Wie ich im letzten Blogpost schon angedeutet habe, hat die im Sommer begonnene Hormontherapie bereits einige Veränderungen mit sich gebracht. Körperlich handelt es sich dabei um typische Entwicklungen, die einige von euch vermutlich aus ihrer eigenen Pubertät kennen: Die Stimme wird allmählich tiefer, überall wachsen Haare, der Muskelaufbau geht schneller vor sich und so weiter. Rückblickend sehr bemerkenswert, wie viel sich da binnen weniger Zeit tut (auch wenn einem das Ganze natürlich wie eine Ewigkeit vorkommt, wenn etwa täglich im Spiegel gründlich nach neuen Barthaaren gesucht wird). Noch bemerkenswerter finde ich allerdings jene Veränderungen, die sich im sozialen Bereich innerhalb dieser kurzen Zeit bereits zeigen.

Am stärksten betrifft das fremde oder erst kürzlich kennengelernte Leute – also solche, die mich nicht vor meiner Transition kennengelernt und somit im Gedächtnis als "weiblich" abgespeichert haben; denn dieser Speichereintrag lässt sich scheinbar nicht ganz so einfach durch die besagten körperlichen Veränderungen beeindrucken.

Bei "neuen" Leuten wirken sie hingegen Wunder: Von diesen werde ich nun nämlich, soweit ich das anhand von bisherigen Begegnungen sagen kann, durchgehend als männlich gelesen. Das betrifft somit den öffentlichen Raum, in dem ich mich vor kurzem noch eher als "uneinordenbar", manchmal "männlich", aber in vielen Fällen doch als "weiblich" gelesen fühlte.

Ein bisschen mehr Haare im Gesicht und die Folgen davon

Ein merkbarer Effekt ist zum Beispiel der, dass ich mich allgemein weniger beobachtet und gemustert fühle. Es lasten etwa in den Öffis und auf der Straße seltener Blicke auf mir als davor. Ich fühle mich einer Norm näher, nicht unsichtbar, sondern weniger auffallend. Könnte sich natürlich darauf zurückführen lassen, dass ich nun leichter einzuordnen bin als davor und Leute demnach nicht mehr fieberhaft nach Geschlechtshinweisen suchen.

Aber auch nächtliche Begegnungen haben mir teilweise auf skurrile Art vor Augen geführt, was jetzt anders ist. So bin ich etwa beim Weggehen abends absolut gar keine Zielfläche mehr für sexistische Angriffe jeglicher Art, was ein großes Stück Freiheit und Sicherheit mit sich bringt. Dafür wurde meinem Freund und mir schon öfter mit homophoben Aussagen begegnet, und wir werden auch recht oft angestarrt; da war's das dann wieder mit der Unauffälligkeit.

Foto: Mike

Wenn Männlichkeit sich angegriffen fühlt

Homophobie äußert sich dabei in unterschiedlichsten Formen. Vor kurzem habe ich etwa ein Kompliment in Form einer nicht ernst gemeinten Anmache an einen anderen Typen adressiert, da mir sein Halloween-Outfit gefiel. Mein Kompliment ging dem Mann offenbar zu sehr in die Richtung eines Angebots, welches ihn – einen betonten Heteromann – gar nicht amüsierte. Das hat er mich in einer etwas aggressiven "Abfuhr" wissen lassen, durch die auch klar wurde, dass ich nicht der Erste an jenem Abend war, von dem er sich auf eine solche Art beleidigt gefühlt hat. Mit einer Zurückweisung, die von solchem Ärger getrieben war, als hätte ich durch diese "Homo"-Geste das Ego des besagten Mannes richtig stark angekratzt, war ich davor noch nie konfrontiert. Ich habe mich daraufhin entschuldigt, denn ich wollte mit diesem Schmäh ja nicht etwa seine Grenzen verletzen.

Foto: Mike

Doppelte Standards

Dennoch ist die ganze Sache paradox: Wie oft werden Frauen gegen ihren Willen mit einer gewissen Selbstverständlichkeit von Männern angemacht, die oftmals gar nicht locker lassen, bis sie ein "Ich habe einen Freund" oder einen ähnlichen Verweis auf Unverfügbarkeit hören – denn offenbar haben diese Männer mehr Respekt vor anderen Männern als vor den Grenzen dieser Frauen. Gleichzeitig haben viele dieser Männer dann allerdings ein beinahe komplexhaftes Problem, wenn sie selbst Zielscheibe einer männlichen Anmache werden.

Ebenfalls mit einer Selbstverständlichkeit reagieren genau sie dann geradezu empört, wenn ein anderer Mann es wagt, ihre Heterosexualität und damit ihre Männlichkeit derart infrage zu stellen und somit ihren ganzen Stolz zu verletzen – wodurch sich ironischerweise gerade die Fragilität dieser so empfindlichen Männlichkeit offenbart. Wer dem Ganzen jetzt mit dem Verweis auf die Achtung persönlicher Grenzen entgegenhalten möchte, dass es niemandem zusteht, einer anderen Person gegen deren Willen zu nahe zu treten, hat vollkommen recht – dies muss dann aber ein allgemeiner Standard sein und nicht nur einer unter Männern.

Die kumpelhafte "No Homo"-Kultur ist im Allgemeinen von ironischen Paradoxien und ganz eigen definierten subtilen Standards durchzogen. Noch nie hatte ich so viel "rein freundschaftlichen" Körperkontakt mit Männern wie jetzt, da ich selbst als solcher anerkannt werde. Gleichzeitig gilt eben "No Homo" und fungiert letztlich als Strategie zur Abgrenzung gegen (homosexuelle) Gefahren für die (selbstverständlich heterosexuell normierte) Männlichkeit und zur Aufrechterhaltung dieser Norm. Wo allerdings gerade in diesen homosozialen Zusammenhängen "Homo" eigentlich anfängt und wieder aufhört, scheint trotz des panikartigen Verlangens nach solchen Abgrenzungsstrategien gar nicht einmal so klar definiert zu sein – was wiederum einen interessanten Interpretations- und Handlungsspielraum offenlässt. (Mike, dieStandard.at, 8.12.2014)