Das Stangenschild, ein treuer Begleiter der Frauenrechtlerin. Ob beim Kampf für das Frauenwahlrecht um die Jahrhundertwende oder bei den Protesten der zweiten Frauenbewegung ab den 1970er-Jahren. Gegen Gewalt, für das Recht auf Abtreibung oder gegen ein Familienrecht, das den Mann zum "Oberhaupt" erklärt. Nachdem der Schilderwald durch die digitale Konkurrenz durch politische Blogs oder Twitter-Aktivismus etwas aus der Mode gekommen war, ist er 2014 wieder in: Im September gestaltete Karl Lagerfeld eine Modenschau im Stile einer 70er-Jahre-Frauendemo. Mit dem Schild in Modelhand wurde "Feminism not masochism" oder "Women's rights are more than alright" auf einem Pariser Laufsteg skandiert.

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Frauenprotest trifft Mode-Chichi: Als Karl Lagerfeld seine Models bei der Paris Fashion Week im September mit Pseudoslogans ausstattete, gingen die Wogen hoch.
Foto: EPA/CHRISTOPHE KARABA

Ist das der Ausverkauf einer politischen Bewegung? Schließlich widerspricht dieser medienwirksame Auftrieb so ziemlich allem, wofür die zweite Frauenbewegung kämpfte: von Kapitalismuskritik bis hin zu normierten Körpern. Oder gilt auch für den Feminismus der PR-Spruch "Lieber schlechte Publicity als keine"?

"Feminismus ist chic & sexy", wurde Lagerfelds Show kommentiert, Superstar Beyoncé Knowles performte bei den MTV Video Music Awards im August vor der riesigen Leuchtschrift "Feminist". Und der Buchmarkt schwört sich mit zahlreichen Feminismus-Publikationen schon länger darauf ein, dass sich Feminismus verkauft. In Stand Up. Feminismus für Anfänger und Fortgeschrittene erklärt die deutsche Autorin Julia Korbik in kleinen Häppchen und im Look eines Coffee-Table-Buches die Bewegung. In Schneewittchenfieber sorgt sich die österreichische Journalistin Angelika Hager um die Bereitschaft von jungen Frauen zur unbequemen Emanzipation, und auf der Rückseite des im Herbst erschienenen Buches der deutschen Netzaktivistin Anne Wizorek Weil ein #Aufschrei nicht reicht heißt es schlicht, aber begeistert: "Feminismus? Fuck Yeah!"

Prägnante Botschaft von US-Superstar Beyoncé Knowles während ihres Auftritts bei den MTV Video Music Awards.
Foto: Imago stock&peope

Auch in Österreich erwachte der "Feminismus" aus dem Dämmerschlaf und löste tumultartige Debatten aus. Ab dem Frühjahr redeten sich alle zur geschlechterneutralen Sprache - Stichwort Binnen-I - die Köpfe heiß. Wer das Mandat der verstorbenen Nationalratspräsidentin Barbara Prammer erhält, löste in der SPÖ einen veritablen Streit über die Frauenquote aus. 2014 hat sich außerdem das Wort "Genderwahn" etabliert, das Kandidat für das Wort des Jahres ist. Nicht zu vergessen die sozialen Medien, wo sich Politikerinnen und das gemeine Volk feministisch zeigen.

Auf Twitter etwa mit dem Stichwort #heforshe, damit sich mehr Männer im Feminismus engagieren, mit #bringbackourgirls gegen die Entführung von Schülerinnen durch die Islamisten, und unter #thisiswhatafeministlookslike posten Männer und Frauen Fotos von sich, um Feminismus ihr Gesicht zu verleihen.

Keine Veränderung in Sicht

Ganz gleich, ob Feminismus als Produkt, Accessoire oder als Angriffsfläche auftaucht - die Aufmerksamkeitskurve geht steil nach oben. Doch was bedeutet das für die Inhalte des neuerdings als "sexy" geltenden Feminismus? Also für jene frauenpolitischen Themen, die sich - weniger sexy - seit Jahrzehnten in nur sehr geringen Variationen wiederholen? Der aktuelle Global Gender Gap Report des World Economic Forum macht folgende Rechnung auf: Bei der ökonomischen Teilhabe schließt sich die Lücke zwischen Mann und Frau - bei gleichbleibendem Fortschrittstempo - erst im Jahr 2095. Auch in Österreich bewegt sich wenig: Die Gehaltsdifferenz liegt konstant um die 22 Prozent, und die gläserne Decke ist stabil: Der Männeranteil in den Aufsichtsräten der 200 umsatzstärksten Unternehmen liegt 2014 bei 86 Prozent. Doch Männer beanspruchen nur fünf Prozent der gesamten Karenzzeiten.

Also doch nur viel Lärm um wenig Fortschritt? Die Erforschung politischer Diskurse hat gezeigt, dass keine dieser Ebenen - egal ob Populärkultur, Politik oder mediale Öffentlichkeit - von den jeweils anderen unbeeindruckt bleibt. "Ein Diskurs kann politische Fakten schaffen, und gesetzgeberische Maßnahmen können wiederum auf öffentliche Debatten wirken", sagt Rudolf de Cillia vom Institut für Sprachwissenschaft der Universität Wien.

Andererseits könnten sehr präsente Diskussionen auch verschleiernd wirken; es würde zwar intensiv diskutiert werden, in Wirklichkeit geschehe aber nichts. Auch würden bestimmte Begriffe von politischen Kräften erfunden und gezielt eingesetzt werden, führt der Linguist aus. Bei "Genderwahn" gehe es ganz klar darum, Menschen zu diffamieren, die sich gegen Diskriminierung einsetzen. Daran ließe die negative Konnotation zu "Wahn" keinen Zweifel.

Tussikratie und MenschInnen

Die Sprachwissenschafterin Karin Wetschanow sieht in den Debatten des Jahres 2014 dennoch viel Potenzial, auch wenn sie nicht immer differenziert verlaufen sind - Stichwort geschlechterneutrale Sprache. "Allein dass debattiert wird, heißt, dass Politik passiert", meint die ebenfalls am Institut für Sprachwissenschaft beschäftigte Linguistin. Gerade heuer sei außerdem deutlich geworden, dass es längst nicht mehr bei den genannten frauenpolitischen Klassikern bleibt und feministische Forderungen, wie die nach dem Ende starrer Geschlechterrollen und Zwänge, weite Kreise ziehen. "Auch Conchita Wurst personifiziert das Thema Gender", für Wetschanow ein prominentes Beispiel, wie neue gesellschaftliche Verhältnisse ausgehandelt werden können.

Dieser Debatte nehmen sich auch immer mehr Publikationen an. Lust auf diese Bücher sollen auch jene haben, die sonst mit diesem Schlagwort nichts anfangen können. So gibt man sich den Anstrich, Möglichkeiten einer gleichberechtigten Zukunft auszuloten - ein kleiner Schuss Sexismus inklusive: Laut Tussikratie haben Frauen dank ihrer "Ich-Besessenheit" an echter Gleichberechtigung vorbeigearbeitet, meinen die Autorinnen Theresa Bäuerlein und Friederike Knüpling. Auch Angelika Hager kritisiert in Schneewittchenfieber an jungen Frauen, dass sie auf Gleichberechtigung pfeifen und sich lieber daheim einkuscheln. Megastars wie Lady Gaga würden, so Hager, der Sache auch nicht helfen, wenn sie in "Nuttenfähnchen durch die Gegend staksen". Mit frauenfeindlichem Vokabular fehlendes politisches Rückgrat rügen? Will sich Feminismus verkaufen, muss er einiges einstecken.

Lust auf die vielen "Feminismus"-Bücher sollen auch jene haben, die sich ansonsten mit diesem Schlagwort nicht wohlfühlen.
Cover: Verlage Heyne, Rogner & Bernhard, Fischer, Kremayr & Scheriau

Birgit Sauer, Politikwissenschafterin an der Universität Wien, sieht im Genderwirbel auch gezielte Kampagnen gegen Gleichberechtigung. Durch bestimmte Debatten wird eine "gefühlte Überrepräsentanz von Frauenthemen gebasht", ist sie überzeugt. Sauer erinnert etwa an das Buch der FPÖ-Politikerin Barbara Rosenkranz, "MenschInnen" (2008), in dem Rosenkranz vor der Durchsetzung "des geschlechtslosen Menschen" in allen gesellschaftlichen Bereichen warnt. Und die heurige Diskussion um geschlechterneutrale Sprache in Österreich sieht Sauer als "strategischen Backlashdiskurs", dessen Ausgangspunkt sie auch in rechtspopulistischen Kreisen verortet.

Ein steigender Feminismus-Trend auf der einen und oftmals aggressiv verlaufende Diskussionen auf der anderen Seite. Für Birgit Sauer liegt ein Grund für diese Kluft darin, dass zwar schnell Einigkeit darüber herrscht, dass Frauen nicht benachteiligt werden sollten. "Trotzdem existieren noch immer tiefsitzende Vorstellungen davon, was Frauen und Männer tun sollten und wie sie sein sollten", sagt sie. An den Unis gäbe es etwa den Konsens, dass Frauen bei der Besetzung einer Professur nicht benachteiligt werden dürfen. "Wenn es aber bei Bewerbungen konkret darum geht, zu berücksichtigen, dass viele Frauen wegen familiärer Betreuungsaufgaben und Lehrbelastung weniger reisen konnten oder eine geringere Menge an Publikationen haben, dann hört es sich auf", erzählt Brigit Sauer.

Frei von Diskriminierung qua Geschlecht und selbstbestimmt - hehre, wenn auch sehr abstrakte Ziele des Feminismus. In dieser Abstraktion hat es Feminismus auf die Agenda geschafft. Auch zum Preis seiner politischen Schlagkraft und marktkonformer Sexyness. Aber immerhin ist die Debatte dort, wo sie hingehört: in der Mitte der Gesellschaft. (Beate Hausbichler, DER STANDARD, 22./23.11.2014)