Am Ende verbeugte sich nicht eine Person, sondern ein ganzes Grüppchen. Und obwohl fast niemand die jungen Designer mit Namen kannte, erhob sich das Publikum zu Standing Ovations. Der Applaus galt wohl nicht nur jenen auf dem Laufsteg, sondern auch der Frau, die bis vor einer Woche die kommende Herbst/Winter-Kollektion von Gucci vorbereitet hatte: Frida Giannini. Die italienische Designerin wurde vom neuen CEO der Marke Marco Bizzarri gerade erst gefeuert. Sie hatte ihren Job nicht so schlecht gemacht. Höhenflüge wie unter Vorgänger Tom Ford vollführte Gucci in den vergangen acht Jahren aber nicht.

Aufmerksamkeit bekommen derzeit vor allem die großen französischen Marken, in Italien herrscht hingegen Stagnation auf hohem Niveau. Es ist kein Zufall, dass der neue CEO von Gucci justament von Bottega Veneta kommt, einer Marke, die genauso wie Gucci zum Luxuskonglomerat Kering gehört, aber unter ihrem Designer Tomas Maier eine der wenigen Erfolgsgeschichten der letzten Jahre zu erzählen hat. Mit Gucci verbindet man hingegen gediegenen Luxus. Damit sind kaum Umsatzzuwächse zu machen. Das Problem ist, dass momentan in der Mode so gut wie niemand ein Erfolgsrezept parat hat, auch die jungen Designer nicht, die sich jetzt in Mailand verbeugten.

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Androgyne Jünglinge bei Gucci.
Fotos: AP/Antonio Calanni

Für Rilke-Leser

Sie schickten 36 Looks auf den Laufsteg, die wie eine Studentenkollektion aus einer Zeit wirkten, als sich versponnene Jünglinge in viel zu kleine Pullis und in die Rüschenhemden ihrer Schwestern zwängten. Eine Kollektion für Schultaschenträger und Rilke-Leser, aber keine für die nach Neuigkeiten heischende Luxuswelt. Die Frage, die in den vergangenen Tagen in Mailand am häufigsten gestellt wurde, war jene, was Gianninis Nachfolger eigentlich genau können müsse. Allein die Tatsache, dass von Riccardo Tisci (derzeit Givenchy) über Christopher Kane (sein Label gehört auch zu Kering) bis hin zu Vorgänger Tom Ford so circa jeder in der Branche im Gespräch ist, der sich gut macht, zeigt, wie unterschiedlich die Antworten ausfallen - und in welcher Identitätskrise die Modebranche steckt.

Bei den Mailänder Platzhirschen ist diese deutlich zu spüren. Zwar legte die italienische Männermode im vergangenen Jahr umsatzmäßig um 1,4 Prozent zu, möglich war das aber nur, weil vor allem die Exporte in die USA anzogen. Davon profitieren vor allem jene Marken, die der Inbegriff italienischer Schneiderkunst sind, zum Beispiel Zegna.

Wie mit einer Metallschicht überzogen (Bild ganz links): Für Zegna hat Designer Stefano Pilati Tweed mit recycelten Garnen gepaart.
Foto: Zegna

Hier arbeitet sich Stefano Pilati an einer Neudefinition der körpernahen italienischen Silhouette ab, die er zugunsten längerer Sakkos und weiterer, kürzerer Hosen verschiebt. In seiner jüngsten Kollektion arbeitet er mit traditionellen Harris-Tweed-Stoffen, gibt ihnen aber einen neuen Twist. Da schimmern Sakkos, wie wenn sie mit einer Metallschicht überzogen worden wären. Pilati setzt auf recycelte Garne, vor allem die wunderbaren Mäntel stechen hervor, die Passformen sind weit und locker, und wären da nicht die deplatziert wirkenden Samtanzüge, Pilati würde den Preis für die beste Mailänder Kollektion bekommen.

Bei Miuccia Prada kriegen die Besucher anderntags das Gegenprogramm geboten: Sie schickt eine dunkle, düstere Kollektion durch ein futuristisches Raumgewirr. Der schwarze Nylonrucksack mit dem metallenen Prada-Dreieck, der einst den Erfolg der Marke begründete, stand Pate für die jüngste Kollektion. Schmale Anzüge, die wie Uniformen wirkten, Kurzarmhemden und graue Doppelreiher trafen auf feminine Kleider mit weiten V-Ausschnitten. Inmitten der Männerkollektion zeigt man bei Prada die Pre-Collection für die Frauen - als ob man die Verwirrung, in der sich die Mode derzeit befindet, noch zusätzlich befeuern möchte.

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Düstere Kollektion bei Prada.
Fotos: AP/Antonio Calanni (l./r.) APA/EPA/MATTEO BAZZI (m.)

Längst sind aus zwei Kollektionen pro Jahr vier geworden, und wer es sich leisten kann, der beliefert die Geschäfte auch zwischendurch mit Sonderstücken. Modeschauen haben dieser Tage die Aufgabe, mit spektakulären Bildern das Image zu schärfen. Bei Dsquared macht man das zum 20-Jahr-Jubiläum mit einer großen Show, bei der man alte Kreationen recycelt und darüber hinaus ein Dauergrinsen aufsetzt, bei Dolce & Gabbana huldigt man in Form von T- und Sweatshirts der Groß- und Kernfamilie und setzt ansonsten auf das eigene gut eingeführte Designvokabular.

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Viel Schriftzüge und Fotodrucke bei Dolce & Gabbana.
Foto: AP/Luca Bruno

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Versace.
Foto: APA/EPA/MATTEO BAZZI (l. r.), AP/Luca Bruno (m.)

Etwas zurückgenommen diesmal Versace, wo die kantigen Goldknopfanzüge entweder monochrom oder mit Nadelstreifen ausfallen und die Männerbeine vorzugsweise in dicken Wollleggings stecken. Sie gehören derzeit von Emporio Armani bis Vivienne Westwood zu den Lieblingsstücken der in Mailand zeigenden Designer.

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Emporio Armani.
Foto: AP/Luca Bruno

Auch obenrum steht Strick hoch im Kurs, zum Beispiel in Form von Riesenschals und Kurzarmpullis wie bei Ferragamo. Ein zweiter Trend ist die Wiederkehr von Schnürlsamt, die schönste Kollektion ist diesbezüglich bei Etro zu bestaunen. Ob in Form bedruckter Mäntel oder feinrippiger Anzüge: Etros gesamte Kollektion ist in Braunschattierungen getaucht. Bei Emporio Armani wird dieses weichgezeichnete Männerbild durch den exzessiven Einsatz von (am liebsten asymmetrisch angebrachten) Zippern konterkariert, bei Bottega Veneta wird es durch den Used-Look der bewusst simpel gehaltenen Kollektion noch einmal unterstrichen.

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Schnürlsamt bei Etro.
Foto: APA/EPA/DANIEL DAL ZENNARO

Neubeginn bei Jil Sander

Diesem Mailänder Softie-Look stehen scharf akzentuierte Silhouetten gegenüber, deren interessanteste Ausformung - neben Prada - bei Jil Sander zu finden ist. Hier hat nach dem erneuten Rückzug der Labelgründerin Rodolfo Paglialunga das Ruder übernommen, der sich jetzt zum ersten Mal an eine Männerkollektion wagt. Sie erinnert stärker an die Ära Raf Simons als an jene von Sander, was allerdings kein Nachteil ist. Die Mäntel sind über der Hüfte gerafft, einige starke Farben stechen hervor. Was die Marke Jil Sander ausmacht, das ist nach all den Designer- und Besitzerwechseln immer noch eine schwer zu beantwortende Frage, ein neuer Anfang ist aber (wieder einmal) gemacht.

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Jil Sander.
Fotos: AP/Antonio Calanni, APA/EPA/DANIEL DAL ZENNARO (r.)

Zwischen all den Identitätssuchern und Innovationshungrigen gibt es aber auch Marken, die über den Alltagsproblemen thronen. Von der alteingesessenen Modewelt werden sie zwar nicht ganz ernst genommen, doch das ist jemandem wie Philipp Plein wohl egal.

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Philipp Plein.
Foto: APA/EPA/DANIEL DAL ZENNARO

Der deutsche Designer hat im vergangenen Jahr eine Umsatzsteigerung von 54 Prozent erzielt, insgesamt setzt er 200 Millionen Euro um. Wie er das macht? Das hat er Samstagabend mit einer Motorradkollektion de luxe vorgemacht. Da singt Snoop Dogg und tanzt Paris Hilton, da trifft Kroko auf Nerz und Python. Und weil's so schön und geil und teuer ist, werden noch ein paar Nieten und viele Logos darüber gestreut. Na also, ist doch gar nicht so schwer. (Stephan Hilpold aus Mailand, DER STANDARD, 21.1.2015)

Update: Mittwoch Abend bestätigte Gucci, dass Alessandro Michele als neuer Kreativdirektor ernannt wurde.