Am 22. Oktober 2009 besetzten Studierende den größten Hörsaal der Universität Wien, das Audimax. Kurz darauf wurden Hörsäle in allen Bundesländern blockiert: Die "Uni brennt" hieß es, der Protest breitete sich rasch auch über die Landesgrenzen aus.

Die Studierenden begehrten gegen Zugangsbeschränkungen, die Unterfinanzierung der Unis, schlechte Studienbedingungen und die Umsetzung des Bologna-Prozesses, der eine Verschulung des Studiums mit sich brachte, auf. Seither hat sich einiges getan: In kaum einem Studium heißt der Erstabschluss noch Magister, und nie standen Studierende vor so vielen Aufnahmetests wie heuer.

Was vor fünf Jahren in Wien ein Feuer entfacht hatte, ist heute längst im Studienalltag angekommen. Gegen die Bachelor/Master-Struktur wehrt sich niemand mehr - die Studierenden kennen es nicht anders. "Der Bologna-Prozess wurde immer stärker einzementiert, er ist Teil der universitären Routine", sagt Dieter Rucht, Leiter der Forschungsgruppe Zivilgesellschaft, Citizenship und politische Mobilisierung am Wissenschaftszentrum für Sozialforschung in Berlin. Studierende würden in den Betrieb hineinwachsen und hätten keine Alternativen mehr vor Augen.

Foto: Fischer

Speerspitze des Protests

Ähnlich sieht das Martin Haselwanter, externer Lehrender der Uni Innsbruck und Verfasser der Dissertation Gesellschaft - Bildung - Protest: "Die Diplomstudierenden waren eine der Speerspitzen des Protests. Sie befürchteten, in die Bolognastruktur eingegliedert zu werden." Diese Studierendengruppe gibt es kaum noch. Nach 60 Tagen Besetzung wurde das Audimax im Winter 2009 von der Polizei geräumt. Seither sind die bildungspolitischen Proteste - bis auf kurzzeitige Besetzungen im Jahr 2010 - eingeschlafen. Fünf Jahre später erinnert nur ein Unibrennt-Kongress an die Besetzungen und soll Vernetzung vorantreiben. Haselwanter sieht den Grund für den ruhigen Uni-Betrieb im Bolognaprozess. Die Studierenden würden sich der neuen Studienstruktur anpassen müssen: Mindeststudienzeit, Anwesenheitspflicht und eine kürzere Bezugsdauer der Familienbeihilfe ließen keine Zeit zum Protestieren. "Die Leute sind angepasster und karriereorientierter als früher", sagt Haselwanter.

Zwar sind die Forderungen der Studierenden von 2009 nicht umgesetzt worden, Strukturen wie die "Kritische Uni" in Innsbruck oder das "Vinzirast mittendrin" seien aber positive Folgen. "Die Proteste sind produktiv gescheitert", resümiert Haselwantner.

Auch der damalige Wissenschaftsminister Johannes Hahn findet Positives: Dem Thema sei eine "seltene öffentliche Aufmerksamkeit" zuteilgeworden. "Die Probleme bei der Umstellung auf das Bologna-System wurden besprochen, was einiges verbessert hat." Trotz der "guten Arbeitsbeziehungen" stellte sich heraus, dass "die Beteiligten der Ideologie entsprechend verhandelten". Im Nachhinein bedauert Hahn, den Dialog mit den Studierenden nicht weitergeführt zu haben.

Unibrennt wird jedenfalls als erster großer Online-Protest in die Geschichte eingehen. Eine eigene Homepage, Social Media und Dauer-Livestream ermöglichten Partizipation ohne Anwesenheit. "Das Internet ist ein gutes Mittel, um Informationen zu verbreiten, aber es mobilisiert kaum neue Leute", meint Protestforscher Rucht. Immerhin wurde die internationale Vernetzung dadurch vereinfacht.

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Soziales Engagement

Eine weitere Besonderheit war das Zusammenleben von Studierenden und Obdachlosen zur Zeit der Besetzungen im Winter. "Es hat sich gezeigt, dass aufgrund von Zugangshürden viele Obdachlose vom Wiener Sozialsystem nicht versorgt wurden", sagt Markus Reiter, Geschäftsführer des Neunerhauses und Vorsitzender des Verbands der Wiener Wohnungslosenhilfe. "Die Solidarität der Studierenden hat uns hier Aufmerksamkeit gebracht." Damals sei man zu keiner "politischen Lösung" gekommen, aber es sei gelungen, dass die Stadt Wien ein Winterpaket für alle obdachlosen Menschen einführte - eine Notversorgung mit Nachtquartieren, Tageszentren und medizinischer Versorgung. Damit sei aber noch nicht genug geschehen: "Wir brauchen eine ganzjährige nachhaltige Versorgung und Integrationsmaßnahmen", fordert Reiter.

Die Unibrennt-Aktivisten hätten den bildungspolitischen Protest als einen mit gesellschaftspolitischem Kern verstanden: "Dieses solidarische Zusammenleben ist nicht selbstverständlich, gerade wenn so unterschiedliche Lebensrealitäten aufeinandertreffen."

Letztlich ging es laut Rucht bei Unibrennt dennoch "nur um ein inneruniversitäres Thema, das für die übrige Gesellschaft keine große Bedeutung hatte". Um breitere Unterstützung zu bekommen, müsse man im Vorfeld die Forderungen besser erklären. Erst wenn andere Berufsgruppen studentische Probleme als die ihren erkennen, könne Verständnis aufkommen, meint Rucht. (Oona Kroisleitner, Selina Thaler, Karte: Michael Bauer, DER STANDARD, 22.10.2014)