Die Autorin Hilde Spiel und ihre junge Enkelin Anna Mendelssohn als unterstützendes Bild für Mendelssohns Tanzquartier-Performance "Ein Herbst, eine Jugend".

Foto: Anna Mendelssohn

Wien - Der Wiener Künstler und Regisseur Thomas Jelinek hat Sinn für Humor. Volksgarten, der strahlend helle Theseustempel am Wochenende. Treffpunkt für den Performanceparcours zur Saisoneröffnung des Tanzquartier Wien. Menschen stehen da. Sie alle halten weiße Hasenkopf-Luftballons, auf dem das Wort ANGST zu lesen ist. Jelineks Idee, heißt es.

In den zum Kunsthistorischen Museum gehörenden Tempel hat der Keramikkünstler und Autor Edmund de Waal eine Installation gebaut: zwei weiße Wandregale, in die weiße Becher gestellt sind. Die Becher wirken wie Zeilen, das Ganze wie ein in zwei Spalten gedrucktes Gedicht. Lichtzwang, nach einem Gedicht von Paul Celan, heißt diese Arbeit (sie ist noch bis 5. Oktober zu sehen).

Einiges Kunst-Licht also brachte der von fünf österreichischen Künstlerinnen und Künstlern gestaltete Parcours in die Verzweigungen einer Geschichte, die mit de Waals Biografie zusammenhängt. Der 50-Jährige ist ein Spross der Wiener jüdischen Familie Ephrussi, deren Ringstraßen-Palais gegenüber der Uni 1938 von den Nationalsozialisten kassiert wurde.

De Waal hat das Schicksal seiner Familie in einem Buch, Der Hase mit den Bernsteinaugen, festgehalten. Beim Tanzquartier-Parcours wanderte das Publikum mit seinen Angsthasen-Luftballons in Gruppen an Schauplätze aus dem Buch zu den Performances der Künstler. Milli Bitterli etwa gab im Schottengymnasium Einblicke in Entgleisungen des Schulsystems. Abgründe kamen ans Licht.

Im Café Griensteidl erzählte die Performerin Anna Mendelssohn von ihrer Großmutter Hilde Spiel. Die Autorin betonte das Versagen ihrer Generation, die die Nazis nicht verhindert hatte. "Ein Gefühl, das ihr Sohn, ein Alt-68er, vielleicht mit ihr teilt", fügte Mendelssohn an.

Jelinek zeigte eine Installation im Ephrussi-Palais und ein Miniaturdenkmal für das Asylwerbercamp von 2012 im Votivpark. Auch die Ephrussis hatten fliehen müssen. Im Sigmund-Freud-Museum spielte Ana Hoffner auf ihre Flucht aus Ex-Jugoslawien an. Und im Theseustempel sang Kmet über den Krieg in der Wüste: Geschichte ist nie von gestern. (Helmut Ploebst, DER STANDARD, 30.9.2014)