"Die Tempel von Angkor Wat waren eine riesige Wellness-Anlage für die Götter", scherzt Syden Tiger, ein stets gutgelaunter Guide, der weiß, wie er Touristen bei Laune hält. Rund 2,5 Millionen Besucher kommen pro Jahr, um die gigantische Tempelanlage zu sehen. Der Andrang ist kaum mehr zu bewältigen, die alten Mauern sind instabil, viele hinterlassen an den Wänden Graffitis.

Beschauliches Landleben

Die meisten Besucher wohnen in Siem Reap, einem einst gemütlichen Städtchen im Nordwesten von Kambodscha, in dem sich mittlerweile mehr Touristen als Einheimische tummeln. Der Old Market im Herzen der Markthalle ist trotzdem sympathisch traditionell geblieben: Da türmen sich Berge an exotischen Früchten und Fleisch, von Hühnern bis zu Fröschen. Auf kleinen Hockern sitzend, schlürft man heiße Suppen, und in den angrenzenden Beautysalons lassen sich Einheimische die Haare machen.

Eine ruhige Kugel im Dorf. Wie lange das noch so sein wird, ist allerdings die Frage: Das Normale wird gerade als etwas Besonderes entdeckt, mit dem man gut Geld verdienen kann.
Foto: Karin Cerny

Touristenführer Syden hat, wie so viele seiner Generation, noch die Schreckensherrschaft der Roten Khmer miterlebt, die 1975 an die Macht gekommen waren. Als Junge wurde er entführt und sollte im Dschungel in der Armee Pol Pots kämpfen. Mit Freunden gelang ihm die Flucht, einer davon starb, weil er auf eine der vielen Minen trat, die noch immer im ganzen Land vergraben sind. Syden hatte Glück, er wurde in einem Kloster aufgenommen, wo er auch Englisch lernen konnte. Als Guide legt er buddhistische Gelassenheit an den Tag, aber er entwickelt einen missionarischen Eifer, wenn es darum geht, ausländischen Besuchern das tägliche Leben seiner Heimat vor Augen zu führen.

Beschaulich in Minuten

Vor dem Markt von Siem Reap wartet bereits eine spezielle Attraktion: der berühmteste Tuk-Tuk-Fahrer der Stadt. Auf sein nicht sonderlich modernes Gefährt hat er ein Batman-Zeichen gemalt, das in den ruhigen Dörfern rund um die Provinzhauptstadt mächtig Eindruck schindet. In der Tat geht es bereits wenige Minuten außerhalb von Siem Reap ungemein beschaulich zu.

Auf der Landstraße ist wenig Verkehr, Kühe grasen auf den satten grünen Wiesen. Die Häuser am Straßenrand werden nach wie vor aus Holz gebaut und stehen auf Stelzen, denn in der Regenzeit kann es zu Überschwemmungen kommen. Im Sommer wiederum spendet der Raum unter dem Haus herrlich Schatten, hier verbringen die Besitzer die heißen Stunden gemeinsam mit ihren Tieren.

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Schweine gehören quasi zur Familie.

"Bei Einwohnerzählungen kommt es nicht selten vor, dass ältere Menschen von Familien mit bis zu 60 Mitgliedern erzählen", sagt Syden. "Oft stellt sich dann heraus: Sie haben ihre Schweine mitgerechnet". Wie sehr Rinder und Schweine zur Familie gehören, lässt sich etwa in dem kleinen Dorf Krobey beobachten, das rund eine halbe Stunde von Siem Reap entfernt liegt.

Mann und Rind warten auf Kunden

Der zentrale Markt war früh am Morgen noch gut besucht, gegen Mittag ziehen sich die Dorfbewohner in ihre Häuser zurück, wobei fast jede Privatresidenz gleichzeitig ein Shop ist. Bei dem einem türmen sich wie in einer Kunstinstallation alte Fernsehgeräte, die gerade repariert werden. Ein anderer wäscht in seinem Garten Motorräder und Mopeds, die auf der Durchfahrt sind. Ein Dritter döst in der Hängematte unter seinem Haus, ein beeindruckender Zuchtbulle liegt direkt neben ihm. Mann und Rind warten gemütlich auf Kunden.

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Vor dem Markt von Siem Reap wartet bereits eine spezielle Attraktion: der berühmteste Tuk-Tuk-Fahrer der Stadt. Auf sein nicht sonderlich modernes Gefährt hat er ein Batman-Zeichen gemalt, das in den ruhigen Dörfern rund um die Provinzhauptstadt mächtig Eindruck schindet.

"Rund acht Euro kostet es, den Bullen zu mieten, um eine Kuh zu decken", erklärt Syden. Ein paar Meter weiter steht am Straßenrand ein verrostetes Schild, auf dem ein Schwein zu sehen ist, darunter eine Telefonnummer. "Wer sein Schwein decken lassen möchte, ruft einfach bei dieser Nummer an. Dafür muss man nichts bezahlen, man gibt dem Ebervermieter später eines der Jungen aus dem Wurf". Tauschen und Teilen stehen noch hoch im Kurs. Wie lange das noch so sein wird, ist allerdings die Frage: Das Normale wird gerade als etwas Besonderes entdeckt, mit dem man gut Geld verdienen kann.

Süchtig nach Facebook

Der Restaurantbesitzer Kimseng Chrun möchte dieses Dorf in den nächsten Jahren verstärkt für den Tourismus öffnen, es wurden bereits einfache Unterkünfte bei Familien eingerichtet, Organic-Kitchen-Kochkurse werden angeboten, und eine Ochsentour können die Gäste auch buchen. Bei der Fahrt mit dem Ochsen, die holprig über lehmige Böden führt, zückt auch Guide Syden sein Handy, um Fotos zu machen. In Kambodscha ist jeder süchtig nach Facebook, so entlegen kann das Dorf gar nicht sein. (Karin Cerny, DER STANDARD, Rondo, 16.10.2014)