Ein Mittwochabend in Point Pleasant, New Jersey. Die letzten Fischerboote des Tages fahren ein in den Hafen des 18.000-Einwohner-Kaffs, 100 Kilometer südlich von Manhattan. Auf der Terrasse der Wharfside Patio Bar trinken Menschen in hemdsärmeliger Manier Bier aus Plastikbechern, essen frittierte Shrimps von Papptellern. Jeder Tisch ist belegt - macht aber nichts. Spätestens wenn die B Street Band zu spielen beginnt, wird man ohnehin aufstehen und mitsingen. Songs wie "Thunder Road", "Born to Run" oder "Badlands". In New Jersey, der Heimat von Bruce Springsteen, kennt man die Texte. Eine ganze Generation ist damit aufgewachsen. "Born to Run" war sogar als offizielle Hymne des Bundesstaats im Gespräch.

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Am 23. September 1949 wurde Bruce Springsteen in Long Branch in New Jersey geboren. Aufgewachsen ist er in einfachen Verhältnissen.
Foto: AP Photo/Susan Walsh

Der am 23. September 1949 in Long Branch geborene Springsteen ist in 40 Jahren mit seiner Musik zum Helden dieser Jersey-Hemdsärmeligkeit geworden. In einfachen Verhältnissen aufgewachsen, wirkt er auch als Multimillionär noch authentisch. Man nimmt ihm die Lieder über das Leiden der Arbeiterklasse irgendwie ab. Der "Boss", der diesen Namen bekam, weil er die Gagen an seine Bandmitglieder immer in bar auszahlte, ist auch im Wortsinn bodenständig: Die meiste Zeit verbrachte er tatsächlich auf New-Jersey-Boden, davon erzählt er in seinen Liedern.

Parallelstraßen

Coverbands wie die B Street Band - der Name ist eine Anspielung an Springsteens E Street Band - gibt es hier sonder Zahl. Sie spielen die Küste rauf und runter, von Atlantic City über Toms River bis Belmar. Die Gruppe an jenem Mittwochabend hebt sich aber von den anderen ab: Im Set sitzt Vini "Mad Dog" Lopez am Schlagzeug und spielt die Springsteen-Songs der frühen 1970er-Jahre. Zu dieser Zeit war Lopez der Drummer vom Boss. Nach seinem Auftritt bestellt er - Mitte 60, grauer Pferdeschwanz - wie alle anderen ein Bier an der Bar und wirkt ein wenig überrascht, dass man ihn noch erkennt.

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Dass der Ort 2012 von Hurricane Sandy verwüstet wurde, merkt man erst auf den zweiten Blick: Die Holzplanken der Strandpromenade sind neu.

Das Epizentrum von Springsteens Schaffen liegt 25 Autominuten von Point Pleasant entfernt, in Asbury Park. Dass der Ort 2012 von Hurricane Sandy verwüstet wurde, merkt man erst auf den zweiten Blick: Die Holzplanken der Strandpromenade sind neu, ebenso die Pflanzen neben der kleinen Hütte mit dem riesigen aufgemalten Auge: Madame Marie’s Temple of Knowledge. Springsteen hat die mittlerweile verstorbene Wahrsagerin im Song "Fourth of July, Asbury Park" verewigt, einer Hymne auf das Leben an diesem Strand. Seither kommen Springsteen-Fans, um hier einen Blick in die Zukunft werfen zu lassen oder Fotos zu machen - von der Nachfolgerin Madame Maries.

Grüße aus Asbury Park

Die Shops am Strand bieten die üblichen Souvenirs: Muschelschmuck und Strandtaschen. Dazwischen die einzige echte Springsteen-Devotionalie: die Postkarte mit "Greetings from Asbury Park, N.J.", die der Boss als Cover für sein allererstes, gleichnamiges Album aus dem Jahr 1973 verwendete. Unübersehbar auch das Grinsegesicht, das einem hier überall von Aufklebern entgegenlacht: Tillie, das inoffizielle Maskottchen des Orts. Es zierte früher die Spielhalle Palace Amusements, bis diese vor zehn Jahren abgerissen wurde. Springsteen hat an Tillie aber einen Narren gefressen, ließ das Original retten und in ein Lager legen. Eine kleinere Version von Tillie grinst heute von der Wonder Bar an der Ocean Avenue.

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Diese Postkarte verwendete Bruce Springsteen als Cover und Titel für sein erstes Album aus dem Jahr 1973.

Die Straße runter liegt Asbury Parks berühmtester Club: das Stone Pony. Springsteen ist dort rund einhundertmal aufgetreten und hat seine Frau Patti Scialfa in diesem Club kennengelernt. Davor hatte Springsteen ein paar Ecken weiter serienweise Auftritte im Upstage Club und im Student Prince. Beide Lokale existieren nicht mehr. Geblieben ist nur die oft erzählte Geschichte von jener Nacht, in der Clarence Clemons, bis zu seinem Tod im Jahr 2011 Springsteens Saxofonist, von der Wonder Bar zum Student Prince hinüberspazierte, um das erste Mal mit dem Boss zu spielen. Dafür fiel er gleich einmal mit der Tür ins Haus - er hob sie beim Eintreten aus den Angeln.

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Unübersehbar auch das Grinsegesicht, das einem hier überall von Aufklebern entgegenlacht: Tillie, das inoffizielle Maskottchen des Orts. Eine kleinere Version von Tillie grinst heute von der Wonder Bar an der Ocean Avenue.

Asbury Park wird so intensiv mit Springsteen in Verbindung gebracht, dass man vergisst, wo er eigentlich aufwuchs: in Freehold, 30 Autominuten landeinwärts. Sein erstes Zuhause ist einem Parkplatz gewichen. Das zweite in der Institute Street kann nur von außen besichtigt werden, ebenso das dritte in der South Street. Hierherzukommen lohnt sich also nicht, um Springsteen näherzukommen. Aber es zahlt sich aus, um Songs wie My Hometown vom Album Born in the U.S.A. besser zu verstehen.

An der Main Street liegt Federici’s, seit Jahrzehnten Springsteens Stammpizzeria. Kein Nobelschuppen, ein einfaches Lokal mit 93-jähriger Geschichte. Der Andrang ist groß. Die Kellnerin kennt fast alle Gäste beim Namen, nur wenige kommen in der Hoffnung, der Boss könnte vorbeischauen. Dabei ist Springsteen seiner Heimatstadt treu geblieben: Bis auf ein Kalifornien-Intermezzo in den 1990ern hat er immer in New Jersey und rund um Asbury Park gelebt. (Emily Walton, Rondo, DER STANDARD, 26.9.2014)