Marlene Streeruwitz: "Ich dachte immer, Männer wissen es, und ich weiß es nicht."

Foto: Philipp Horak

Ich glaube nicht, dass ein Mann so schreiben würde wie du, Marlene", sagte Elfriede Jelinek einmal zu Marlene Streeruwitz. "Das ist ja auch mein Ziel", antwortete diese. "Es geht mir darum, für das, was bisher nicht gesagt werden konnte, einen Ausdruck zu finden." Für Streeruwitz ist Schreiben eine Form des Sichtbarmachens, ein "auf Wahrheit drängen".

Marlene Streeruwitz, 1950 als Tochter eines ÖVP-Politikers in Baden bei Wien geboren, wächst in einer katholischen "Kleinstadtatmosphäre" auf, in der es nicht selbstverständlich ist, dass Frauen "die Welt erobern". Sie liest im Strandbad "Die Zeit", rezipiert Virginia Woolf, George Elliot, William Faulkner und Friederike Mayröcker. Die Erklärungsnot gegenüber dem Vater und den zwei älteren Brüdern beschreibt sie als groß. "Ich dachte immer, Männer wissen es, und ich weiß es nicht. Zwischen zehn und zwanzig merkte ich langsam, dass ich es weiß, und sie nicht." Als 20-Jährige studiert Streeruwitz Slawistik und Kunstgeschichte. Ihren ersten Text - ein Hörspiel - veröffentlicht sie mit 36 Jahren, ihrer selbst schon "ziemlich sicher".

Es folgen Theaterstücke, Novellen, Romane. Streeruwitz beschreibt triviale Existenzen in kurzen, prägnanten Sätzen, weil die Sprache "reißt, zerflattert, zersiebt" an dem Anspruch, "alles sagen zu wollen". Ihre Worte treffen wie Pfeile, immer wieder flammt Empörung auf. Sie erzählt ihre Geschichten bewusst aus Frauensicht, um diese Perspektive in die Gesellschaft zu reklamieren: "Ich schreibe feministisch", sagt Streeruwitz. Feministisch heißt für sie, ein "Ich" herzustellen.

Rebellinnen

Ihre Protagonistinnen sind meist jung, zweifelnd und kämpfen in der einen oder anderen Weise gegen gesellschaftliche Regelsysteme an, sind Rebellinnen - wie Streeruwitz selbst. Mit Die Schmerzmacherin (2011) stand die Autorin auf der Shortlist des deutschen Buchpreises, in ihrem jüngsten Roman Nachkommen (2014) mokiert sie sich über die Literaturszene: Das Buch der Jungautorin Nelia Fehn, Hauptfigur in Streeruwitz' Roman, befindet sich gerade auf der Shortlist für einen Buchpreis, den sie dann nicht gewinnt.

Erstmals in Kreuzungen (2008) erforscht Streeruwitz die Sicht eines Mannes, eines mächtigen Mannes. Weil sie der Frage nachgehen will, "wie materielle Macht gelebt wird". Die Folie für ihren Protagonisten Max: Frankreichs damaliger Präsident Nicolas Sarkozy.

Für Streeruwitz ist der Roman ein politisches Medium - und jede Politik immer auch Geschlechterpolitik. In einem Interview sagt sie, sie bereue es manchmal, dass sie ihre Fähigkeiten nicht dazu genutzt habe, eine Karriere in der Wirtschaft zu machen und an Macht zu kommen, denn: "Die Frauen müssen ans Geld."

In Essays kritisiert Streeruwitz die Occupy-Bewegung, H.-C. Strache, die Probleme der Frauen am Arbeitsmarkt, die Wehrpflicht, schreibt "aus Wut gegen all die Ungerechtigkeiten an". Und nutzt massenmediale Bühnen: "Ich glaube, dass es gut ist, da zu veröffentlichen, wo die Leute sind, die es angeht". Im Standard kommentiert Marlene Streeruwitz im vergangenen Juli geschlechtergerechte Sprache: "Ich bleibe gerne bei der einfachen Benennung des Geschlechts: also Frau Streeruwitz und Mann Liessmann", formuliert sie als Antwort an den Philosophen Paul Liessmann, der eine Petition gegen das Binnen-I unterschrieben hatte. "Aber wenn die Männer Herren bleiben wollen, dann bestehe ich auf dem Gleichheitsgrundsatz und will mit Dame angeredet werden." (Lisa Breit, DER STANDARD, 20.9.2014)