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Susanne Rode-Breymann über Alma Mahler-Werfel: "Sie hatte einen durch und durch ambivalenten Charakter. Man kann tatsächlich entweder nur die exaltierten oder nur die gelehrsamen, nachdenklichen Seiten von ihr nehmen."

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Alma Mahler-Werfel verbrachte ihr Leben an der Seite berühmter Männer. Als Ehefrau, Geliebte und Muse, aber auch als Femme fatale und wahnhaftes Weib entfachte sie die Fantasie von Biografen und Künstlern. Die Musikwissenschafterin Susanne Rode-Breymann setzt diesem männlichen Blick ein differenziertes Bild entgegen. In ihrer Biografie "Alma Mahler-Werfel - Muse, Gattin, Witwe" (C. H. Beck, München 2014) zeigt sie eine Frau, die Kultur mitgestaltete und Dirigenten, Künstler und Literaten inspirierte und förderte.

STANDARD: Das Bild von Alma Mahler-Werfel wurde immer wieder überschrieben. Wie gelingt es Ihnen, durch dieses Geflecht hindurch zu einer Wahrheit vorzudringen?

Susanne Rode-Breymann: Die Wahrheit ist nie zu erreichen. Man kann nur wie bei einem Indizienverfahren unzählige Quellen nebeneinanderlegen und daraus Fokussierungen ablesen. Das bedeutet Neulektüre von alten Quellen und Ergänzung durch neue oder vergessene Quellen. Wichtig für mich waren Alma Mahlers Briefe an Alban und Helene Berg, ihre Briefwechsel mit Arnold Schönberg und Friedrich Torberg, die Briefe von Bruno Walter, aber auch Briefe wie jene mit dem Ehepaar Arlt, das Alma und Franz Werfel bei Schönberg in Kalifornien kennenlernten. Sie lieferten einen zweiten roten Faden zu den Selbstdarstellungen, die Alma Mahler-Werfel in ihrer Autobiografie sowie den überarbeiteten Abschriften ihrer Tagebücher entwarf. Und dennoch bleiben die unterschiedlichen Sichtweisen bestehen.

STANDARD: Warum polarisierte sie so sehr?

Rode-Breymann: Sie hatte einen durch und durch ambivalenten Charakter. Man kann tatsächlich entweder nur die exaltierten oder nur die gelehrsamen, nachdenklichen Seiten von ihr nehmen. Und jedes Mal hat man eine vollkommen andere Person vor sich. Diese Ambivalenz führte auch dazu, dass sie sich nie entscheiden konnte. Schon angesichts ihrer drei Begabungen, dem malerischen Talent vom Vater, dem Lesen auch philosophischer Texte und der Musik, wusste sie keine Entscheidung zu treffen. Nach Mahlers Tod wiederum konnte sie sich nicht entscheiden zwischen dem Andenken an Mahler, Walter Gropius und Oskar Kokoschka. Zugleich besaß sie die Fähigkeit, sich immer wieder neu zu erfinden.

STANDARD: Zu jenen, die sich ablehnend über sie äußerten, gehörte ihr Schwiegersohn, der Komponist Ernst Krenek. In seiner Autobiografie nannte er ihr Schlafzimmer ein "Durchgangslager für Berühmtheiten" ...

Rode-Breymann: Kreneks Urteil muss man im Zusammenhang mit der Tochter Anna betrachten. Alma Mahler war nicht erbaut von den Männern, mit denen ihre Tochter Beziehungen einging. Sie sah darin ihr eigenes Drama. Bei allen Männern, die über Alma Mahler herziehen, muss man beschreiben, warum sie das tun. Und vor allem sollte man ihr Frauenbild untersuchen und die Projektionen, die sie darauf werfen. Führen Sie sich nur einmal vor Augen, wer sich nach Mahlers Tod alles eingebildet hat, er könne sie bekommen. Vielleicht äußern sich gerade die herablassend über ihr Bett, die selbst gern darin gelegen wären.

STANDARD: "Mehr als ein Jahrzehnt nach Gustav Mahlers Tod fand Alma Mahler aus der Simultaneität zwischen ihren Erinnerungen an Mahler, ihrer komplizierten Bindung an Walter Gropius, ihrer glutvollen Beziehung mit Oskar Kokoschka und ihrem von Franz Werfel Gebanntsein nicht heraus", schreiben Sie. War sie eine Femme fatale?

Rode-Breymann: In dieser Phase war sie das. Aber das setzte erst mit Mahlers Tod ein. Durch Mahlers Tod rutschte sie in diesen Wirrwarr von Männern. Mich selbst überraschte das. Denn es spricht vollkommen gegen das Bild, dass da ein Mann nach dem anderen kam. Tatsächlich setzte ein quälendes Nebeneinander ein. Zugleich wurden Vorstellungen auf sie appliziert, denen sie nichts entgegensetzen konnte. Damit wurde sie von einer Umwelt, die das toll fand, in dieses Bild der Femme fatale hineingesogen.

STANDARD: Was Krenek aber festhielt, wenn er sie als "ein prächtig aufgetakeltes Schlachtschiff" bezeichnete, darauf aus, alle "zu hilflosen Untertanen ihrer Macht zu machen", war die ungeheure Wirkung, die von ihr ausging. Woher kam die?

Rode-Breymann: Sie hatte eine extrem starke Ausstrahlung. Wenn sie einen Raum betrat, war sofort das Licht an. Das sagte sogar ihre Tochter Anna. Hinzu kam ihre enorme Fähigkeit, sich mit Menschen zu unterhalten. Sie zog jeden in ein Gespräch. Denken Sie etwa an die Szene mit Erik Schmedes. Er war Sänger an der Wiener Hofoper. Alma Mahler begegnete ihm auf einem Fest, und sie schaffte es, mit ihm eine halbe Stunde über Kunst zu sprechen. Auch ihre Salons wurden immer von internationalen Persönlichkeiten frequentiert. Nach dem Ersten Weltkrieg empfing sie in Wien Maurice Ravel. Und selbst in den USA in den Hotels richtete sie sofort wieder einen Salon ein.

STANDARD: Verübelt hat Krenek ihr die Veröffentlichung der Skizzen zu Mahlers zehnter Sinfonie, insbesondere mit den verzweifelten "Aufschreien" am Rande, nachdem Mahler von ihrem Verhältnis mit Walter Gropius erfahren hatte ...

Rode-Breymann: Das war zur damaligen Zeit eine Ungeheuerlichkeit, so etwas zu veröffentlichen. Was aber die Musik betrifft, habe ich in Brixen eine Aufführung dieser Skizzen erlebt und möchte es nicht missen, diese Introspektion in Mahlers letzte kreative Reise zu haben. Es ist ein unglaublich zu Herzen gehendes Stück Musik. Die Anmaßung sah man darin, dass sie es war, die die Veröffentlichung vorgenommen hatte. Es wird bis heute darüber gestritten, ob sie tatsächlich musikalisch war und Mahlers Kompositionen abschreiben konnte oder nicht. Durch die Veröffentlichung dieser Skizzen erhob sie den Anspruch, den ich ihr auch zubillige, ein Urteil über diese Musik fällen zu können.

STANDARD: Hätte Alma Schindler, um sie bei ihrem Mädchennamen zu nennen, Komponistin werden können, wenn sie nicht Mahlers Frau geworden wäre und dem Komponieren entsagt hätte?

Rode-Breymann: Ja. Man kann ihre Kenntnisse mit jenen von Berg und Webern vergleichen. Ich habe die Jugendlieder der beiden ausführlich studiert. Da finden sich identische Anfänge. Wie die Lieder von Berg und Webern zeigen auch ihre Lieder ein unmittelbares Reagieren auf Lyrik und das Umsetzen in Musik. Im Sommer 1901, als sie mit Zemlinsky arbeitete, nahm sie tatsächlich sehr an Fahrt auf. Sie wäre auf einen Rang gekommen wie ihre Zeitgenossin Mathilde Kralik von Meyrswalden. Aber das war nicht, was sie wollte. Als Mädchen durchdachte sie ihren Lebensweg, und schon damals erkannte sie, dass sie etwas Großes wollte. Dieses große, wirklich geniale Komponieren erlebte sie bei Mahler.

STANDARD: Das heißt, sie hat dem Verzicht auf das Komponieren nicht nachgetrauert.

Rode-Breymann: Eher nicht, je länger ihr Leben dauerte. Durch ihre Salons und ihr Mäzenatentum wie die Förderung von Bergs "Wozzeck"-Partitur war sie in einer Weise kulturell tätig, die wir heute in die Berufsbilder einer Dramaturgin oder Konzertagentin fassen können. Es gab natürlich Lebenssituationen, in denen das Komponieren wieder auftauchte, etwa als Mahler ihre Lieder entdeckte, oder 1915, als sie auf den Werfel-Text stieß. Auch später komponierte sie das eine oder andere Lied. Aber diese Momente waren nie so stark, dass sie wieder ganz zum Komponieren zurückkehrte.

STANDARD: Die Mappe mit ihren Kompositionen nahm sie dennoch überallhin mit ...

Rode-Breymann: Ich habe immer davon geträumt, dass diese Mappe auftaucht. Aber das ist nicht geschehen, bis auf zwei einzelne Lieder. Auch die originalen Tagebücher nach 1902 sind weg.

STANDARD: Alma Mahler-Werfels antisemitische Äußerungen zitieren Sie, aber Sie relativieren sie zugleich. Wie ernst muss man ihren Antisemitismus nehmen?

Rode-Breymann: Tatsächlich hätte sie diese Äußerungen aus dem Typoskript ihrer Tagebücher entfernen können. Dann hätte niemand davon gewusst. Aber sie ließ sie stehen. Sie sprach zunehmend judenfeindlich, handelte jedoch nicht judenfeindlich, sondern ging mit Franz Werfel ins Exil - und dies handlungssicher, ohne jegliches Zaudern. Sie hätte sich von Werfel trennen können und wie ihr Stiefvater, ihre Halbschwester und deren Mann in die Nationalsozialistische Partei eintreten können. Sie bewunderte Hitler, aber ihr Salon stand unter Beobachtung der Nationalsozialisten. Auch hier begegnen wir Alma Mahler-Werfels Ambivalenz, die ohne differenzierten Blick nicht fassbar ist.

STANDARD: Wie bewerten Sie insgesamt die Quellenlage zu Alma Mahler-Werfels Leben? Es scheint, als ob bezüglich der Zeit in New York mit Gustav Mahler und dessen Tod einige Lücken bestehen ...

Rode-Breymann: In Hinblick auf die New Yorker Aufenthalte ist mir mit der Mac Dowell Association ein hochspannender Quellenfund gelungen, der nicht einmal der Mahler-Forschung bekannt war. Es hat mich erschreckt, wie wenig ernst man diese New Yorker Szene nimmt. In der westeuropäischen Welt interessieren amerikanische Quellen kaum. Über die Mäzene heißt es immer nur, sie hätten Geld, aber verstünden nichts von Kultur. Tatsächlich waren sie die oberste Kulturträgerschicht New Yorks. Anhand der Unterlagen der Association in der New York Historical Society erzähle ich über die Spuren, die Mahler dort hinterlassen hat und die auch Almas Weg anzeigen. Und dann sind natürlich die Dreißigerjahre noch einmal untersuchenswert. Ich habe das Kapitel darüber erst ganz am Schluss geschrieben, weil ich großen Respekt vor dieser politisch so extremen Zeit hatte, und hinsichtlich dieser Jahre würde ich gerne erneut die Quellen sichten. (Ruth Renée Reif, 17./18.1.2015)