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Was ist feministisch?

Foto: APA/Timur Emek

In den letzten Tagen habe ich nur eher nebenbei Diskussionen auf Twitter unter dem Hasthag #EMMAistfuermich mitverfolgt - für alle, die nicht bei Twitter sind: Unter diesem Schlagwort hat die Zeitschrift Emma Leserinnen aufgefordert, etwas Positives über Emma zu schreiben, aber recht schnell wurde dabei vor allem Kritik geäußert.

Unter den kritischen Tweets ist mir vor allem ein Tenor aufgefallen, den ich anfangs gut fand, zu dem mir im Lauf der Zeit aber dann doch Bedenken kamen: nämlich die Kritik an feministischem Paternalismus und "Eine gute Feministin ist so und so", verbunden mit dem Plädoyer für die individuelle Freiheit jeder Frau, sich und ihren Feminismus so oder so zu definieren, wie sie eben will.

Es stimmt: An "Emma" war schon immer problematisch, dass Alice Schwarzer sehr klar definiert, was ihrer Ansicht nach feministisch ist und was nicht, und dass sie Frauen mit anderen Ansichten als quasi vom Patriarchat gekauft diffamiert, anstatt sie einer ernsthaften Auseinandersetzung würdig zu betrachten.

Weibliche Souveränität und weibliche Subjektivität

Aber die Haltung "Soll halt jede machen und meinen, was sie will" ist nicht das Ziel feministischer Politik, sondern lediglich ihr Anfang.

Ihr Anfang deshalb, weil die Vorstellung, dass Frauen machen, was sie wollen - und nicht, was sie nach Ansicht von Männern oder aufgrund der Natur oder laut dem Willen Gottes tun sollen - tatsächlich die symbolische Revolution ist, die der Feminismus gebracht hat. Weibliche Souveränität und weibliche Subjektivität waren in Zeiten vor der Frauenbewegung nicht vorgesehen, nicht einmal denkbar. Frauen, die damals (was natürlich vorkam) souverän waren und ihren Subjektstatus behaupteten, taten das der herrschenden symbolischen Ordnung zufolge, obwohl sie Frauen waren, markierten also sozusagen die Ausnahme, die die Regel bestätigte.

Heute nicht mehr. Dass Frauen als souveräne Subjekte und Individuen gelten und nicht als Repräsentantinnen ihres Geschlechts, dass sie also für ihr Handeln keine anderen Begründungen brauchen als "Weil ich das so will", wird von immer mehr Frauen eingefordert, und zwar - wie die aktuelle Debatte zeigt - auch gegen einen "paternalistischen" Feminismus, der zwar die Inhalte dessen, was Frauen sollen, verändert hat, aber eben nicht die Struktur des Arguments, wonach Frauen eben doch irgendetwas sollen, nur eben etwas anderes, als das Patriarchat sagt.

Spezielle Kategorie Menschsein

Aber dieses Verständnis von Frausein hat sich noch nicht überall durchgesetzt, sitzt noch etwas unsicher im Sattel. Nicht nur die "Emma" ist dieser alten symbolischen Ordnung noch verhaftet, wonach Frauen eine spezielle Kategorie Menschsein mit gemeinsamen Interessen, Ansichten, Erfordernissen sind, die sich objektiv - also ohne konkrete weibliche Subjekte dazu befragen zu müssen - deduzieren lassen. Die alte Ordnung zeigt sich auch weiterhin in Form von gesellschaftlichen Ansprüchen an Frauen, sich irgendwie für die Allgemeinheit nützlich zu machen (sie sollen Kinder kriegen, sie sollen ihre Arbeitskraft dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stellen und so weiter).

Und auch in anderen feministischen Diskursen ist diese Rhetorik noch vorzufinden, zum Beispiel in dem Argument, mehr Frauen in Führungspositionen seien gut für den Unternehmenserfolg. Das Argument "Ich will mehr Frauen in Entscheidungspositionen" scheint für sich genommen ("Weil ich das will") noch nicht ausreichend legitimiert, es muss noch eine Begründung dazu, die die Nützlichkeit dieses weiblichen Wollens für die Allgemeinheit beweist.

Insofern ist es gut, wenn Frauen ihre Souveränität und Subjektivität gegen sämtliche Sollens-Ansprüche behaupten, egal von wem sie kommen. Ja, jede soll machen, was sie will. Frauen können sich nicht gegenseitig repräsentieren und vertreten, weil sie Unterschiedliches wollen und sind, und weil sich aus der Tatsache ihres Frauseins keine Normen und Ansprüche an eine einzelne Frau ableiten lassen: Das ist der Kern der weiblichen Freiheit.

"Ich tue das, was ich will"

Aber, wie gesagt, damit fängt der Feminismus erst an. Weibliche Souveränität ist nicht der Zweck, dem der Feminismus dient, sondern die Vorbedingung dafür, dass es eine feministische Bewegung überhaupt geben kann als politische Bewegung. Die Haltung des "Ich tue das, was ich will" ist der Ausgangspunkt für eine Politik der Frauen, nicht ihr Ziel. Ihr Ziel ist die Gestaltung der Welt.

Zur Politik und zur Weltgestaltung aber gehört der Austausch über unterschiedliche Ansichten, Differenzen und Meinungen zwingend dazu. Also konkret: Freie und souveräne weibliche Subjekte reden miteinander, sie streiten, sie argumentieren, sie teilen Erfahrungen, bringen Argumente, versuchen die andere zu überzeugen und lernen von der anderen.

Es ist deshalb auch (und gerade) unter den Bedingungen weiblicher Freiheit notwendig und sogar wünschenswert, dass Frauen sich gegenseitig kritisieren, dass sie aussprechen, wenn sie die Lebensentwürfe und Ansichten anderer Frauen problematisch oder rundheraus falsch finden, ja, dass sie Urteile fällen, auch über das Handeln anderer. Wenn dieser Austausch auf der Ebene der Begegnung zweier freier Subjekte stattfindet, ist Kritik nicht paternalistisch oder bevormundend, sondern schlicht und einfach ganz normale politische Debatte.

Wie die Welt sein soll

Aber weil wir uns momentan in einer Übergangszeit befinden, in der freie weibliche Subjektivität zwar schon vorhanden ist, aber noch nicht selbstverständlich, sondern immer wieder auch gefährdet ist, geschieht es oft, dass die Szenarien verwechselt werden. Wenn eine Frau das Handeln einer anderen beurteilt, zum Beispiel sagt "Ich finde es nicht richtig, was du machst", dann kann das in der alten Ordnung als Bevormundung gelesen werden, während es in der neuen Ordnung eine politische Auseinandersetzung ist. Zu sagen "Ich finde es nicht richtig, was du machst" wird in der alten Ordnung übersetzt mit "Du darfst das nicht machen, du sollst etwas anderes machen". In der neuen Ordnung bedeutet es aber: "Es gibt einen Konflikt zwischen dir und mir in Bezug darauf, wie wir die gemeinsame Welt gestalten."

Dass Menschen darüber streiten, wie die Welt sein soll, welche ethischen Maßstäbe gelten sollen, welche Übereinkünfte sie treffen, welche Handlungsweisen akzeptabel sind und welche nicht, ist Bestandteil jeder Kultur. Es gibt keine Kultur, in der alle alles machen dürfen. Eine Welt, in der sich über solche Themen nicht ausgetauscht würde, in der Menschen also nicht ihr jeweiliges Handeln gegenseitig beurteilen, wäre eine diktatorische Welt.

Deshalb kann weibliche Subjektivität und Souveränität sich nicht damit begnügen, ihre eigene Anerkennung einzuklagen. Sondern sobald sie existiert, ist ihr Urteil über die Welt gefordert, und damit wird sie unweigerlich in Konflikt mit anderen weiblichen Subjekten geraten.

Denn worum es dem Feminismus geht, ist nicht das Verhältnis von Frauen und Männern (oder sonstigen Genders). Der Kern des Feminismus ist das Verhältnis der Frauen zur Welt. (Antje Schrupp, dieStandard.at, 12.11.2014)