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Gerade in der Vorweihnachtszeit sind Shoppingzentren vielbesuchte Ort. Doch nicht überall stehen sie primär für Konsum, Ausflucht vom Alltag und "dümmliche Fröhlichkeit" wie in der westlichen Welt, sagt die Kulturtheoretikerin Anette Baldauf bei einer Tagung in Wien.

Foto: APA/Roland Schlager

Wien - Eine Kabelrolle steht in der Mitte des Veranstaltungssaals im siebenten Wiener Bezirk. Über Verlängerungskabel und Verteilerstecker versorgt sie einen Projektor, einen Laptop und Mikrofone mit Strom, die wiederum miteinander und einer Soundanlage verkabelt sind - ein im Kontext einer Konferenz normaler Kabelsalat, der nicht auffallen würde. Wenn die Konferenz nicht genau das zum Thema machte. Letzten Samstag wurde - organisiert vom Institut für Wissenschaft und Kunst - unter dem Titel "Poetiken der Infrastruktur" der "Unterbau medialer Kommunikation" diskutiert.

Ausgangspunkt war die These, dass, während die Infrastrukturen der Kommunikationstechnologien im Alltag zunehmend verschwinden, sie umso mehr in der Kulturwissenschaft auftauchen.

In zweifacher Hinsicht werde Infrastruktur unsichtbar: Einerseits sind uns Kabel, Stecker und Geräte so selbstverständlich, dass wir sie übersehen. Andererseits verschwinden sie, werden durch kabellose Technologien ersetzt, unterirdisch verlegt, und Datenspeicher und Server befinden sich am anderen Ende der Welt.

Shannon Mattern, Medienwissenschafterin an der New Yorker New School, sprach über die Ästhetik von solchen Infrastrukturen und das aktuell große Interesse daran, das "Unsichtbare sichtbar zu machen". Sie berichtete von wissenschaftlichen, künstlerischen und touristischen Unternehmungen, die scheinbar nicht-materielle Infrastrukturen wieder angreifbar machen.

Mit "visit the internet" ist kein virtueller Cyberspace gemeint, sondern eine tatsächliche Leibvisite: Menschen besuchen riesige Serverhallen, kilometerweit unterirdisch verlegte Leitungen, oder lassen sich drahtlose Internetverbindungen visualisieren, die ständig um uns herum sind. Mattern nennt das "sense-able structures". Die Menschen wollen das Internet, beziehungsweise das, was es voraussetzt, angreifen, riechen und hören.

"Infrastructure studies" seien in den USA bereits etablierter als hierzulande, sagt Simon Ganahl von der Forschungsgruppe "Mediologie@Wien" an der Germanistik der Uni Wien, die die Tagung mitorganisierte.

Wem gehört das Internet?

Tatsächlich wirkt es gewagt, den eher mit Administration und Bürokratie verbundenen Begriff "Infrastruktur" in den Titel einer geisteswissenschaftlichen Tagung zu schreiben. Ganahl verteidigte die Titelwahl. Es komme automatisch das Materielle mit ins Spiel - und damit auch politische Fragen: Wem gehören diese Kabel und Serverhallen? Wem gehört das Internet? Diese Fragen beschäftigen auch den Künstler und Assistenzprofessor an der New School, Rory Solomon. Er sprach über die Möglichkeit freier Rede in digitalen Infrastrukturen und sah sich dazu verschiedene Projekte an, die versuchen, mit dezentraler Organisation eine Alternative zu großen Internetstrukturen wie Facebook oder Google zu schaffen. Solomon erwähnte etwa "Diaspora", eine Social Media Plattform, die nicht über eine zentrale Seite, sondern diverse Zugänge funktioniert, die die User auch selbst legen können. Viele solcher Projekte, die nicht profitorientiert organisiert sind, haben aber das Problem, für das Betreiben der Webseiten und die Hardware wieder auf kommerzielle Anbieter zurückgreifen zu müssen. "Es gibt nie ein Außerhalb", sagt Solomon über die etablierten digitalen Infrastrukturen.

Anette Baldauf, Professorin für Epistemologie und Methodologie an der Akademie der bildenden Künste Wien, thematisierte eine soziale Infrastruktur: das Einkaufszentrum nach dem Konzept von Victor Gruen. 1936 renovierte der Architekt das Geschäft "Singer" in Wien und legte damit den Grundstein für das Shoppingcenter, wie wir es heute kennen.

Das Aussterben der Malls

Während in Nordamerika und in Europa bereits das Aussterben der Malls verhandelt wird, untersuchte sie Baldauf als einen durchaus lebendigen "Zwischenort": Sie forscht nämlich über brasilianische "rolezihnos", Happenings, bei denen sich Hunderte von Jugendlichen aus sozial benachteiligten Favelas über soziale Netzwerke organisieren und sich in Shoppingcentern in bessergestellten Gegenden treffen und tanzen.

Neben Aspekten sozialer Ungleichheit, wurden hier auch die subtileren, infrastrukturellen Zugangsregelungen sichtbar. Baldauf nannte Beispiele von Einkaufszentren, die nur mit Auto erreicht werden können. Die "rolezihnos", die den Konsumzweck der Mall entfremden und sich jeder Interpretation entziehen, machen aus dem Einkaufszentrum einen politisch und sozial aufgeladenen Raum des Dazwischen. "Inbetween spaces" seien die Malls auch insofern, dass die Menschen in ihnen nach Geborgenheit und gleichzeitig nach Ausflucht vom Alltag suchen.

Baldauf zeigte nordamerikanische Einkaufszentren aus der Nachkriegszeit, denen diese Bedürfnisse in die Architektur geschrieben sind: Im Inneren dem Konsum-Enthusiasmus frönend, sehen sie von außen aus wie Luftschutzbunker. Baldauf zeichnete nach, wie aus Gruens Konzept in der postmodernen Philosophie ein Symbol für "dümmliche Fröhlichkeit" und Kontrolle wurde. (Julia Grillmayr, DER STANDARD, 17.12.2014)