"Wir übertragen unser Wertesystem, obwohl wir es für falsch oder sogar für lebensfeindlich halten, auch auf unsere Kinder": Der Sohn der Autorin nach einem gelungenen Einschlafversuch.

Foto: Steger

Karin Steger, geboren 1968, Studium der Musikwissenschaften und Frauenforschung, arbeitete zunächst als Ö1-Journalistin und -Moderatorin, jetzt als Stimm-und Sprechtrainerin. Ihr Buch "Hättest halt kein Kind gekriegt - Auf der Suche nach mütterlicher Identität in der Leistungsgesellschaft" ist soeben bei Orac erschienen.

Foto: Orac Verlag

Der letzte Sommervollmond war riesig. Als großer, weißer Hauch war er schon am Tag unübersehbar, und ein paar Stunden später stand er rotleuchtend am Himmel. Er war kugelrund. Es waren ängstliche Rufe, die von nebenan aus dem Kinderzimmer kamen. Mein vierjähriger Sohn erzählte mit Schaudern, er hätte gerade von der Hexe Wackelzahn geträumt. Ich legte mich zu ihm, damit er sich wieder beruhigen konnte, und zog die sanftesten Register, um möglichst tröstend zu wirken, da sprach er folgenden Satz in die Dunkelheit: Es ist heute sooo viel drin in meinem Schlaafgehirn!

Mein Kind hatte das Problem dieser schlaflosen Nacht in einen einfachen Satz gepackt. Indem er es ausgesprochen hatte, war es aber von ihm abgefallen wie eine unnötige Last. Die Anstrengung des Denkenmüssens war endlich vorüber, zwei Minuten später konnte ich ihn leise schnarchen hören. Es hat ziemlich lange gedauert, bis auch ich wieder abschalten konnte, ich war wie durchflutet von einem pulsierenden Licht. Es war die Unmittelbarkeit der kindlichen Sprache, die mir so helle Freude bereitete.

Zärtliche Momente

Manche Sätze berühren mich wie eine unerwartete Liebkosung, sie rieseln förmlich in mich hinein. Nicht ihre Wahrheit, sondern ihre Wahrhaftigkeit macht den Unterschied aus. Mit Sätzen ist es wie mit Liebesbeziehungen. Sie schenken mir zärtliche Momente und lassen mich das Gefühl von Verbundenheit erleben. Sätze können mich aber auch von einem Moment auf den anderen verunsichern. Und sie verletzen mich manchmal mit voller Wucht. Eine zufällige Satzbekanntschaft hat mich vor einigen Jahren beschäftigt:Eine Gesellschaft, die ihre Kinder nicht liebt, wird barbarisch. Wenn dieser Satz hervorkroch, machte er mir Angst. Ich war damals alleinerziehende Mutter. In jener Zeit bewegte ich mich langsam auf meine eigene Erschöpfungsgrenze zu, und ich spürte, wie dieser Satz an mir klebte.

Ein paar Jahre später fand ich mich wieder in einer gelingenden Beziehung. Verliebtheit und Mutterrolle wollten gleichermaßen einen Platz in meinem Leben finden. Mein Liebster und ich waren auf der Suche nach einem gangbaren Weg: Wir hatten entschieden, dass wir zusammenleben wollten. Unsere Verhandlungen über die Familienarbeit, über die Zeiten der Anwesenheit in der Familie und über individuelle Freiräume wurden zu einer großen Herausforderung. Irgendwann, in einer hitzigen Debatte, explodierte ein Satz, der mich bis in mein Mark erschüttern sollte: Dann hättest halt kein Kind gekriegt!

Ich war zunächst einmal sprachlos. Verstummt. Als ich wieder zu mir kam, hatte ich das Gefühl, dass ich diesen Satz bereits hunderte Male gehört hatte. Mein Freund hatte in unserem Streit etwas ausgesprochen, das normalerweise niemand in dieser Direktheit zu mir sagen würde; aber in meinem Leben als Mutter hatte dieser Satz bis dahin schon seit Jahren den Ton angegeben. Die mächtige Grundhaltung, aus der er seine Kraft geschöpft hat, hatte mich nämlich längst fest im Griff. Da half es auch nichts, dass ich mich selbst für emanzipiert hielt, für gut ausgebildet und sogar für relativ privilegiert.

Was schwingt in diesem Satz mit? Es klingt wie "Hör auf, dich zu beklagen!" "Das hättest du dir eben vorher überlegen sollen, ob du ein Kind haben willst ... oder ein angenehmes Leben." "Das weiß doch jeder, dass man als Mutter nicht einmal halb so viel verdient wie davor." Ich habe mich gefragt, wie es passieren konnte, dass dieser Satz jetzt mit mir in meinem eigenen Bett liegt? Dieser Sager hatte alles auf den Kopf gestellt, und ich kam lange aus dem Grübeln nicht heraus.

Als ich in Gesprächen mit Freundinnen nach Erklärungen suchte, kam ich mir vor wie in einem Spiegelkabinett. All jene, die Mütter waren, erzählten mehr oder weniger dieselbe Geschichte: Eine jede von uns hatte sich jahrelang aufgerieben im täglichen Hin und Her zwischen Familie und Beruf, wollte überall punkten und hatte doch immer das Gefühl, nirgendwo ausreichend präsent zu sein. Wir klagten gemeinsam über das ständige Hetzen, und dann auch über unsere Enttäuschung, weil wir immer wieder berufliche Chancen aus Zeitmangel ablehnen mussten. Wenn wir zwischendurch manchmal daran dachten, was wir ohne unsere Kinder verdienen würden und welche Pension wir dann später einmal bekämen, konnten wir alle ziemlich wütend werden. Und am Ende der Diskussionen stellte sich immer wieder ein Gefühl von Ohnmacht ein.

Bei längeren Gesprächen offenbarte sich auch oft ein schlechtes Gewissen, weil wir dieses Wertesystem einerseits selbst längst für falsch und sogar lebensfeindlich hielten, es aber gleichzeitig, indem wir so lebten, auch auf unsere Kinder übertrugen. Das tägliche schnelle Frühstück, und dann husch, husch in den Kindergarten. Immer höflich sein, freundlich, und immer flott alle Aufgaben erledigen, auch wenn die eigenen Interessen und Fähigkeiten sich ganz woanders hin sehnen. Uns wurde immer klarer, dass wir mit unseren Kindern genauso umgingen wie mit uns selbst.

Der Neurobiologe Gerald Hüther hat mir ein E-Mail geschrieben: "Kinder haben in unserer gegenwärtigen Zeit keine eigene Bedeutung. Im individuellen Bewusstsein nicht und auch nicht im sozialen. Deshalb werden sie mit dem, was sie in sich tragen, auch nicht gesehen, sondern zu Objekten gemacht: Sie werden erzogen, gebildet, bewertet, verwaltet." Daher sei es gut, wenn ich auf dieses Problem hinweise.

Ich kannte zunächst noch keine Strategie, die mich hinwegtrösten konnte über das Gefühl, marginalisiert worden zu sein, und landete in einer veritablen Burnout- Krise. Mein Leben als Mutter war scheinbar voller äußerer Widerstände; aber je länger ich mich mit der ganzen Misere beschäftigte, desto mehr hat sich meine Aufmerksamkeit von außen nach innen verlegt. Als ich mich auf die Suche nach meinen eigenen, inneren Bildern zum Thema Mutterschaft begab, musste ich feststellen: Da war vor allem ein Vakuum.

Ein leerer Raum

Es gab nichts, was mir Kraft verleihen hätte können. Wie die meisten Frauen meiner Generation wollte ich als Mutter jedenfalls "anders" sein als die Frauen früherer Zeiten. Aber "anders" war noch lange kein Leitfaden, an dem ich mich orientieren hätte können. Da war also ein leerer Raum, der in Zukunft meine eigene mütterliche Identität beherbergen sollte; und diesen Raum galt es, mit Leben zu füllen. Mit möglichst kraftvollen Figuren. Erst jetzt begann ich wahrzunehmen (und staunte darüber), dass in mir dieselben abwertenden Denkmuster verankert waren, wie ich sie in meinem Umfeld beklagte.

Unsere Sprache zeigt sehr genau auf, was ich meine: Wow! Du siehst gut aus! Überhaupt nicht wie eine Mutter! Diese aufmunternde Nachricht bekam ich zugesandt, nachdem ich einer Freundin per Handy ein Mama-mit-Baby-Foto geschickt hatte. Dass meine Freundin selbst vierfache Mutter ist, machte die Nachricht noch um Vieles verwirrender.

Oder noch plakativer: Du bist schon fast wie deine eigene Mutter! Solche Sätze machen mich unrund. Was genau wäre so schlimm daran, wie meine eigene Mutter zu werden? Dieser Satz perpetuiert vor allem die mangelnde Anerkennung, und ich möchte nicht, dass meine Tochter später einmal so über mich spricht. Anerkennung war für mich auf meiner Suche nach mütterlicher Identität ein Zauberwort. Es bedeutet, gesehen zu werden und geschätzt; gelobt und als Mutter geliebt. Es würde aber auch bedeuten, dass man eine echte finanzielle Absicherung genießt, eine gute Bezahlung, ein hohes soziales Ansehen und die Aussicht auf eine vernünftige Pension.

In diesem Moment zischt ein kleiner Superheld mit Schwimmbrille im Gesicht durch unser Wohnzimmer, er breitet seine Arme aus zum Gleitflug und ruft dabei laut: "Ich heiße Bättmänn!" Plötzlich hält er inne, er schaut fragend zu mir auf und erklärt mir mit hochgezogenen Schultern: "Na ... weil ... ich schlaaf schon ... in meinem eigenen Bäätt!"

Ich möchte Zeit mit meinen Kindern verbringen, genau so viel wie mein Partner. Ich will die Glücksmomente und die wichtigen Dinge im Leben nicht versäumen. Aber für ein freieres Leben von Eltern mit Kindern braucht es andere Rahmenbedingungen in unserem Wirtschaftssystem. In unser Badezimmer hat sich derweil bedrucktes Klopapier verirrt.

Da hängt es, und auch wenn ich gerade gar nichts Philosophisches im Sinn hatte, das Sitzen wird mit diesem Papier in der Hand zur Meditation. Mein Blick fällt auf den Streifen, ich lese: Das Leben und die Liebe ehren / das wollen wir euch eben lehren. Na bitte, es geht ja. Ich möchte mich sehr herzlich bei Johann Wolfgang, bei Friedrich oder bei wer weiß wem für diese Wichtigstellung bedanken! Vielleicht könnten wir diese Meditationshilfe auch in den Entspannungsräumen der Wirtschaftskammer verteilen? In den Pissoirs sämtlicher multinationaler Konzerne? Und dann vielleicht auch noch im Parlament? (Karin Steger, DER STANDARD, 30.8.2014)