Nancy Folbre sprach letzte Woche an der Johannes-Kepler-Universität Linz.

Foto: JKU-IFG

Mit dem Wert von Sorgearbeit beschäftigte sich der 6. Workshop Feministischer ÖkonomInnen vergangene Woche. dieStandard.at sprach mit der Feministin und "New York Times"-Kolumnistin Nancy Folbre an der Johannes-Kepler-Universität Linz.

dieStandard: Wenn wir die gesellschaftliche Aufteilung von Sorgearbeit betrachten: Sehen Sie einen großen Unterschied zwischen den 60er-Jahren und heute? Manche konstatieren einen Backlash.

Nancy Folbre: Alle sozialen Bewegungen unterliegen Schwankungen, aber die EU hat in dieser Frage sicher Fortschritte gemacht und macht weiterhin Fortschritte, das haben mir gerade die Vorträge hier gezeigt. Der Feminismus hat einen Einfluss auf die Sozialpolitik und führt zu einer Reorganisation von Sorgearbeit. Als Ökonomin sage ich: Es gibt eine Konvergenz zwischen Geschlechtergerechtigkeit und nachhaltigem Wirtschaftwachstum.

dieStandard: Wie kann der Wert von unbezahlter Sorgearbeit in der nationalen Einkommensrechnung sichtbar gemacht werden?

Folbre: Es gibt verschiedene Werkzeuge und Mechanismen, eine Ökonomie zu beschreiben. Eurostat (das statistische Amt der Europäischen Union, Anm. d. Red.) macht jetzt auch Erhebungen zum Zeitaufwand für die Betreuung von Kindern, Alten, Hausarbeit oder gemeinnützigen Tätigkeiten. Das ist ein Schritt in die richtige Richtung. Es gibt dadurch sogenannte "Satellitenkonten", die den herkömmlichen Nationalökonomien hinzugefügt werden.

dieStandard: Was kann man sich darunter vorstellen?

Folbre: Es gibt ja so etwas wie international anerkannte Kriterien, wie diese berechnet werden. Seit 2014 etwa gibt es eine große Veränderung, nämlich dass der angenommene Wert illegaler Aktivitäten (wie illegale Prostitution und Drogenhandel) berücksichtigt wird. Da geht die Entwicklung schneller als bei der unbezahlten Sorgearbeit. Eigentlich müssten wir immer die unbezahlte Sorgearbeit, Transferleistungen innerhalb der Familie, solche von den Regierungen an die Haushalte und die Steuerleistungen, die die Haushalte im Gegenzug erbringen, berücksichtigen.

dieStandard: Warum halte Sie es für wichtig, dass Begriffe wie "Einkommen", "Konsum" und "Ausgaben" neu definiert werden? Welche Rolle spielen dabei die Sorgearbeit und die von Ihnen erwähnten Transferleistungen in der Familie?

Folbre: In der Debatte über staatliche Sozialleistungen werden diese ja oft als Ausgaben betrachtet, die das Wirtschaftswachstum bremsten. Dabei ist das Gegenteil der Fall. Betrachtet man das Einkommen eines Berufstätigen über seinen ganzen Lebenszyklus, bemerkt man, wie sehr es von den Faktoren Sorgearbeit und Transferleistungen beeinflusst wird.

dieStandard: Sie haben die Weltbank beraten. Wie sind Ihre Theorien dort aufgenommen worden?

Folbre: Deren Ansicht zu Geschlechtergerechtigkeit hat sich verbessert, geht aber noch nicht weit genug. Sozialausgaben werden dort noch immer als Bremse des Wirtschaftswachstums gesehen, wiewohl die Bedeutung von Bildung für Frauen zunehmend anerkannt wird.

dieStandard: Warum ist die Forderung "Gleiches Geld für gleiche Arbeit" noch immer nicht durchgesetzt?

Folbre: Es braucht viel Zeit, um kulturelle Normen zu ändern. Es gibt Widerstand von Arbeitgebern und Mitbewerbern. Es ist leichter, den Frauen die gleichen Rechte zu geben als Männern die gleichen Pflichten, vor allem in der Sorgearbeit.

dieStandard: Manche sehen Teilzeitarbeit für Männer und Frauen als Möglichkeit, die Sorgearbeit zwischen den Geschlechtern gerechter zu verteilen. Wie stehen Sie dazu?

Folbre: Die negativen Auswirkungen von Teilzeit auf Einkommen und Pension sind bekannt. Eine Reduzierung der Standardarbeitszeit könnte aber einen positiven Effekt haben. Es gibt darüber hinaus einen Zusammenhang zwischen feministischen und ökologischen Überlegungen: statt mehr und mehr Konsum könnten wir eine Verbesserung unserer Lebensqualität anstreben – und damit auch die Umwelt schützen. (Tanja Paar, dieStandard.at, 31.10.2014)