Barbara Schober ist eine Anhängerin des Binnen-I, denn bei "gendergerechten Formulierungen werden Frauen verstärkt mitgedacht", sagt die Bildungspsychologin. Schulbücher zu gendern allein sei aber nicht ausreichend, um Stereotype zu beseitigen - auch geschlechtergerechte Abbildungen seien wichtig. Generell hält Schober es für eine "Illusion, von der Schule zu verlangen, die Genderproblematik zu lösen".

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STANDARD: Aktuell wird über gegenderte Texte in Schulbüchern gestritten. Was halten Sie davon?

Schober: Buben und Mädchen unterscheiden sich nach wie vor in ihren schulischen Interessen. Das liegt nicht daran, dass Mädchen oder Buben generell bestimmte Dinge nicht können. Sondern es geht sehr viel darum, dass Geschlechtsstereotype unbewusst im Alltag transportiert und übernommen werden, mitunter über die Sprache. Wir denken, wie wir sprechen. Gendern ist keine Geschmacksfrage - die öffentliche Diskussion ist aber sehr ideologisch geprägt. Wenn wir nur von Männern sprechen, wird auch vor allem an sie gedacht. Wenn wir gendergerechte Formulierungen wie das Binnen-I anwenden, werden Frauen verstärkt mitgedacht.

STANDARD: Eine häufig geäußerte Kritik ist, dass die gegenderte Fassung unleserlich und unverständlich sei.

Schober: Wenn man sich die aktuelle empirische Evidenz ansieht, spricht nichts dafür, dass gegenderte Texte als solche schlechter zu verstehen sind. Was einige Studien jedoch zeigen, ist, dass Männer nichtgegenderte Texte positiver beurteilen als Frauen.

STANDARD: Warum ist das so?

Schober: Das ist im Detail noch zu untersuchen. Männern ist das generische Maskulinum eventuell einfach näher. Sie können sich leichter damit identifizieren. Es ist naheliegend, dass sie Gendern deshalb oft unnötiger finden.

STANDARD: Sollte in Schulbüchern nicht der Inhalt im Vordergrund stehen?

Schober: Natürlich geht es um den Lernstoff. Aber Wissen vermitteln und Genderstereotypen entgegenzuwirken ist sicher kein Widerspruch. Wir wissen aus der Geschlechterforschung, dass wir über Erwartungshaltungen, Modelldarstellungen, das Loben und Aufgabenverteilung Stereotype transportieren. Das Schulbuch ist ein Medium, das sie vermittelt.

STANDARD: Reicht es dann überhaupt, Schulbücher zu gendern?

Schober: Nein. Es kommen noch weitere Dinge zum Tragen: etwa die bildliche Darstellung von Geschlecht. Zumindest bis vor kurzem war es noch so, dass Männer häufiger in beruflichen Kontexten zu sehen waren, Frauen eher in der Freizeit oder mit der Familie. Wir haben 300 relevante Abbildungen in Volksschulbüchern analysiert. Je nachdem, in welcher Tätigkeit man Personen darstellt, verändert das den Eindruck, der vermittelt wird. Entscheidend sind auch Gegenstände, die Personen dabei bei sich haben. Frauen werden noch immer mit Taschen und Accessoires dargestellt. Diese kleinen Dinge machen den wichtigen Unterschied. Geschlechtergerechte Abbildungen und Sprache in Schulbüchern sind deshalb wichtig, weil sie Dinge zeigen, die uns täglich umgeben, die wir aber nicht permanent reflektieren.

STANDARD: Außerhalb der Schule lesen Kinder aber nichtgegenderte Bücher.

Schober: Es ist eine Illusion, von der Schule zu verlangen, die Genderproblematik zu lösen. Am besten wäre es natürlich, wenn in allen Medien darauf geachtet würde, keine Genderstereotype zu vermitteln. Aber man muss ansetzen, wo man eine ganze Generation von Kindern und Jugendlichen erreicht - das ist die Schule.

STANDARD: Inwiefern spielt nicht auch das vorschulische Erleben eine Rolle?

Schober: Es sollte so früh wie möglich angesetzt werden. Die Entwicklungspsychologie zeigt, dass Kinder gerade im Kindergartenalter durchaus rigide Rollenstereotype ausbilden. Die Eltern sind dabei aber wichtige Rollenvorbilder. In Befragungen zeigt sich, dass Eltern immer noch eher Autos für Buben und Puppen für Mädchen kaufen. So entstehen Rollenbilder, die sich allerdings schon in der Volksschulzeit wieder öffnen und sehr flexibel werden. Zu dieser Zeit muss also dagegengehalten werden.

STANDARD: Wie wird "gendersensible Pädagogik" im Studium vermittelt?

Schober: In den Vorgaben zum neuen Lehramtsstudium steht dezidiert, dass Diversität und Gendergerechtigkeit behandelt werden müssen. Bisher war es optional. Diese Themen haben aber immer noch nicht den Stellenwert, den sie bräuchten. Lehrkräfte wissen beispielsweise sehr wenig darüber, wie sie - ohne es zu wollen - durch genderspezifisches Lob Stereotype vermitteln.

STANDARD: Wie können Lehrer besser loben?

Schober: Mädchen werden oft für Fleiß gelobt und Burschen häufiger für Fähigkeit. Das sind genau diese unterschwelligen Kommunikationsmechanismen, die es zu bearbeiten gilt. Und es ginge hier darum, unbewusste geschlechtsspezifische Erwartungen zu verändern und stattdessen das Individuum zu betrachten.

STANDARD: Für Kindergartenpädagogen hat das Bildungsministerium einen Leitfaden für "geschlechtssensible Pädagogik" herausgebracht. Ist das genug?

Schober: Das zeigt zumindest: Es ist ein Thema. Gerade die Kindergartenpädagogik steht hier aber weitgehend am Anfang. Kindergartenpädagogen haben verpflichtend noch weniger Reflexion dazu in ihrer Ausbildung, sind oft noch sehr jung. Sie zu fördern wäre wichtig. Es gibt kaum ein Land, wo ihre Ausbildung nicht akademisch ist. Aber auch hier tut sich etwas, wir stehen etwa in Kooperation mit dem Ministerium zur Frage, wie ein Weiterbildungsprogramm aussehen könnte.

STANDARD: Wäre es sinnvoll, Männern den Kindergartenpädagogenberuf schmackhaft zu machen?

Schober: Bekanntlich interessieren sich Männer in Durchschnitt weniger für schlechtbezahlte Berufe. Den Kindergartenberuf aufzuwerten wäre eine für alle sinnvolle Sache. Damit ist es aber nicht getan - dass Geschlechtermodelle dadurch allein dekonstruiert werden, ist nicht nachweisbar. Das Handeln der Pädagogen entscheidet.

STANDARD: Durchlässigkeit ist auch in Hinblick auf Bildungsschichten ein Thema - wie fair ist das Bildungssystem?

Schober: Befunde zeigen, dass Bildungserfolg in Österreich deutlich mit dem Bildungshintergrund korreliert. Es stimmt aber nicht, dass die Eltern der Kinder mit Migrationshintergrund nicht motiviert wären, aber der sozioökonomische Hintergrund spielt da einfach eine sehr große Rolle. Fakt ist: Wir haben im Moment ein Schulsystem, wo immer noch sehr viel in der Hand der Eltern liegt. Sie sichern mit Nachhilfe das Fortkommen ihres Kindes.

STANDARD: Können Gesamtschulen dagegen Abhilfe schaffen?

Schober: Es gibt Modelle der Gesamtschule, die furchtbar in die Hose gegangen sind. Und andere funktionieren sehr gut. Es geht nicht nur darum, neben wem man sitzt, sondern was in der Schule passiert. Gesamtschule bedeutet für mich, nicht so schnell zu trennen und auf Individualität anstatt auf Kategorien zu setzen. Strukturen müssen zwar verändert werden, aber sie sind nicht überzubewerten. Aus der Geschlechterrollenforschung wissen wir, dass die Interaktionen entscheiden, die Personen wissen, was sie tun, und dafür Zeit investieren.

STANDARD: Wie beurteilen Sie die Neuen Mittelschulen, die bereits auf gemeinsames Lernen setzen?

Schober: Die Grundidee ist nicht schlecht, sie wurde jedoch noch nicht nachhaltig und systematisch genug umgesetzt. Vor allem Hauptschulen bekommen oft einen neuen Namen, Lehrkräfte sind in derselben Schule in verschiedene Gehaltsstufen geteilt. Das Standesdenken zwischen Gymnasien und neuen Mittelschulen wird nicht genug bearbeitet. Wichtig wäre, machbare Rahmenbedingungen zu erzeugen, etwa das Personal zu qualifizieren, räumliche Bedingungen zu schaffen, Eltern zu informieren und so Ängste abzubauen. Es ist ein komplexes Gefüge. An einer Schraube zu drehen reicht natürlich nicht.

STANDARD: Wird die Zentralmatura mehr Chancengleichheit bringen?

Schober: Eine Prüfung von außen zu organisieren führt im Idealfall dazu, dass sich Lehrkräfte und Schüler gemeinsam bewusstmachen, welche Fähigkeiten und Kompetenzen es zu erreichen gilt. Dafür gilt es, zu kommunizieren und Vorgänge transparent zu machen. Österreich ist in puncto Schule eher noch eine Blackbox: ein relativ starres und für viele undurchsichtiges System. Sich zu öffnen und Vertrauen und Wertschätzung aller Beteiligten zu stärken wäre ein wichtiger Rahmen - nicht nur für dieses Projekt. (Lisa Breit, Oona Kroisleitner, DER STANDARD, 21.1.2015)