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Auch in der Pegida-Bewegung ist die Sorge über den "Genderismus" groß.

Foto: Reuters/HANNIBAL HANSCHKE

Wissen Sie, was der Bischof von Chur, die sächsische Pegida-Bewegung, AbtreibungsgegnerInnen, Teile der CDU, die komplette AfD (Alternative für Deutschland), die Kolumnistin Bettina Röhl von der "Wirtschaftswoche" und viele andere gemeinsam haben? Sie alle warnen in mehr oder weniger scharfem Ton vor den Gefahren einer angeblich seit einer Weile um sich greifenden menschenfeindlichen Ideologie: des "Genderismus"! Ob man nun die Erosion der Kernfamilie befürchtet, sich als Familienoberhaupt diskreditiert sieht, Homosexuelle irgendwie eklig findet, sich bibeltreu wähnt, stramm rechts gesinnt ist oder "nichts gegen Ausländer, aber …" hat – der kleinste gemeinsame Nenner scheint immer zu sein, dass man sich gegen diese neue, um sich greifenden Gesinnung abgrenzt und Stellung bezieht.

Als "Genderismus" identifizieren seine Gegner und Gegnerinnen eine "Weltanschauung, die das soziologische Geschlecht (Gender) statt des biologischen Geschlechts (Sex) in den Mittelpunkt bei der Betrachtung des Menschen stellt". Außerdem werden sie nicht müde zu betonen, dass sich dieses Konzept nur im Windschatten der um sich greifenden politischen Korrektheit und unter Vortäuschung von Wissenschaftlichkeit (Gender-Studies) durchsetzen konnte. Unter Vorspiegelung falscher Tatsachen also, denen nicht widersprochen werden kann, weil es gesellschaftlich mittlerweile als inakzeptabel gilt, Kritik daran überhaupt zu erwähnen. Das trauen sich nur noch aufrechte Bürger, die keinen wie auch immer gearteten sprachlichen Hinweis darauf brauchen, dass sich auch Frauen in ihren Reihen befinden, weil die "ja immer mitgedacht werden", und auch keinen wollen, weil das ja alles "Gender-Scheiße" ist.

Wer sagt was aus welchen Motiven

In der öffentliche Geißelung von "Genderismus" auf Parteiversammlungen, Märschen für das Leben, in Petitionen und Medienbeiträgen spiegelt sich eine sehr heterogene Gruppe wider, bei der es sich lohnt, genau hinzuschauen, wer was aus welchen Motiven sagt, um anschließend zu entscheiden, mit wem man überhaupt ins Gespräch kommen kann. Denn auch und gerade als Befürworter von Gleichstellung (von mir aus auch als Genderist, maximal emanzipierter Mann, lila Pudel oder was man mich sonst schon alles genannt hat) sollte man diejenigen, welche die eigenen Überzeugungen nicht teilen und/oder ablehnen, nicht alle über einen Kamm scheren und sich nicht auf die Position zurückziehen, dass mit denen sowieso nicht zu reden sei.

Das Spektrum reicht nämlich von Anhängern der Verschwörungstheorie "Genderfaschistische Feminazis wollen die Weltherrschaft an sich reißen" über Menschen, die ihre konservativen Werte nicht herausgefordert oder gar verändert sehen möchten und darüber hinaus ihre Privilegien gerne behalten würden, bis hin zu jenen, die in diesem ominösen "Das wird man ja wohl noch mal sagen dürfen"-Gefühl schwelgen, das seit einigen Jahren insbesondere in Deutschland populär ist und mit dem man sich gegen eine allgemeine Bevormundung und Regelflut verwehrt. Ob es dabei dann um das Rauchverbot in Kneipen, einen Veggieday, die Frauenquote oder das Vermeiden rassistischer Begriffe geht, ist nebensächlich. Das Gefühl, das sich dabei einstellt, ist in allen Fällen gleich: Jetzt will mir der Staat auch noch das Denken vorschreiben und überbetont etwas, das in Wirklichkeit vollkommen irrelevant ist, während er die eigentlichen Probleme nicht angeht.

Was bleibt, ist eine Frage

Und während bei denen, die Gleichstellungspolitik gerne mit einem -ismus versehen, um sie damit als fieses Instrument eines totalitären Gedankensystems zu markieren (Humanismus scheint aus solchen Erwägungen immer herauszufallen), wahrscheinlich tatsächlich Hopfen und Malz verloren sind, sollte man nicht aufhören, mit anderen die Auseinandersetzung im Dialog zu suchen. Denn für viele geht es trotz unterschiedlicher Haltungen in der Sache um die gleiche Frage: Was ist Freiheit?

Bin ich unfrei, wenn der Staat im Sinne des Grundgesetzes Maßnahmen zur Gleichstellung von Männern und Frauen beschließt, die an meinen eigenen Privilegien rütteln? Oder bin ich nicht vielmehr unfrei, wenn ich diese Privilegien nie besessen habe und ich mich auch noch mit dem perfiden "Argument" abspeisen lassen muss, dass sei nun einmal der natürliche Lauf der Dinge? Ist der Freiheit, mit Selbstverständlichkeit Anspruch auf öffentliche Räume, Ämter und Beschäftigungsverhältnisse zu erheben, der Vorzug zu geben, oder doch nicht eher der Freiheit, vermittels Quotierung bei gleicher Qualifikation endlich auch einmal diesen Anspruch erheben zu können? Darüber sollten Menschen auch 2015 ins Gespräch kommen.

Denn für die einen ist es die Freiheit, so zu bleiben, wie sie sind, und das zu behalten, was sie haben und von dem sie glauben, dass es ihnen auch zusteht. Für die anderen aber geht es um die Freiheit, endlich so sein zu dürfen, wie sie sind, und zu bekommen, was man ihnen viel zu lange vorenthalten hat.

Welche Position man sich auch immer zu eigen macht, eines sollte man dabei auf keinen Fall außer Acht lassen: Unsere persönliche Freiheit ist immer und unmittelbar mit der unserer Mitmenschen verknüpft. Freiheit ist unteilbar. (Nils Pickert, dieStandard.at, 22.12.2014)