Autorin und Netzaktivistin Anne Wizorek.

Foto: Anne Koch/Fischer Verlag

Anne Wizorek
Weil ein #Aufschrei nicht reicht

Für einen Feminismus von heute
Fischer-Verlag 2014
336 Seiten, 15,15 Euro

Foto: Fischer Verlag

dieStandard.at: Sie schreiben in Ihrem Buch über den "diskriminierenden Status quo", in dem wir leben. Wo haben Sie diesen Status zuletzt persönlich erlebt?

Anne Wizorek: Ich persönlich werde immer noch mit dem Stereotyp der männerhassenden, dauerwütenden Feministin konfrontiert. Es ist ganz klar Teil des Sexismus, dass Männer auf den Tisch hauen dürfen, wenn ihnen etwas nicht passt, Frauen aber als hysterische Zicken gelten, wenn wir dasselbe tun. Dadurch haben es Frauen natürlich ungleich schwerer, sich über Dinge zu beschweren, geschweige denn sie zu verändern.

dieStandard.at: Sie vergleichen das Patriarchat mit der "Matrix", jener simulierten Welt, die den meisten Menschen im gleichnamigen Film als die reale erscheint. Tragen wir den heutigen Zustand also unbewusst mit?

Wizorek: Ja, definitiv. Bei Frauen ist es oft Selbstschutz, dass sie das bewusst ausblenden. Und bei Männern glaube ich tatsächlich, dass sich viele dessen auch einfach nicht bewusst sind, das hat #Aufschrei ja unter anderem gezeigt. Selbst diejenigen, denen durchaus klar war, dass Sexismus immer noch existiert, waren überrascht, wie die Situation in Wirklichkeit aussieht.

dieStandard.at: Wenn man Feminismus als Kampf für Frauenrechte beschreibt, wer sind dann die Gegner?

Wizorek: Feminismus kämpft gegen das Patriarchat, das ist die Gesellschaftsform, in der wir gerade leben, in der Männer als Norm hingenommen werden. Es ist schon sehr bezeichnend, dass Probleme wie Sexismus, die maßgeblich Frauen betreffen, immer als Frauenprobleme dargestellt werden, sodass sich die Männer möglichst nicht damit befassen müssen.

dieStandard.at: Wo sehen Sie denn die Gegner, durch die dieses Patriarchat manifestiert wird?

Wizorek: Das Patriarchat hat ja nicht diesen einen Endboss, wie in einem Computerspiel. Es geht um die gesamte Gesellschaftsstruktur, die so aufgebaut ist. Es fängt schon damit an, dass immer noch die Vorstellung existiert, Männer seien das starke und Frauen das schwache Geschlecht. Dementsprechend seien Männer natürlich viel kompetenter und dürfen Dinge tun, die man den Frauen nicht so ohne Weiteres zutraut. Das ganze System ist ungerecht, insofern finde ich es schwer, einzelne Gegner zu nennen.

dieStandard.at: Den Zeitschriften wird oft ein verfälschtes Frauenbild vorgeworfen, doch in den Redaktionen sitzen häufig Frauen. Wie passt das zusammen?

Wizorek: Frauen sind nicht automatisch immun gegen sexistische Stereotype oder die entsprechenden Körperbilder. Oft werden wir sogar dazu erzogen, gegenüber unseren Geschlechtsgenossinnen die schärfsten Bewertungen abzugeben. Frauen sollen schließlich untereinander um die männliche Aufmerksamkeit konkurrieren. Frauen sind nicht die besseren Menschen, und genau deshalb geht es ja auch darum, den gesamtgesellschaftlichen Weg zu verändern.

dieStandard.at: Aber warum verändern die vielen Chefredakteurinnen nicht den Weg?

Wizorek: Auch die sind abhängig von anderen. Oder sie sind nicht an Gleichberechtigung interessiert, das spielt da auch mit hinein. Das können Frauen sein, die sexistisch gegenüber anderen Frauen sind, das ist leider nicht ausgeschlossen. Ein Beispiel dafür war die Kritik am Werbespot des ZDF zur Frauen-EM 2014, wo eine Frau einen Fußball in die Waschmaschine kickt. An der Produktion des Clips waren auch Frauen beteiligt. Es gibt keine Garantie, dass nichts Sexistisches entsteht, nur weil Frauen dabei sind.

dieStandard.at: Sie beklagen, dass viele Produkte immer noch mit weiblichen Brüsten beworben werden. Sollten wir auf das Prinzip "Sex sells" gänzlich verzichten?

Wizorek: Nicht zwingend, aber ich frage mich halt, wie sinnvoll es ist, jede Limo auf diese Art und Weise zu bewerben. Es ist ja durch Studien belegt, dass die Darstellung von weiblichen Körpern, diese sogenannte sexuelle Objektifizierung, geistige und schließlich körperliche Schäden bei den Betrachtenden verursachen kann, da sie diese perfektionierten Körperbilder verinnerlichen, sich ständig mit ihnen vergleichen, sie aber nie erreichen können.

dieStandard.at: Könnte die Politik etwas gegen den Sexismus in der Werbung tun?

Wizorek: Ich glaube, dieses Thema hat in der Politik im Moment nicht die Toppriorität. Andererseits hat man jetzt in Friedrichshain-Kreuzberg in Berlin durchgesetzt, dass an den bezirkseigenen Plakatwänden keine sexistische Werbung mehr zugelassen wird. Das ist natürlich nur ein kleiner Schritt, aber er geht in die richtige Richtung.

dieStandard.at: Welche Waffen haben Sie als Feministin des 21. Jahrhunderts zur Verfügung?

Wizorek: Ich bin über das Internet Feministin geworden, und ich glaube, dass die dadurch möglich gewordene schnelle Vernetzung schon ein großer Vorteil ist. Innerhalb kürzester Zeit kann ich mich mit Aktivistinnen hier, aber auch in den USA oder zum Beispiel in Großbritannien verbinden, um gemeinsam Aktionen zu stemmen. Dadurch kann sich eine ganz neue Schlagkraft entwickeln.

dieStandard.at: Ist eine Waffe des Feminismus auch der nackte Körper? So, wie ihn die Femen benutzen?

Wizorek: Klar, und die Femen sind ja auch nicht die Ersten, die ihren Körper so einsetzen. Mit dieser Protestform habe ich kein Problem. Allerdings bin ich inhaltlich nicht mit allen Positionen der Femen konform. Ich finde zum Beispiel ihre Stellung zum Islam rassistisch.

dieStandard.at: Den Femen geht es ja nicht nur um Frauenrechte, sondern um Menschenrechte ...

Wizorek: Ja, klar, weil Frauenrechte Menschenrechte sind. Ich will aber zum Beispiel Muslimas nicht vorschreiben, ob und wann sie ein Kopftuch zu tragen haben. Das ist schließlich auch eine Form der Selbstbestimmung. Und wenn Femen denken, Frauen könnten nur befreit sein, wenn sie kein Kopftuch tragen, ist das für mich nicht nachvollziehbar.

dieStandard.at: Pharrell Williams outete sich kürzlich als Fan des Feminismus. Sind Männer heute eher Freunde der Frauenbewegung als früher?

Wizorek: Ich glaube, dass Männer heutzutage besser verstehen, was Feminismus bedeutet und was ihre gesellschaftliche Verantwortung dabei ist. Und dann ist es natürlich super, wenn Leute wie Pharrell Williams, die als Künstler eine große Reichweite haben, sich dafür einsetzen und als Vorbildfunktion dienen. Im Moment haben wir natürlich auch eine Art Trend auf diesem Gebiet. Wichtig ist, dass es da nicht nur bei der Aussage "Yeah, Feminismus" bleibt, sondern auch etwas gemacht wird.

dieStandard.at: Ein Vorbild könnte aufgrund ihrer Popularität auch Miley Cyrus sein. Aber sind Nacktszenen wie im Musikvideo "Wrecking Ball" nicht eher kontraproduktiv für die Frauenbewegung?

Wizorek: Am wichtigsten ist immer, dass diese Dinge selbstbestimmt passieren. Und ich habe das Gefühl, dass Miley Cyrus zum ersten Mal in ihrem Leben in einer Phase ist, wo sie wirklich selbstbestimmt handelt. Vorher konnte sie das nicht immer, weil sie dieses Darling-Image hatte.

dieStandard.at: Aber ist so ein Video für das Selbstbewusstsein junger Mädchen und Frauen förderlich?

Wizorek: Was für die eine Frau super und befreiend ist, muss es nicht zwingend auch für alle anderen sein. Gerade Mädchen müssen sich erst einmal noch in einer Welt selbst finden, die ihnen viele widersprüchliche Botschaften sendet. Und natürlich bewegt sich auch Cyrus in einer Industrie, die nicht gerade dafür bekannt ist, Mädchen und Frauen ausschließlich mit Respekt zu begegnen.

dieStandard.at: Der Hashtag "Aufschrei" war so etwas wie ein virtueller Kummerkasten. Was ist der nächste Schritt?

Wizorek: Die Aktion wurde ja durch die Website alltagssexismus.de schon fortgesetzt. Für mich persönlich ist das Thematisieren des Problems "Hate Speech" ein nächster Schritt. Frauen, speziell wenn sie feministisch unterwegs sind, werden im Netz häufig beleidigt, verleumdet und bedroht. (Laura Bähr, Jakob Buhre, dieStandard.at, 19.11.2014)