Auch wenn ich oft über Transgender-spezifische Troubles schreibe, um diese oftmals nicht zufälligen, sondern gesellschaftlich verankerten Missstände zu veranschaulichen: Nein, Trans*Sein ist absolut nicht nur mit unangenehmen Auseinandersetzungen verbunden. Ein Junge zu sein, der wie ein Mädchen aussieht (und auch lange Zeit mit dieser Zuschreibung gelebt hat), hat mich ja immerhin schon oft in Situationen gebracht, über die ich innerlich schmunzeln musste – besonders, wenn sich mit meinem "Geschlecht“ auch meine Rolle plötzlich änderte.

Vom Freiwild zum Kumpel

So saß ich zum Beispiel vor einiger Zeit allein in einem Beisl, ursprünglich um ein Buch zu lesen. Schon bald setzte sich allerdings ein Typ zu mir und fing an, mit mir zu quatschen, fragte, was ich denn da lesen würde, und so weiter. Von der Zeit als "Frau“ kannte ich dieses spezifische Szenario noch: Der (Hetero-)Typ war nicht so sehr am Buch interessiert – er war dabei, mich anzumachen.

"Oh no“, dachte ich zwar, amüsierte mich jedoch erst mal ein bisschen darüber, klärte ihn dann aber bald bei einer günstigen Gelegenheit auf. "Ach, du bist eigentlich ein Junge!“, rief er zu meinem Erstaunen etwas erfreut. Denn mein plötzlicher Rollenwechsel kam ihm gelegener, als ich erwartet hätte. Sofort änderte er seinen Ton und seine Gestik mir gegenüber: "Ja, dann lass uns doch gemeinsam auf Aufriss gehen!“, sagte er mit einem Schulterklopfen, von dessen Wucht ich ebenfalls etwas überrascht war und das ich als männliche entschuldigende Geste für die Missdeutung meiner Männlichkeit interpretierte.

Mir wurde klar, dass der Typ ja jetzt auch mein Allein-in-einem-Beisl-Sitzen anders deutete: Als "Frau“ muss ich nach dieser Deutungslogik hier gesessen sein, um angemacht zu werden, oder war zumindest dieser Idee nicht abgeneigt. Als Mann war ich hingegen als einsamer Wolf hier, vielleicht auch um jemanden anzumachen, jedenfalls dieser Idee nicht abgeneigt. Der Typ sah mich somit zwar nicht mehr als potenzielles Ziel seiner Jagd, dafür aber als gleichgesinnten Kumpel, mit dem er gemeinsam nach solchen potenziellen Zielen jagen konnte.

Foto: Mike

Er schlug sofort vor, uns jetzt, da wir zu zweit waren, an den Tisch zu setzen, den er schon seit längerem im Blick gehabt haben muss. Natürlich saßen dort zwei Frauen (oder Menschen, die ich als weiblich gelesen habe). "Los, komm, du spielst meinen jüngeren Bruder!“, versuchte er mich zu überreden. "Oh no“, dachte ich wieder, diesmal etwas überforderter. Ich überlegte kurz, ob ich die "Bereits vergeben“- oder doch lieber die "Bin schwul“-Karte ziehen sollte, um da wieder rauszukommen.

Doch da fiel mir auf, dass das genau dem Verhalten entsprechen würde, dem ich vor Jahren, als ich noch als Mädchen gelebt hatte, abgeschworen hatte: Da wäre es mir auch leichter gefallen, mich von der Zielscheibe einer nicht willkommenen Anmache durch Typen zu befreien, indem ich gesagt hätte, ich wäre bereits vergeben bzw. würde prinzipiell nicht auf Typen stehen. Beides wäre nur eine Ausrede gewesen für ein eigentliches "Ich will nicht“, was schwerer zu äußern war, denn es hätte als unfreundlich gedeutet werden und jemandem Unwohlsein bereiten können; und als Mädchen lernt frau schließlich, freundlich zu sein und immer zu lächeln. Da ich mich damals jedoch nicht mehr auf diese Art dem Wohlbefinden eines anderen unterordnen wollte, hatte ich eigentlich beschlossen, auf solche Ausreden zu verzichten.

Zwei Seiten eines ungleichen Verhältnisses

"Lass mal“, sagte ich also, meinem früheren Beispiel folgend, zu meinem neuen Kumpel. Dieser mag zwar enttäuscht gewesen sein, setzte jedoch nicht einmal an, meine Entscheidung zu hinterfragen im Sinne von "Geh, wieso denn nicht?“, "Was hast' denn dagegen?“, "Hast du etwa schlechte Erfahrungen gemacht?“ oder Ähnlichem, was ich öfters zu hören bekam, wenn ich als Frau "Nein“ gesagt hatte und nicht auf eine Anmache angesprungen war.

Auch wenn mich die Selbstverständlichkeit und der Respekt, mit denen mir in meiner Entscheidung begegnet wurde, positiv überraschten: Ich ärgerte mich natürlich, dass mir diese nur zustanden, weil ich jetzt auf der privilegierten Seite in der Geschlechterhierarchie stehe. Ich hätte diesen Respekt dabei auch gern vor ein paar Jahren gehabt, als ich mich noch auf der anderen Seite dieses ungleichen Verhältnisses befunden hatte.

Also nein, Trans*(männlich-)Sein ist absolut nicht nur mit lästigen Auseinandersetzungen verbunden. In diesem Fall gab es gar keine nach außen sichtbare Auseinandersetzung. Ich kann mir durchaus vorstellen, dass die Situation für eine Frau an meiner Stelle weitaus ungemütlicher und anstrengender gewesen wäre – zumindest ging es eben mir manchmal so, als ich noch "als Frau“ an meiner Stelle gewesen war. Als Mann kam ich nun hingegen mit einem weiteren Schulterklopfen und einer kumpelhaften Einladung auf ein Bier davon. (Mike, dieStandard.at, 8.9.2014)