Margarethe Ottillinger war bei ihrer Verhaftung keine 30 Jahre alt.

Foto: Privatarchiv Margarethe Ottillinger

Am 5. November 1948 nahm das Leben der Margarethe Ottillinger eine unvorhergesehene Wendung. Beim Übertritt in die sowjetische Zone bei der oberösterreichischen Ennsbrücke wurde sie von russischen Soldaten verhaftet und später in Lager in der Sowjetunion verbannt. Erst 1955, anlässlich einer größeren Amnestie zum Staatsvertrag, wurde sie aus der Haft entlassen und konnte nach Österreich zurückkehren.

Margarethe Ottillinger war bei ihrer Verhaftung keine 30 Jahre alt und hatte eine spektakuläre Karriere gemacht. Aus kleinen Verhältnissen in Niederösterreich kommend, hatte sie Ökonomie studiert, den Doktor gemacht und war zur Sektionsleiterin im Ministerium für Vermögensbildung und Wirtschaftsplanung aufgestiegen. In dem Wagen, aus dem heraus man sie verhaftete, saß niemand Geringerer als ihr oberster Chef, Minister Peter Krauland. Dieser Mann, von dem ausgegangen wird, dass ihn damals ein Verhältnis mit Ottillinger verband, legte gegen ihre Verhaftung keinen Protest ein. Vielmehr setzte er die Rückreise nach Wien einfach fort.

Krauland (1903 bis 1985) dürfte bei den Hintergründen zu Ottillingers Verhaftung eine bis heute nicht völlig geklärte Rolle gespielt haben. Die beruflich bedingte tiefe Kenntnis der Spitzenbeamtin rund um die Pläne zum Wirtschaftsaufbau Österreichs sowie die Einsicht in die von der Sowjetunion beschlagnahmten ("Usia"-)Betriebe machten sie zur unbequemen Mitwisserin, und zwar sowohl für die Russen als auch für Krauland (ÖVP), der wenig später im Mittelpunkt des ersten großen Korruptionsskandals der jungen österreichischen Republik stehen sollte.

Noch in Baden, in einem russischen Gefängnis, wurde versucht, Ottillinger ein Geständnis abzupressen. Sie habe mit dem US-Geheimdienst kooperiert, lautete der Vorwurf. Da sie sich weigerte, ein solches Papier zu unterschreiben, wurde sie zu 25 Jahren Lager in der Sowjetunion verurteilt.

Ottillinger machte in den sieben Jahren Haft eine tiefe Wandlung durch. Sie legte ihren bis dahin überschäumenden Ehrgeiz ab, erklärte sie später in einem Interview. Im Lager lernte sie den einfachen russischen Menschen kennen und schätzen - aber auch die erbarmungslose Hackordnung eines Gefängnisses. Sie lernte die Sprache, sodass sie an die Behörden Petitionen richten konnte. Die tiefe Religiosität, die sich bis zu ihrem Tod 1992 noch verstärkte, wurzelt in dieser Zeit.

Zurückgekommen war sie gesundheitlich angeschlagen und wohl auch von den politischen Vertretern mit ihrem überschäumenden Nachkriegsoptimismus desillusioniert. In Bundeskanzler Julius Raab (ÖVP) fand sie einen Fürsprecher, der ihr einen Job bei der Österreichischen Mineralölverwaltung verschaffte, schreibt Ingeborg Schödl in ihrem Buch "Im Fadenkreuz der Macht - Das außergewöhnliche Leben der Margarethe Ottillinger" (Czernin-Verlag).

Schnell stieg sie dort auf. Schon Ende 1957 wurde sie Vorstandsdirektorin und bekleidete die Position bis 1982. Das Bonmot "In der ÖMV war der einzige Mann eine Frau" stammt aus der Zeit. (Johanna Ruzicka, DER STANDARD, 22.9.2014)