel Hartje) im autonomen Kunstraum Periscope in Schallmoos, der noch bis 30. 8. mit Arbeiten von Lehrenden der Sommerakademie (Eva Engelbert, Katrin Hornek, Markus Proschek, Viktoria Schmid u. a.) bespielt wird.

Salzburg-spezifischer wird es ebendort im November. Dann werden die Ergebnisse des vielversprechenden Projekts Frag Salzburg präsentiert: Das Kollektiv Mark will weg von der touristischen Perspektive und stattdessen von den tagein, tagaus hier lebenden Menschen wissen, wo die tollen und die scheußlichen Orte sind - Flecken, die man nicht auf den ersten Blick, manchmal erst nach Jahren findet.

Freilich war auch Kunst im öffentlichen Raum Thema der Sommerakademie. In Salzburg besitzt diese wegen der von der Salzburg Foundation platzierten Arbeiten durchaus Brisanz, handelt es sich doch oft um sogenannte "Drop-Sculptures", also Arbeiten, die unabhängig vom Aufstellungskontext entstanden sind, also im Atelier gefertigt und in Salzburg an repräsentativen Orten quasi "fallengelassen" wurden.

Zum ersten Mal gab es heuer auch eine "Pub Art"-Klasse unter der Leitung von Robert Kusmirowski. Seine Studierenden richteten ihr Hauptquartier im Vogelhaus des Mirabellgartens ein. Die Parkanlage, wichtiges Aushängeschild Salzburgs, machten sie zum Schauplatz ihrer künstlerischen Interventionen, die sich im weitesten Sinn mit Sichtbarkeit beschäftigten.

Dass lokales Marketing allerdings nur den von privaten, kommerziellen Galerien vertretenen und dadurch ungleich bekannteren Künstlern Beachtung schenkt, soll hier als Gedanke im Raum stehen bleiben. Das Stadtmarketing scheint die Sommerakademie, einen paritätisch von Stadt und Land getragenen Kulturbetrieb, jedoch noch immer als einen von Kokoschka begründeten Hort für Maler an der Staffelei anzusehen und auch dementsprechend zu vermitteln.

Dort wird zwar in historischen Gemäuern unterrichtet, sonst ist man ganz Fragen der unmittelbaren Gegenwart verpflichtet: Das bewies zuletzt Ton Matton, ein niederländischer Stadtplaner und Künstler, der am Dienstag humorvoll und anekdotenreich die Vortragsreihe beschloss. Für seine Strategien prägt er den Begriff "performativer Urbanismus": In Mecklenburg-Vorpommern hauchte er etwa gemeinsam mit Anrainern einem ausgestorbenen Stadtkern wieder Leben ein. Geld habe bei dem Projekt Große Potemkinsche Straße in Wittenburg nur eine untergeordnete Rolle gespielt. Und auch Gentrifizierung sei im Grunde nichts Schlechtes, findet er. Böse werde es, wenn man auf die sieben Prozent Rendite spekuliert.

Eine Gentrifizierung von "La Vela" in Neapel ist vermutlich aussichtslos. Der gigantische, futuristisch wirkende Wohnkomplex, ursprünglich als Sozialprojekt geplant, hat sich in sein Gegenteil verkehrt: "Eine uneinnehmbare Burg, eine perfekte Architektur für die Camorra", erzählt Fotograf und Filmer Tobias Zielony im Standard-Interview. 2010 hat er den Gebäudekomplex und die dort lebenden Jugendlichen porträtiert, mit seinen Bildern von Personen und Schauplätzen eine ganze Geschichte erzählt. Man könne dort die Polizei bereits von weitem kommen sehen und jeder, der aus dem Gefängnis heimkehrt, werde mit einem Feuerwerk begrüßt. "Manche Architekten glauben, sie können mit Architektur soziale Strukturen schaffen. Das ist nur sehr graduell möglich."

Zielonys Studierende bei der Sommerakademie widmeten sich dem Thema Jugend, suchten Zugang zu Gruppen, die sie vorher nicht kannten; insbesondere im multikulturellen Lehen, quasi das Ottakring Salzburgs, waren sie viel unterwegs. Ihre Fotos werfen reizvolle Blicke auf die Menschen dieser Stadt: auf Auszubildende und Zeitungskolporteure, auf Jugendliche, die am Bahnhof abhängen, auf Flüchtlinge, die katholische Loretto-Gemeinschaft oder auch migrantisch geprägte Martial-Arts-Vereine. (Anne Katrin Feßler, DER STANDARD, 28.8.2014)