Liesl Müller Johnson: "Rosl und ihre Tochter. Leben und Kabarett zwischen 1914 und 1936. Die Autobiografie von Liesl Müller-Johnson aus dem Englischen neu gefasst und ergänzt von Monika Mertl." Milena Verlag 2014

Foto: Milena Verlag

"Sie war ein Naturtalent und gab sich damit zufrieden", sagt Liesl Müller-Johnson über ihre Mutter, die jüdische Sängerin und Kabarettistin Rosl Berndt, an einer Stelle ihrer Biografie. Damit wird deutlich, dass sie ihr, dem gefeierten Kinderstar auf den Bühnen des internationalen Kabaretts, durchaus kritisch gegenüberstand. "Sie war faul", wird Liesl an anderer Stelle noch deutlicher. Trotzdem gelang Rosl Berndt, aus einfachsten Verhältnissen in der Wiener Leopoldstadt stammend, eine Bilderbuchkarriere.

Eine der Qualitäten dieses Buches ist es, dass nicht bloß diese eine, sondern gleich drei Biografien erzählt werden. Die von Rosl Berndt, die ihrer Tochter, aber auch jene ihrer Mutter, der Analphabetin Bronja Dunkelblau, die sich 1890 aus Galizien nach Wien durchschlägt und mit nichts in der Tasche als Hausbesorgerin in der Weintraubengasse 8 eine neue Existenz beginnt.

Die kleine Rosa

Bronjas 1903 geborene Tochter, die sie sehr bald allein aufziehen muss – der Vater flieht wegen Spielschulden in die USA – wird aus der Ballettschule weg ins Carltheater engagiert und feiert als "Kleine Rosa" in der untergehenden Donaumonarchie erste Erfolge. Das Besondere an der Erzählung ist, dass sie aus zwei verschiedenen Perspektiven vorgetragen wird: Einmal aus der persönlichen Sicht von Liesl und einmal auf der gleichsam reflektierenden Ebene der Theaterwissenschafterin Monika Mertl, die die teils sehr detailreichen Schilderungen auch historisch einordnet.

So spannt das Buch anhand der Lebenswege dreier sehr unterschiedlicher Frauen einer Familie den Bogen über mehr als ein Jahrhundert. Von der großteils jüdisch geprägten Mazzesinsel der Jahrhundertwende mit ihren Bassenawohnungen, Handwerksbetrieben, aber auch Kaffeehäusern und Künstlerkolonien wie jener um das "Carltheater" am oberen Ende der Weintraubengasse, über die Jahre des Krieges und der Emigration bis fast in die Gegenwart.

Im Simpl gefeiert

Rosl Berndt heiratet Karl Müller, den Kurzzeitbesitzer des Kabaretts Simpl, mit ihm gelingt ihr der Übergang vom Kinderstar zur Erwachsenenkarriere, die sie nach ihrer Scheidung teils am Tuschinski in Amsterdam fortsetzt. 1922 wird ihre Tochter Liesl geboren, die aufgrund der beruflichen Verpflichtungen ihrer Mutter mehrheitlich bei der Großmutter in Wien aufwächst. Wie diese Lebensphase durch einen Unfall jäh unterbrochen wird, ist auch eine literarisch geglückte Stelle des Buches.

Bis 1931 besucht Liesl die Odenwaldschule in Deutschland, die heute durch sexuelle Missbrauchsfälle in den Medien aufscheint, damals jedoch Vorzeigeinternat der Reformpädagogik war. Dann kehrt sie nach Wien zurück und besucht in den frühen 30er-Jahren ein Hietzinger Mädchenpensionat, all dies vor dem Hintergrund des beginnenden Austrofaschismus. Es ist eine weitere Qualität dieses Buches, dass das individuelle Leben mit seinen Höhen und Tiefen immer vor dem Panorama der Zeitgeschichte erzählt wird und so über sich selbst hinaus auf ein Allgemeines verweist.

Die Welt Rosl Berndts ist bis zum Kriegsausbruch von Glanz und Glamour geprägt, Berndt arbeitet mit Fritz Grünbaum, Karl Farkas und Hans Moser. Auch in der Wirtschaftskrise bleibt sie von materieller Not unberührt . 1936 verlässt sie Wien mit ihrem späteren Mann, dem rumänischen Industriellen Dinu Buhlea, und zieht nach Bukarest, wo sie den Krieg in relativer Sicherheit übersteht.

Triumphaler Empfang

Liesl wird im März 1938 bei einem Besuch in Wien "Zeugin des triumphalen Empfanges, den die Wiener Hitler bereiten", auch sie lebt zu diesem Zeitpunkt bereits in Bukarest. Spätestens als Rumänien im November 1940 auf Seiten Nazideutschlands in den Krieg eintritt, wird auch im deutschen Gymnasium in Bukarest der Antisemitismus deutlich spürbar, Liesl soll einen Ariernachweis erbringen, was sie nicht kann. Den Beziehungen der Familie ihres Stiefvaters ist es wohl zu verdanken, dass sie den Krieg unbeschadet übersteht.

Nach der Konferenz von Jalta im Februar 1945 sitzt die Familie in Rumänien fest, Liesl gelingt 1947 die Ausreise nach England, sie heiratet einen Briten. Erst 1960 schafft sie es, ihre Mutter dorthin nachzuholen. Eine Fortsetzung ihrer Vorkriegskarriere gelingt Rosl Berndt nicht mehr, sie steht 1963 noch einmal auf der Bühne des Raimundtheaters in Wien, aber das Stück fällt durch. 1996 stirbt sie 93-jährig in England.

Liesl Müller-Johnson macht sich in den 60er- und 70er-Jahren um ein damals völlig neues Konzept von Sprachreisen verdient und bringt mit ihrer Elisabeth Johnson Organisation bis zur Jahrtausendwende eine Viertelmillion Studierende aus aller Welt nach England. Das Buch feiert sie zu Recht als "Europäerin im Dienst der Verständigung", ihr stets "aktiver Umgang mit Erinnerung" erfährt die verdiente Würdigung. (Tanja Paar, dieStandard.at, 17.9.2014)